Duell im All („Arena“)

Von Fredric Brown, übersetzt von Lucifex. Das Original „Arena“ wurde erstmals 1944 im „Astounding Science Fiction Magazine“ veröffentlicht und ist hier auf „Cernunnos‘ Insel“ als 18seitige PDF herunterladbar. In „Das Beste aus Reader’s Digest“ Nr. 5-1982 ist eine deutsche Fassung unter dem Titel „Duell im All“ erschienen, die aber nicht einmal ein Viertel des Originalumfangs hat und somit eher eine zusammenfassende Nacherzählung ist. Das Bild oben ist der Beginn einer Nachveröffentlichung auf „Starlog 4“ mit einer Illustration von Boris Vallejo; das Bild weiter unten im Text ist von David Schleinkofer und wurde von Reader’s Digest verwendet..

*   *   *

Carson öffnete die Augen und bemerkte, daß er im Sand lag. Er blickte auf und sah in eine flimmernde, trübe Bläue. Es war heiß, und er lag auf Sand, und ein im Sand eingebetteter scharfer Stein schmerzte in seinem Rücken. Er rollte sich zur Seite, vom Stein herunter, und stemmte sich dann in sitzende Position hoch.

Ich bin wohl verrückt, dachte er. Verrückt – oder tot – oder irgendwas. Der Sand war blau, leuchtend blau. Und so etwas wie hellblauen Sand gab es doch nirgendwo auf der Erde oder sonst einem Planeten.

Blauer Sand.

Blauer Sand unter einer blauen Kuppel, die nicht der Himmel war noch sonst ein Raum, sondern ein umgrenzter Bereich – irgendwie wußte er, daß er umgrenzt und endlich war, obwohl er nicht bis zu seiner Oberseite sehen konnte.

Er nahm eine Handvoll auf und ließ die Körner durch die Finger laufen. Er rieselte auf sein bloßes Bein hinunter. Bloß?

Nackt. Er war von oben bis unten nackt, und von seinem Körper troff bereits der Schweiß von der enervierenden Hitze, blau mit Sand überzogen, wo immer Sand ihn berührt hatte.

Aber anderswo war sein Körper weiß.

Er dachte: Dann ist dieser Sand wirklich blau. Wenn er nur wegen des blauen Lichtes blau erschiene, dann wäre ich ebenfalls blau. Aber wenn ich weiß bin, dann ist der Sand blau. Blauer Sand. Es gibt keinen blauen Sand. Es gibt keinen Ort wie diesen.

Schweiß rann ihm in die Augen.

Es war heiß, heißer als die Hölle. Nur daß die Hölle – die Hölle der Alten – rot sein sollte und nicht blau.

Aber wenn dieser Ort nicht die Hölle war, was war er dann? Von allen Planeten besaß nur der Merkur eine solche Hitze, und das war nicht der Merkur. Der lag ungefähr sechs Milliarden Kilometer entfernt von…

Da fiel es ihm wieder ein, wo er sich zuletzt befunden hatte: in dem kleinen Einmannaufklärungsraumschiff jenseits der Umlaufbahn des Planeten Pluto. Und sein Auftrag war die Überwachung eines knapp anderthalb Millionen Kilometer umfassenden Raumes an der Flanke der terrestrischen Raumflotte, die die Outsider abfangen sollte.

Dieses plötzliche schrille Klingeln der Alarmglocke, als der Aufklärer der Rivalen – das Outsiderschiff – in Reichweite seiner Detektoren gekommen war!

Niemand wußte, wer die Outsider waren, wie sie aussahen, oder aus welcher fernen Galaxis sie gekommen waren, außer daß sie in der allgemeinen Richtung der Plejaden lag.

Zuerst hatte es vereinzelte Überfälle auf Erdkolonien und Außenposten gegeben, isolierte Kämpfe zwischen Erdpatrouillen und Raumschiffen der Outsider; Kämpfe, die manchmal gewonnen und manchmal verloren wurden, aber nie in der Kaperung eines fremden Schiffes resultierten. Auch hatte kein Mitglied einer überfallenen Kolonie jemals überlebt, um die Outsider zu beschreiben, die die Schiffe verlassen hatten, falls sie sie überhaupt verlassen hatten.

Keine allzu ernsthafte Bedrohung, zu Anfang, denn die Überfälle waren nicht zahlreich oder zerstörerisch gewesen. Und einzeln hatten die Schiffe sich als den besten Erdenkampfschiffen in der Bewaffnung leicht unterlegen erwiesen, obwohl sie in der Geschwindigkeit und Manövrierfähigkeit etwas überlegen waren. Tatsächlich war es ein ausreichender Geschwindigkeitsvorteil, um den Outsidern die Wahlmöglichkeit zwischen Flucht oder Kampf zu ermöglichen, sofern sie nicht umzingelt waren.

Dennoch hatte die Erde sich für ernsthafte Schwierigkeiten vorbereitet und die mächtigste Raumflotte aller Zeiten gebaut. Sie hatte nun schon seit langer Zeit gewartet, diese Armada. Nun kam der Showdown.

Aufklärer 30 Milliarden Kilometer weit draußen im Raum hatten die Annäherung einer mächtigen Flotte der Angreifer gemeldet. Jene Aufklärer waren nie zurückgekehrt, aber ihre radiotronischen Botschaften. Und nun befand sich die terrestrische Armada mit 10.000 Raumschiffen und einer halben Million Raumkämpfern da draußen, außerhalb der Plutobahn, und wartete darauf, die Outsider abzufangen und bis zum Tod zu kämpfen.

