Von C. F. Eckhardt, aus Heft 8-1985 der „Schweizer Waffenmagazins“. (Zuvor erschienen: Die Revolverhelden des Wilden Westens und Die Waffen der Revolverhelden des Wilden Westens.) Das Titelbild stammt nicht aus dem Originalartikel.
Der erste Schütze, der wirklich nach heutigen Maßstäben schnell ziehen konnte, war ein Cherokee-Ordnungshüter namens Tom Threepersons, der in Oklahoma als Deputy Sheriff amtierte. Er wurde nur deshalb so schnell, weil er im Jahre 1916 das erste ausgesprochene Schnellziehholster entwickelte. Heutzutage kann man jedem mit normaler Reaktionsfähigkeit und Koordination Begabtem, selbst einem blutigen Anfänger, beibringen, in einem Tempo zu ziehen, zu schießen und zu treffen, von dem die Revolverhelden des 19. Jahrhunderts nicht zu träumen gewagt hätten.
Sie könnten also gar noch schneller als Wild Bill Hickok ziehen lernen – aber bilden Sie sich bloß nicht ein, dass Sie’s deshalb in einer Schießerei mit einem der alten Wildwest-Revolverhelden aufnehmen könnten! Nicht mal die hochkarätigen Schnellschützen unserer Zeit könnten das! Die Schießereien von Anno dazumal spielten sich nach ganz anderen Regeln ab.
Abgeänderte Militärholster
Die klappenlosen Holster, die kurz nach dem Bürgerkrieg auftauchten, waren ganz einfach Ordonnanzholster mit abgeschnittenen Klappen. Das Holster verdeckte die ganze Waffe bis auf den Griff und den oberen Teil des Hahns. Dasselbe Holster wurde für eine Vielzahl verschiedener Waffen verwendet. Drei Cowboys, von denen der erste einen Perkussions-Colt 1860, der zweite einen Perkussions-Remington 1859 und der dritte einen Starr-Perkussionsrevolver trug, mochten für ihre doch sehr verschiedenen Schußwaffen genau dasselbe Holster im selben Format kaufen.
Von daher stammt die Idee, das Holster der Waffe anzupassen, indem man es nass macht und um die Waffe modelliert, so, wie man etwa ein Paar Schuhe den Füßen anpasst. Man wollte damit aber eher verhindern, dass die Waffe aus dem Holster fiel, als schnelles Ziehen erleichtern. Selbst, als der Trend aufkam, oben am Holster eine Aussparung freizulassen, die direkten Zugang zum Abzug ermöglichte, blieb die Waffe doch in einen langen Lederhandschuh gehüllt. Es war wirklich so etwas wie ein Handschuh: Das Leder, aus dem diese Holster gemacht waren, war nämlich dünn und weich. Die steifen Sattellederholster kamen erst ein paar Generationen später auf.
Mexikanische Schlaufenholster
Unten an der mexikanischen Grenze entwickelten mexikanische Lederzeugmacher ein neues und höchst dekoratives, wenn auch nicht sonderlich gutes Holster, das aus einem einzigen Stück Leder angefertigt wurde. Es existiert heute noch und wird „Mexikanisches Schlaufenholster“ genannt, und jedermann kann es aus einem Stück Leder, 3 Metern Lederband, einem Nagel und einem einigermaßen scharfen Taschenmesser selbst herstellen. Verziert man noch den Gürtelschlaufenrand, so wird ein sehr dekoratives Stück daraus. Viele frühen Holster nach Mitte der 1870er Jahre waren Abwandlungen des mexikanischen Schlaufenholsters.
Patronengürtel
Diese Holster wurden meist an einem sogenannten „Scout Belt“ getragen, einem schweren Gürtel von etwa 2 ¼“ bis 3“ (57 bis 76 mm) Breite, der so lang war, dass das Holster unterhalb der Taille, aber hoch auf der Hüfte hing. Das Holsterende war meist, doch nicht immer, am Bein des Trägers befestigt, was aber weniger wegen des Schnellziehens als aus Komfortgründen geschah. Es wurde dadurch zwar tatsächlich einfacher, einen Sechsschüsser aus einem Holster zu ziehen, das so weich war, dass es sich jedesmal beim Ziehen umzustülpen drohte, aber jeder Reiter wusste, dass es noch einen besseren Grund dafür gab. Beginnt nämlich ein Pferd zu traben oder zu galoppieren, dann flattert und schwingt alles, was lose am Reiter herumhängt, und ein Sechsschüsser von 1 bis 1 ¼ kg Gewicht schlägt auf einem Männerbein binnen kurzem einen großen blauen Fleck. Ist die Waffe aber am Bein des Trägers befestigt und liegt ein Riemen über dem Hahn, damit sie nicht aus dem Holster fallen kann, dann wird das Reiten sehr viel angenehmer. Da ich selbst nicht wenige Meilen mit einem Sechsschüsser am Gürtel geritten bin, kann ich das bezeugen!