Und es würde eine ausgeglichene Schlacht werden, nach den Vorausmeldungen der Männer der fernen Vorpostenlinie zu urteilen, die ihr Leben gegeben hatten, um – vor ihrem Tod – über die Größe und Stärke der fremden Flotte zu berichten.

Es war die Schlacht von jedermann, und die Herrschaft über das Sonnensystem hing dabei in der Schwebe, zu ausgeglichenen Chancen. Eine letzte und einzige Chance, denn die Erde und alle ihre Kolonien würden völlig der Gnade der Outsider ausgeliefert sein, falls sie diesen Spießrutenlauf überstanden.

Oh ja, daran erinnerte sich Bob Carson jetzt. Er erinnerte sich an diese schrille Glocke und seinen Sprung zum Kontrollpaneel. Er hatte beim Anschnallen im Sitz hektisch gefummelt. Der Punkt auf dem Sichtschirm, der größer geworden war. Die Trockenheit seines Mundes. Das schreckliche Wissen, daß es dies jetzt zumindest für ihn war, denn die Hauptflotten befanden sich immer noch außer Reichweite voneinander.

Dies war sein erster Vorgeschmack der Schlacht! Innerhalb von drei Sekunden würde er siegreich sein, oder ein verkohlter Schlackebrocken. Ein Treffer würde ein leicht bewaffnetes und gepanzertes Einmannschiff wie einen Aufklärer völlig erledigen.

Hektisch – während seine Lippen das Wort „Eins“ formten – hatte er an den Kontrollen gearbeitet, um diesen wachsenden Punkt im durchkreuzten Spinnennetz seines Sichtschirms zu halten. Seine Hände taten das, während sein rechter Fuß über dem Pedal schwebte, das den Schuß abfeuern würde. Den einzelnen Strahl aus konzentrierter Hölle, der treffen mußte – oder sonst. Es würde keine Zeit für einen zweiten Schuß geben.

„Zwei.“ Daß er das gesagt hatte, hatte er auch nicht gewußt. Der Punkt auf dem Sichtschirm war jetzt kein Punkt mehr. Nur ein paar tausend Kilometer entfernt, erschien er in der Vergrößerung des Schirms, als ob er nur ein paar hundert Meter entfernt wäre. Es war ein schneller kleiner Aufklärer, ungefähr von der Größe seines eigenen.

Ein fremdes Schiff, ja wirklich!

„Dr–“ Sein Fuß berührte das Schußauslösepedal.

Und dann war der Outsider plötzlich ausgeschert und aus dem Fadenkreuz weg. Carson drückte hektisch Tasten, um ihm zu folgen.

Für eine Zehntelsekunde war er ganz aus dem Sichtschirm verschwunden, und dann, als die Nase seines Aufklärers hinter ihm her schwang, sah er ihn wieder, wie er geradewegs auf den Boden zustürzte.

Den Boden?

Es war eine Art optische Illusion. Es mußte eine sein: dieser Planet – oder was immer es war -, der nun den Sichtschirm ausfüllte, konnte nicht da sein. Auf keinen Fall! Es gab keinen näheren Planeten als den viereinhalb Milliarden Kilometer entfernten Neptun – mit Pluto auf der gegenüberliegenden Seite der fernen, stecknadelkopfgroßen Sonne.

Seine Detektoren! Sie hatten kein Objekt von planetarischer Größe angezeigt, nicht einmal von Asteroidengröße, und taten es immer noch nicht.

Es konnte nicht da sein, dieses was-immer-es-war, auf das er zustürzte, nur wenige hundert Kilometer unter ihm.

In seinem plötzlichen Bemühen um die Verhinderung des Aufschlags vergaß er das Outsiderschiff. Er feuerte die vorderen Bremsraketen ab, und noch während die plötzliche Geschwindigkeitsänderung ihn nach vorne in die Sitzgurte warf, feuerte er für eine Notwende voll nach rechts. Drückte sie nieder und hielt sie nieder, wissend, daß er alles brauchte, was das Schiff hatte, um den Absturz zu verhindern, und daß eine so plötzliche Wende für einen Moment einen Blackout bewirken würde.

Sie bewirkte keinen Blackout.

Und das war alles. Nun saß er im heißen blauen Sand, splitternackt, aber ansonsten unverletzt. Kein Zeichen von seinem Raumschiff – und auch nicht vom Weltraum. Diese Wölbung über ihm war kein Himmel, was immer sie auch sonst sein mochte.

Er stand auf.

Die Schwerkraft schien ein wenig mehr als erdnormal zu sein. Nicht viel mehr.

Ebener Sand, der sich um ihn erstreckte, ein paar dürre Büsche in Ansammlungen hier und dort. Die Büsche waren ebenfalls blau, aber in verschiedenen Schattierungen, manche heller als das Blau des Sandes, manche dunkler.

Unter dem nächsten Busch rannte ein kleines Wesen hervor, das wie eine Eidechse aussah, nur daß es mehr als vier Beine hatte. Es war ebenfalls blau. Hellblau. Es sah ihn und rannte wieder unter den Busch zurück.

Er schaute wieder auf und versuchte, festzustellen, was da über ihm war. Es war nicht wirklich ein Dach, aber es war kuppelförmig. Es flackerte und war schwer anzusehen. Aber es wölbte sich definitiv zu Boden, zu dem blauen Sand überall um ihn.

Er war nicht weit von der Stelle unter der Mitte der Kuppel entfernt. Er schätzte, daß es etwa hundert Meter zur nächsten Wand war, falls es eine Wand war. Es war, als wäre eine blaue Hemisphäre von ungefähr zweihundertfünfzig Meter Durchmesser über die ebene Sandfläche gestülpt worden.

Und alles war blau, mit Ausnahme eines Objekts. Da drüben nahe der gekrümmten Wand auf der anderen Seite lag ein rotes Objekt. Ungefähr kugelförmig, schien es ungefähr einen knappen Meter Durchmesser zu haben. Zu weit entfernt, als daß er es durch die flackernde Bläue genau sehen konnte.

Aber er schauderte unerklärlicherweise.

Er wischte sich mit dem Handrücken Schweiß von seiner Stirn, oder versuchte es.

War das ein Traum, ein Alptraum? Diese Hitze, dieser Sand, dieses vage Gefühl des Schreckens, das er empfand, wenn er zu diesem roten Ding hinüberschaute?

Ein Traum? Nein, inmitten einer Raumschlacht schlief man nicht ein und träumte.

Tod? Nein, niemals. Falls es eine Unsterblichkeit gab, dann würde sie keine sinnlose Sache wie das sein, etwas aus blauer Hitze und blauem Sand und rotem Schrecken.

Dann hörte er die Stimme.

In seinem Kopf hörte er sie, nicht mit seinen Ohren. Sie kam von nirgendwo oder von überall her.

„Durch Räume und Dimensionen wanderte ich“, erklangen die Worte in seinem Geist, „und in diesem Raum und in dieser Zeit finde ich zwei Völker, die kurz davor stehen, eines davon auszurotten und damit das andere so zu schwächen, daß es sich zurückentwickeln und niemals seine Bestimmung erfüllen, sondern verfallen und zu dem geistlosen Staub zurückkehren würde, aus dem es kam. Und ich sage, das darf nicht geschehen.“

„Wer… was bist du?“ Carson sagte es nicht laut, sondern die Frage formte sich in seinem Gehirn.

„Du würdest es nicht völlig verstehen. Ich bin –“ es gab eine Pause, als würde die Stimme – in Carsons Gehirn – nach einem Wort suchen, das nicht da war, ein Wort, das er nicht kannte. „Ich bin der Endpunkt der Evolution einer so alten Rasse, daß die Zeit nicht in Worten ausgedrückt werden kann, die für deinen Geist Bedeutung haben. Eine Rasse, die zu einer einzigen, ewigen Wesenheit verschmolzen ist. Ein Wesen, wie es deine primitive Rasse werden könnte“ – wieder das Suchen nach einem Wort – „Zeit ab jetzt. Das könnte auch die Rasse werden, die du in deinem Geist die Outsider nennst. Daher greife ich in die kommende Schlacht ein, die Schlacht zwischen Flotten mit so ausgeglichenen Kräften, daß die Vernichtung beider Rassen die Folge sein wird. Eine muß überleben. Eine muß fortschreiten und sich entwickeln.“

„Eine?“ dachte Carson. „Meine oder…?“

„Es liegt in meiner Macht, den Krieg zu verhindern, die Outsider in ihre Galaxis zurückzuschicken. Aber sie würden zurückkommen, oder deine Rasse würde ihnen früher oder später dorthin folgen. Nur indem ich in diesem Raum und in dieser Zeit bliebe, um ständig einzugreifen, könnte ich sie daran hindern, einander zu vernichten, und ich kann nicht bleiben. Daher werde ich jetzt eingreifen. Ich werde eine Flotte völlig vernichten, ohne Verlust für die andere. Eine Zivilisation wird somit überleben.“

Ein Alptraum. Das mußte ein Alptraum sein, dachte Carson. Aber er wußte, daß es keiner war. Es war zu verrückt, zu unmöglich, um irgendetwas anderes als wirklich zu sein.

Er wagte nicht, die Frage zu stellen: welche? Aber seine Gedanken fragten für ihn.

„Der Stärkere soll überleben“, sagte die Stimme. „Das kann ich – und würde ich – nicht ändern. Ich greife bloß ein, um es zu einem vollständigen Sieg zu machen statt eines“ – wieder das Suchen nach einem Wort – „Pyrrhussieges für eine gebrochene Rasse. Von den Rändern der noch nicht begonnenen Schlacht wählte ich zwei Individuen aus, dich und einen Outsider. Ich erkenne aus deinem Geist, daß es in eurer frühen Geschichte der Nationalismen nicht unbekannt war, daß Probleme zwischen Rassen durch Kämpfe zwischen stellvertretenden Vorkämpfern entschieden wurden. Du und dein Gegner steht hier gegeneinander, nackt und unbewaffnet, unter Bedingungen, die für euch beide gleichermaßen unvertraut und unangenehm sind. Es gibt kein Zeitlimit, denn hier gibt es keine Zeit. Der Überlebende ist der Vorkämpfer seiner Rasse. Diese Rasse überlebt.“

„Aber –“ Carsons Protest war zu unartikuliert, um ihn zu äußern, aber die Stimme beantwortete ihn.