Der „Scout“-Gürtel war eine Texas-Rangers-Erfindung der 1870er Jahre, und er faßte gewöhnlich am einen Ende 12 Revolverpatronen, je 6 und 6 übereinander, und wies zudem 30 bis 50 Schlaufen für Büchsenpatronen auf. Die Ranger fanden mit Recht, der Revolver sei nur als letztes Mittel zu gebrauchen, und die richtige Waffe in einem längeren Kampf sei die Büchse. Der Gedanke wurde später von der amerikanischen Armee mit ihrem geflochtenen Mills-Gürtel übernommen, der in den 1880er Jahren die 40 Patronen fassene Munitionsbüchse für die Front ersetzte.
„Patronengurten“ für 40 bis 70 Schuss Revolvermunition wurden kaum je getragen, und wer je einen solchen gefüllten Gürtel aufheben, sich umlegen und damit marschieren musste, der weiß warum. Da schleppte man nämlich, inklusive Schußwaffe, seine gut 4 ½ kg mit sich herum. Scout-Gürtel sind noch um einiges schwerer, doch sie wurden nur im Einsatz getragen und niemals im Camp oder in der Stadt, außer von Angebern.
Man trug seinen Sechsschüsser entweder im Hosengürtel, in der Hosentasche oder gar oben in den Stiefeln gesteckt, aber selten trug einer, wenn er bloß auf der Straße herumspazierte, die ganze Kampfausrüstung mit vollbestücktem Scout- oder Patronengürtel, Sechsschüsser und Bowie-Messer mit sich herum.
Die ersten Schnellziehholster
Erst in den 1890er Jahren kam überhaupt jemand auf die Idee eines Holsters, das ein etwas schnelleres Ziehen erlaubte. Der Urheber war ein Texas-Rangers-Leutnant namens John R. Hughes, der ein völlig neues Lederzeug entwickelte: einen breiten Gürtel, der genau auf die natürliche Taille oder leicht unterhalb passte, jedoch auf einer Seite eine tiefer reichende Fläche mit waagrechtem Schlitz für die Gürtelschlaufe des Holsters aufwies. Heute ist dies als „Buscadero“- (Kundschafter)-Gürtel bekannt, und so ziemlich jeder Filmcowboy von Ken Maynard an hat ihn getragen. Er wurde vielfach kopiert und war sehr beliebt, aber er wurde, wie gesagt, erstmals Mitte der 1890er Jahre hergestellt. Das ist zwar ein Lederzeug aus dem Westen, aber im alten Wilden Westen war es noch nicht üblich.
Ebenfalls in den 1890er-Jahren entwickelte Jim Gillette, damals Farmer und Ordnungshüter in Brewster County, Texas, eine verlängerte Hahnschraube für einen Colt Single Action, die in eine am Revolvergurt angenietete gabelförmig geschlitzte Metallplatte passte. Diese Erfindung erwies sich jedoch als praktisch unbrauchbar, da man weder rennen noch reiten konnte, ohne dass einem die Waffe herausfiel. Sie fiel auch leicht zu Boden, wenn der Sheriff etwa mit einem widerspenstigen Gesetzesbrecher in ein Handgemenge geriet. Tatsächlich wurde mit dieser Erfindung sehr viel mehr Aufhebens gemacht, als sie je praktisch verwendet wurde. Aber wahrscheinlich ließ Gillette das Ding nur zum Spaß anfertigen, um sich über die überhandnehmende Marotte der Schwenkholster lustig zu machen.
Threepersons-Holster
Trotz aller gegenteiligen Behauptungen dürfte der Staat Oklahoma der kriminellste aller Staaten und Territorien der USA gewesen sein, und wirklich „gezähmt“ wurde er erst mit der Einführung des Polizeifunks Ende der 1940er Jahre. Noch bis etwa 1943 waren Schießereien in den Ölbohrstädten Oklahomas eine regelmäßige Abendunterhaltung, und erst die Militäraufgebote für den Zweiten Weltkrieg dämmten die Zahl der potentiellen Revolverhelden ein, während die Verbliebenen durch die Kriegsrationierung ziviler Munition mehr oder weniger entwaffnet wurden. Oklahoma war also wirklich wild und räuberisch, und nicht mal Arizona hatte eine höhere Verbrechensstatistik. In dieser Atmosphäre der Gewalt entwickelte der junge Cherokee-Sheriff Tom Threepersons sein für einen Stadtsheriff geeignetes Holster, in dem der Sechsschüsser wirklich schnell griffbereit war. Das „Threepersons“, das Hammer und Abzugbügel frei ließ und die Waffe auch durch kein Riemchen sicherte, war das erste echte Schnellziehholster und ist heute noch das meistkopierte Holster der USA.