„Es ist fair. Die Bedingungen sind solcherart, daß der Zufall der körperlichen Stärke die Sache nicht völlig entscheiden wird. Es gibt eine Barriere. Du wirst verstehen. Hirnleistung und Mut werden wichtiger sein als Stärke. Ganz besonders der Mut, welcher der Wille zum Überleben ist.“

„Aber während dies stattfindet, werden die Flotten –“

„Nein, du bist in einem anderen Raum, einer anderen Zeit. Solange du hier bist, steht die Zeit in dem Universum, das du kennst, still. Ich sehe, daß du dich fragst, ob dieser Ort real ist. Er ist es, und er ist es nicht. So wie ich – für dein begrenztes Verständnis – real und nicht real bin. Meine Existenz ist geistiger und nicht physischer Art. Du sahst mich als einen Planeten; ich hätte ein Stäubchen oder eine Sonne sein können. Aber für dich ist dieser Ort jetzt real. Was du hier erleidest, wird real sein. Und – falls du hier stirbst, wird dein Tod real sein. Falls du stirbst, wird dein Scheitern das Ende deiner Rasse sein. Das ist alles, was du wissen mußt.“

Und die Stimme war verschwunden.

Wieder war er allein, aber nicht allein. Denn als Carson aufschaute, sah er, daß das rote Ding, die Kugel aus Schrecken, von der er nun wußte, daß es der Outsider war, auf ihn zurollte.

Rollte.

Sie schien keine Arme oder Beine zu haben, die er sehen konnte, keine Gesichtszüge. Sie rollte über den Sand mit der Schnelligkeit eines Quecksilbertropfens. Und vor ihr her kam, auf eine Weise, die er nicht verstehen konnte, eine Welle aus übelkeiterregendem Hass.

Carson sah sich verzweifelt um. Ein Stein, der ein paar Fuß entfernt im Sand lag, war das, was einer Waffe am nächsten kam. Er war nicht groß, aber er hatte scharfe Kanten, wie eine Stück aus Feuerstein. Er sah ein wenig wie blauer Feuerstein aus.

Er hob ihn auf und duckte sich, um den Angriff zu empfangen. Es kam schnell, schneller, als er rennen konnte.

Keine Zeit, um darüber nachzudenken, wie er es bekämpfen würde; wie konnte er überhaupt planen, gegen eine Kreatur zu kämpfen, deren Stärken, deren Eigenschaften, deren Kampfweise er nicht kannte? Während sie so schnell rollte, sah sie mehr als je zuvor wie eine perfekte Kugel aus.

Zehn Meter entfernt. Fünf. Und dann stoppte sie.

Vielmehr wurde sie gestoppt. Abrupt plattete sich die ihm zugewandte Seite ab, als wäre sie gegen eine unsichtbare Mauer gestoßen. Sie prallte zurück.

Dann rollte sie wieder vorwärts, aber vorsichtiger. Sie hielt wieder an, an derselben Stelle. Sie versuchte es wieder, ein paar Meter seitwärts versetzt.

Da war irgendeine Art von Barriere. Da klickte in Carsons Geist dieser Gedanke, der von der Wesenheit projiziert worden war, die ihn dorthin gebracht hatte:

– der Zufall der körperlichen Stärke die Sache nicht völlig entscheiden wird. Es gibt eine Barriere.

Ein Kraftfeld natürlich. Nicht das Netz’sche Feld, das der irdischen Wissenschaft bekannt war, denn das glühte und gab ein knisterndes Geräusch von sich. Dieses war unsichtbar und lautlos.

Es war eine Wand, die von einer Seite der umgedrehten Hemisphäre zu anderen verlief; Carson brauchte das nicht selbst zu überprüfen. Der Roller tat das, rollte seitwärts entlang der Barriere und suchte einen Durchbruch darin, der nicht da war.

Carson machte ein halbes Dutzend Schritte nach vorne, seine linke Hand tastend vor sich gestreckt, und berührte die Barriere. Sie fühlte sich glatt an, nachgiebig, eher wie Gummi statt wie Glas, fühlte sich warm an, aber nicht wärmer als der Sand unter seinen Füßen. Und sie war völlig unsichtbar, selbst aus der Nähe.

Er ließ den Stein fallen und drückte mit beiden Händen dagegen. Sie schien nachzugeben, nur ein bißchen, aber nicht weiter als ein bißchen, selbst als er mit seinem ganzen Gewicht drückte. Sie fühlte sich wie eine stahlverstärkte Gummifläche an. Begrenzte Elastizität, und dann unnachgiebige Stärke.

Er stellte sich auf die Zehenspitzen und griff so hoch, wie er konnte, und die Barriere war immer noch da.

Er sah den Roller zurückkommen, nachdem er eine Seite der Arena erreicht hatte. Das Gefühl der Übelkeit traf Carson wieder, und er trat von der Barriere zurück, als er vorbeikam. Er hielt nicht an.

Aber hörte die Barriere auf Bodenhöhe auf? Carson kniete nieder und wühlte im Sand; er war so leicht, man konnte leicht darin graben. Und zwei Fuß weiter unten war die Barriere immer noch da.

Der Roller kam wieder zurück. Offenbar konnte er an beiden Seiten keinen Weg hindurch finden.

Es muß einen Weg hindurch geben, dachte, Carson, sonst ist dieses Duell sinnlos. –

Der Roller war nun zurück und hielt ihm gegenüber jenseits der Barriere an, nur knapp zwei Meter entfernt. Er schien ihn zu studieren, obwohl Carson nicht um alles in der Welt äußere Anzeichen von Sinnesorganen an dem Ding finden konnte. Nichts, das wie Augen oder Ohren aussah, oder auch nur wie ein Mund. Es gab jedoch, wie er bemerkte, eine Anzahl von Furchen, insgesamt vielleicht ein Dutzend, und er sah, wie zwei Tentakeln aus zwei der Furchen hervorkamen und in den Sand eintauchten, als würden sie dessen Beschaffenheit prüfen. Diese hatten etwa zweieinhalb Zentimeter Durchmesser und waren vielleicht einen halben Meter lang.

Die Tentakel waren in die Furchen einziehbar und wurden dort gehalten, außer wenn sie benutzt wurden. Sie zogen sich zurück, wenn das Ding rollte, und schienen nichts mit seiner Fortbewegungsmethode zu tun zu haben; diese schien, soweit Carson das beurteilen konnte, durch irgendeine Verlagerung seines Schwerpunkts – wie, konnte er sich nicht vorstellen – bewerkstelligt zu werden.

Er schauderte, als er das Ding ansah. Es war fremdartig, schrecklich verschieden von allem auf Erden oder irgendeiner der Lebensformen, die auf den anderen solaren Planeten zu finden waren. Instinktiv wußte er, daß sein Geist so fremdartig war wie sein Körper.

Wenn es diese fast greifbare Welle von Hass projizieren konnte, dann konnte es vielleicht auch seine Gedanken lesen, ausreichend für seinen Zweck.

Bewußt hob Carson den Stein auf, der seine einzige Waffe gewesen war, warf ihn dann in einer Geste des Verzichts wieder zu Boden und hob seine leeren Hände mit den Handflächen nach oben vor sich.

Er sprach laut, wissend, daß die Worte, auch wenn sie für die Kreatur vor ihm bedeutungslos waren, durch das Aussprechen seine eigenen Gedanken vollständiger auf die Botschaft fokussieren würden.

„Können wir nicht Frieden zwischen uns haben?“ sagte er, und seine Stimme klang seltsam in der Stille. „Das Wesen, das uns hierher gebracht hat, hat uns gesagt, was geschehen muß, wenn unsere Rassen gegeneinander kämpfen – Ausrottung für die eine und Schwächung und Zurückentwicklung für die andere. Die Schlacht zwischen ihnen, sagte die Wesenheit, hängt von dem ab, was wir hier tun. Warum können wir uns nicht auf einen ewigen Frieden einigen – deine Rasse in ihrer Galaxis, wir in unserer?“

Carson verbannte alle Gedanken aus seinem Kopf, um eine Antwort zu empfangen.

Sie kam, und sie ließ ihn körperlich zurücktaumeln. Er wich in schierem Entsetzen über die Intensität der Mordlust in den auf ihn projizierten roten Bildern mehrere Schritte zurück. Einen Moment lang, der wie eine Ewigkeit erschien, mußte er gegen die Wirkung dieses Hasses kämpfen, seinen Geist davon befreien und die fremden Gedanken daraus vertreiben, denen er Zutritt gewährt hatte. Er empfand Brechreiz.

Sein Geist klärte sich langsam. Er atmete schwer und fühlte sich schwächer, aber er konnte denken. Er stand da und studierte den Roller. Dieser war während des geistigen Duells, das er beinahe gewonnen hätte, regungslos gewesen. Nun rollte er ein paar Fuß nach einer Seite, zum nächsten der blauen Büsche. Drei Tentakel schnellten aus ihren Furchen und begannen den Busch zu untersuchen.

„O.K.“, sagte Carson, „das heißt also Krieg.“ Er brachte ein Grinsen zustande. „Wenn ich deine Antwort richtig verstanden habe, hat Frieden keinen Reiz für dich.“ Und weil er immerhin ein junger Mann war und dem Impuls, dramatisch zu sein, nicht widerstehen konnte, fügte er hinzu: „Bis zum Tod!“

Aber seine Stimme klang in dieser völligen Stille sogar für ihn selbst albern. Es kam ihm dann zu Bewußtsein, daß „bis zum Tod“ nicht nur seinen eigenen Tod bedeutete, oder jenen des roten kugelförmigen Dings, das er den Roller nannte, sondern den Tod für die gesamte Rasse des einen oder anderen von ihnen: das Ende der menschlichen Rasse, falls er versagte.

Es machte ihn plötzlich sehr demütig und sehr verängstigt, daran zu denken. Mit einem Wissen, das sogar über dem Glauben stand, wußte er, daß die Wesenheit, die dieses Duell arrangiert hatte, die Wahrheit über ihre Absichten und ihre Macht gesagt hatte. Die Zukunft der Menschheit hing von ihm ab. Es war schrecklich, das zu erkennen. Er mußte sich auf die unmittelbare Situation konzentrieren.

Es mußte irgendeinen Weg geben, durch die Barriere zu gelangen oder durch die Barriere zu töten.

Geistig? Er hoffte, daß das nicht alles war, denn der Roller hatte offensichtlich stärkere telepathische Kräfte als die unentwickelten der menschlichen Rasse. Oder nicht?