Toms Holster war für seine Zwecke ideal – ein Schusswaffenfutteral für einen Stadtpolizisten auf Fußpatrouille, in dem die Waffe stets gebrauchsbereit war. Für fast alle übrigen Zwecke war es allerdings unbrauchbar. Man kann nämlich mit einem Threepersons-Holster weder reiten noch autofahren noch einen Betrunkenen überwältigen, es sei denn, die Waffe ist mit einem kräftigen Riemen befestigt, was jedoch wieder das Schnellziehen verunmöglicht. Dennoch ist es ein verflixt schnelles Schnellziehholster.
Ich selbst habe zehn Jahre lang ein sehr ähnliches getragen, und es hat mir nie jemand vorwerfen können, ich zöge meinen New Service Colt zu langsam. Toms Holsterdesign dürfte mir sogar zweimal das Leben gerettet haben. Wenn John Bianchi nicht in den 70er Jahren ein noch besseres Holster entwickelt hätte, dann trüge ich’s noch heute. Übrigens ist auch das Holster, das ich immer noch in meinen gelegentlichen „Wildwest-Shows“ trage, ein Threepersons, und auch damit habe ich nie Probleme gehabt.
Ende der 1950er Jahre, als das Schnellziehen langsam in Mode kam, wurde eine Variante des Threepersons-Holsters an einem Buscadero-Gürtel für Schnellzieh-Wettkämpfe eingeführt. Das Holster selbst bestand eigentlich aus Stahl und war mit einer dünnen Lederschicht bezogen, und häufig bestand auch ein Teil des Gürtels aus lederbezogenem Stahl. Das ist die Ausrüstung, die in den Filmen verwendet wurde, und sie ist für die Schnellziehkünste von Film- und Fernseh-Cowboys verantwortlich.
Holster für Schnellziehwettbewerbe
Schon Dee Wolem, einer der ersten und besten Schnellzieh-Darsteller, verwendete diese Ausrüstung und beeinflußte auch ihre Entwicklung. Dee war wirklich schnell. Er konnte sich einen Silberdollar auf den Handrücken legen, die Hand senken und ziehen und dann den Dollar aus dem Holster fischen. Seine Bestzeit mit elektronischem Zeitmesser – ziehen, schießen und den Timer stoppen, indem er eine Silhouettenscheibe mit einer Wachskugel traf – war 15 Hundertstelsekunden. Man braucht übrigens 16 Hundertstelsekunden für ein Augenzwinkern. Meine eigene Bestzeit war ¼ Sekunde, also eine ganze Zehntelsekunde schlechter als die von Dee, aber wenn wir gleichzeitig zogen, konnte nur eine Hochgeschwindigkeitskamera festhalten, wer als erster geschossen hatte. In einem Schießduell à la High Noon wären wir beide tot gewesen. In einem solchen Fall ist die Frage, wer nun schneller gezogen hat, müßig.
Schnellzieh-Artisten
Joe Bowman, einer der letzten Schnellzieh-Artisten, der in Shows auftritt, übergibt jeweils einem Zuschauer einen mit Platzpatronen geladenen Revolver, läßt ihn den Hahn spannen und sagt ihm: „Wenn Sie mich nach der Waffe greifen sehen, ziehen Sie ab!“
Meist kann Joe zwei Schuss abgeben, ehe der Zuschauer überhaupt abdrückt. Joe zieht buchstäblich schneller als man denken kann. In der Zeit, die man braucht, um auf seine Bewegung zu reagieren, hat er schon einmal geschossen und spannt den Hahn für den zweiten Schuss. Seit über zwanzig Jahren verdient er als Schnellziehartist seinen Lebensunterhalt, und noch nie hat einer schneller als er geschossen; nicht mal ich, und ich wusste doch, worauf ich achten musste.
1978 bekam ich Joe am Texas Folklore Festival in San Antonio am Westenzipfel zu fassen und forderte ihn auf, mir doch mal zu sagen, in welcher Beziehung seiner Ansicht nach die modernen Schnellziehkünste zu den wirklichen Praktiken vor hundert Jahren stünden.
Joe erklärte, kurz zusammengefasst und auf helvetische Verhältnisse übertragen, folgendes: Das moderne Schnellziehen in Filmen und Fernsehen ist der damaligen Realität ungefähr so nahe wie ein historisches Schauspiel, in welchem Wilhelm Tell den Gessler mit einem Sturmgewehr unter Seriefeuer nimmt.
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Eine kurze Biographie von Charles Frederick Eckhardt ist hier auf Frontier Tales zu finden.
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