Er war in der Lage gewesen, die Gedanken des Rollers aus seinem eigenen Geist zu vertreiben; konnte dieser die seinen vertreiben? Wenn seine Fähigkeit zu projizieren stärker war, konnte es dann nicht sein, daß sein Empfangsmechanismus verwundbarer war?

Er starrte ihn an und bemühte sich, all seine Gedanken auf ihn zu konzentrieren. „Stirb“, dachte er. „Du wirst sterben, Du stirbst. Du –“

Er versuchte Varianten davon, und geistige Bilder. Schweiß stand auf seiner Stirn, und er bemerkte, daß er von der Intensität der Anstrengung zitterte. Aber der Roller machte mit seiner Untersuchung des Busches weiter, so völlig unbeeinträchtigt, als hätte Carson die Multipilkationstabelle aufgesagt.

Das nützte also nichts.

Er fühlte sich schwindlig von der Hitze und seinem angestrengten Bemühen um Konzentration. Er setzte sich auf den blauen Sand und widmete seine ganze Aufmerksamkeit dem Studium des Rollers. Durch das Studium konnte er vielleicht seine Stärke beurteilen und seine Schwächen aufspüren, Dinge erfahren, die wertvoll zu wissen sein würden, falls es zur Auseinandersetzung zwischen ihnen kommen sollte.

Es brach Zweige ab. Carson beobachtete es genau und versuchte zu beurteilen, wie schwer es daran arbeitete. Später, dachte er, konnte er einen ähnlichen Busch auf seiner Seite suchen, selbst Zweige von gleicher Dicke abbrechen und einen Vergleich zwischen der körperlichen Stärke seiner eigenen Arme und Hände und jener Tentakel bekommen.

Die Zweige waren schwer abzubrechen; der Roller hatte Mühe mit jedem einzelnen. Jeder Tentakel, sah er, gabelte sich an der Spitze in zwei Finger, jeder mit einem Nagel oder einer Klaue am Ende. Die Klauen schienen nicht besonders lang oder gefährlich zu sein, oder nicht mehr als seine eigenen Fingernägel, wenn er sie ein bißchen wachsen ließ.

Nein, insgesamt sah es nicht allzu schwer aus, körperlich mit ihm fertigzuwerden. Natürlich nur, falls dieser Busch nicht aus ziemlich festem Material bestand. Carson schaute sich um; in seiner Reichweite war ein weiterer Busch desselben Typs.

Er riß einen Zweig ab. Er war sehr spröde, leicht zu brechen. Natürlich konnte der Roller absichtlich Mühe vorgetäuscht haben, aber der dachte nicht, daß es so war. Andererseits, wo war er verwundbar? Wie würde er es angehen, ihn zu töten, falls er die Chance bekäme? Er studierte ihn wieder. Die Außenhaut sah ziemlich fest aus; er würde irgendeine scharfe Waffe brauchen. Er hob das Stück Stein wieder auf. Es war etwa dreißig Zentimeter lang und an einem Ende ziemlich scharf. Wenn er davon Späne abschlug wie bei Feuerstein, konnte er ein brauchbares Messer daraus machen.

Der Roller setzte seine Untersuchung der Büsche fort. Er rollte weiter zum nächstgelegenen einer anderen Art. Eine kleine blaue Eidechse, vielbeinig wie diejenige, die Carson auf seiner Seite der Barriere gesehen hatte, flitzte unter dem Busch hervor.

Ein Tentakel des Rollers schlug zu und fing sie, hob sie hoch. Ein weiterer Tentakel schnellte hinzu und begann der Echse Beine auszureißen, so kalt, wie er Zweige des Busches abgerissen hatte. Die Kreatur zappelte verzweifelt und stieß ein schrilles Quieken aus, das das erste Geräusch war, das Carson hier außer dem Klang seiner eigenen Stimme gehört hatte.

Carson zwang sich dazu weiter zuzusehen; alles, was er über seinen Gegner erfahren konnte, könnte sich als wertvoll erweisen, sogar Wissen über seine unnötige Grausamkeit – besonders, dachte er mit einer plötzlichen Emotion, Wissen über seine unnötige Grausamkeit. Das würde es zu einem Vergnügen machen, das Ding zu töten, falls und wenn die Chance kam.

Als die Hälfte ihrer Beine weg war, hörte die Echse mit dem Quieken auf und lag schlaff im Griff des Rollers. Dieser machte nicht mit dem Rest der Beine weiter. Verächtlich warf er die tote Echse weg, in Carsons Richtung. Die Echse flog in hohem Bogen durch die Luft zwischen ihnen und landete zu seinen Füßen.

Sie war durch die Barriere gekommen! Die Barriere war nicht mehr da! Carson war sofort auf den Füßen, das Messer fest gepackt, und sprang vorwärts. Er würde diese Sache hier und jetzt klären! Wo die Barriere verschwunden war – aber sie war nicht verschwunden. Er fand das auf die harte Tour heraus, indem er mit dem Kopf gegen sie rannte und sich beinahe bewußtlos stieß. Er prallte zurück und fiel.

Als er sich aufsetzte und den Kopf schüttelte, um klar zu werden, sah er etwas durch die Luft auf sich zukommen und warf sich wieder flach auf den Sand, nach einer Seite. Er brachte seinen Körper aus der Flugbahn, aber es gab einen plötzlichen scharfen Schmerz in seiner linken Wade.

Er rollte rückwärts, ignorierte den Schmerz und rappelte sich auf. Es war ein Stein, sah er nun, der ihn getroffen hatte. Und der Roller hob einen weiteren auf, schwang ihn zwischen zwei Tentakel gepackt zurück, bereit, wieder zu werfen.

Er segelte durch die Luft auf ihn zu, aber er konnte ihm aus dem Weg gehen. Der Roller konnte anscheinend zielgenau werfen, aber weder fest noch weit. Der erste Stein hatte ihn nur getroffen, weil er am Boden saß und ihn nicht kommen gesehen hatte, bis er ihn fast erreicht hatte.

Noch während er diesem schwachen zweiten Wurf auswich, holte Carson mit seinem rechten Arm aus und ließ den Stein fliegen, der immer noch in seiner Hand war. Wenn Geschosse die Barriere durchqueren konnten, dachte er euphorisch, dann können zwei das Wurfspiel mit ihnen machen.

Er konnte eine Kugel von knapp einem Meter Durchmesser auf vier Meter Entfernung nicht verfehlen, und er verfehlte sie nicht. Der Stein zischte gerade durch die Luft, und mit der mehrfachen Geschwindigkeit der Geschosse, die der Roller geworfen hatte. Er traf genau die Mitte, aber er traf flach auf statt mit der Spitze voran. Aber er traf mit einem lauten Bums und tat offensichtlich weh. Der Roller hatte nach einem weiteren Stein gegriffen, änderte aber seine Meinung und zog sich stattdessen zurück. Bis Carson einen weiteren Stein aufheben und werfen konnte, war der Roller vierzig Meter von der Barriere entfernt und immer noch in schneller Bewegung.

Carsons zweiter Wurf verfehlte um etwa einen Meter, und sein dritter Wurf war zu kurz. Der Roller war außer Reichweite jedes Geschosses, das schwer genug war, um Schaden zuzufügen.

Carson grinste. Diese Runde war an ihn gegangen.

Er hörte mit dem Grinsen auf, als er sich vorbeugte, um seine Wade zu untersuchen. Eine gezackte Kante des Steins hatte einen etliche Zentimeter langen Schnitt verursacht. Er blutete ziemlich, aber Carson dachte nicht daß er tief genug gegangen war, um eine Arterie zu treffen. Wenn es von selber zu bluten aufhörte, dann schön und gut. Falls nicht, steckte er in Schwierigkeiten.

Eine Sache herauszufinden hatte jedoch Vorrang gegenüber diesem Schnitt: die Natur der Barriere.

Er ging wieder zu ihr und hielt diesmal seine Hände tastend vor sich. Er berührte sie mit einer Hand und warf mit der anderen eine Handvoll Sand dagegen. Der Sand ging durch, seine Hand nicht.

Organische Materie versus anorganische? Nein, denn die tote Echse war hindurchgeflogen, und eine Echse, ob lebend oder tot, war gewiß organisch. Pflanzenleben? Er brach einen Zweig ab und stieß damit gegen die Barriere. Der Zweig ging ohne Widerstand durch, aber als seine Finger, die den Zweig hielten, die Barriere erreichten, wurden sie aufgehalten.

Er konnte nicht hindurch, und genauso wenig der Roller. Aber Steine und Sand und eine tote Echse… Was ist mit einer lebenden Echse?

Er machte sich unter den Büschen auf die Jagd, bis er eine fand, und fing sie. Er warf sie gegen die Barriere, und sie prallte ab und huschte über den blauen Sand davon.

Das gab ihm die Antwort, soweit er sie jetzt feststellen konnte. Der Schirm war eine Barriere für Lebendes. Tote oder anorganische Materie konnte ihn durch queren.

Nachdem er das geklärt hatte, betrachtete Carson wieder sein verletztes Bein. Das Bluten ließ nach, was bedeutete, daß er sich nicht um die Herstellung eines Druckverbandes zu kümmern brauchte. Aber er sollte etwas Wasser finden, falls welches verfügbar war, um die Wunde zu säubern.

Wasser – der Gedanke ließ ihn erkennen, daß er schrecklich durstig wurde. Er würde Wasser finden müssen für den Fall, daß diese Auseinandersetzung sich in die Länge zog.

Leicht humpelnd begann er seine Hälfte der Arena zu umkreisen. Sich mit einer Hand an der Barriere entlang tastend, ging er nach rechts, bis er zu der gekrümmten Wand kam. Sie war sichtbar, aus der Nähe gesehen ein stumpfes Blaugrau, und ihre Oberfläche fühlte sich genau wie die zentrale Barriere an.

Er experimentierte, indem er eine Handvoll Sand dagegen warf, und der Sand erreichte die Wand und verschwand, als er hindurchging. Die halbkugelige Schale war ebenfalls ein Kraftfeld, aber ein undurchsichtiges statt eines durchsichtigen wie die Barriere.

Er folgte ihm rundherum, bis er zur Barriere zurückkam, und ging an dieser entlang zurück zu der Stelle, von der er losgegangen war.

Kein Zeichen von Wasser.

Nun besorgt, begann er eine Reihe von Zickzackgängen zwischen der Barriere und der Wand, die den Raum dazwischen gründlich abdeckten.

Kein Wasser. Blauer Sand, blaue Büsche und unerträgliche Hitze. Sonst nichts.

Es mußte seine Einbildung sein, dachte er, daß er so unter Durst litt. Wie lange war er schon hier gewesen? Natürlich gar keine Zeit nach seinem eigenen Raumzeit-Bezugsrahmen. Die Wesenheit hatte ihm gesagt, daß die Zeit da draußen stillstand, während er hier war. Aber seine Körperprozesse liefen hier genauso weiter. Wie lange war er nach der Zeitrechnung seines Körpers hier gewesen? Drei oder vier Stunden vielleicht. Sicherlich nicht lange genug, um unter Durst zu leiden.

Und doch litt er darunter; seine Kehle war trocken und ausgedörrt. Wahrscheinlich war die intensive Hitze die Ursache. Eine trockene, stille Hitze ohne die leichteste Luftbewegung.

Er humpelte ziemlich schlimm und war völlig erschöpft, als er die vergebliche Erforschung seines Bereichs vollendet hatte.

Er starrte zu dem regungslosen Roller hinüber und hoffte, daß der sich genauso elend fühlte wie er. Die Wesenheit hatte gesagt, daß die Bedingungen hier für sie beide in gleichem Maß unvertraut und unangenehm waren. Vielleicht kam der Roller von einem Planeten, wo zweihundert Grad Fahrenheit die Norm waren; vielleicht fror er, während Carson geröstet wurde. Vielleicht war die Luft für ihn genauso sehr zu dick, wie sie für Carson zu dünn war. Denn die Anstrengung seiner Erforschung hatten ihn keuchen lassen. Die Atmosphäre hier, erkannte er, war nicht viel dichter als auf dem Mars.

Kein Wasser, das bedeutete für ihn auf jeden Fall eine begrenzte Frist. Sofern er nicht einen Weg fand, diese Barriere zu durchqueren oder seinen Feind von dieser Seite davon zu töten, würde der Durst ihn schließlich umbringen. Das gab ihm ein Gefühl der verzweifelten Dringlichkeit, aber er zwang sich dazu, sich einen Moment hinzusetzen, um sich auszuruhen und zu denken.

Was war zu tun? Nichts, und doch so viele Dinge. Die mehreren Sorten von Büschen zum Beispiel; sie sahen nicht vielversprechend aus, aber er würde sie nach Möglichkeiten untersuchen müssen. Und sein Bein – er würde deswegen etwas tun müssen, selbst ohne Wasser, um es zu reinigen; Munition in Form von Steinen sammeln; einen Stein finden, der ein gutes Messer abgeben würde. Sein Bein schmerzte jetzt ziemlich schlimm, und er entschied, daß das an erster Stelle kam. Eine Art von Büschen hatte Blätter – oder etwas Ähnliches wie Blätter. Er pflückte eine Handvoll davon und beschloß nach deren Untersuchung, es mit ihnen zu riskieren. Er benutzte sie, um den Sand und Schmutz und das getrocknete Blut abzuwischen und machte dann Kissen aus frischen Blättern und band es mit Ranken von demselben Busch über die Wunde.

Die Ranken erwiesen sich als unerwartet zäh und stark. Sie waren schlank und biegsam, doch er konnte sie überhaupt nicht zerreißen, und er mußte sie mit der scharfen Kante des blauen Feuersteins vom Busch absägen. Einige der dickeren waren über dreißig Zentimeter lang, und er speicherte für die Zukunft in seinem Gedächtnis, daß ein Bündel der dickeren zusammengeknüpft ein recht brauchbares Seil abgeben würde. Vielleicht würde ihm eine Verwendung für ein Seil einfallen.

Als nächstes machte er sich ein Messer. Der blaue Feuerstein ließ sich behauen. Aus einem fußlangen Splitter davon fertigte er sich eine grobe, aber tödliche Waffe. Und aus Ranken von dem Busch machte er sich ein Seil als Gürtel, in den er das Feuersteinmesser stecken konnte, um es die ganze Zeit bei sich zu haben und doch die Hände frei zu haben.

Er machte sich wieder an das Studium der Büsche. Es gab drei andere Arten. Eine war unbelaubt, trocken, spröde, ziemlich wie trockene Steppenroller. Eine weitere bestand aus weichem, bröseligem Holz, fast wie Rohrkolben. Es sah aus und fühlte sich so an, als würde es exzellenten Zunder für ein Feuer abgeben. Die dritte Art war die holzähnlichste. Sie hatte empfindliche Blätter, die bei Berührung verwelkten, aber die Stengel waren, wenngleich kurz, gerade und stark.

Es war schrecklich, unerträglich heiß.

Er humpelte zu Barriere und tastete, um sicherzugehen, daß sie noch da war. Er stand da und beobachtete den Roller eine Weile; er hielt sich in sicherer Distanz von der Barriere, außerhalb der wirksamen Steinwurfweite. Er bewegte sich da hinten herum und tat etwas. Carson konnte nicht erkennen, was er tat.

Einmal hörte der Roller mit den Bewegungen auf, kam ein wenig näher und schien seine Aufmerksamkeit auf Carson zu konzentrieren. Wiederum mußte Carson eine Welle der Übelkeit abwehren. Er warf einen Stein auf ihn; der Roller zog sich zurück und machte wieder mit dem weiter, was er zuvor getan hatte.

Wenigstens konnte er ihn dazu zwingen, sich auf Distanz zu halten. Und, dachte er bitter, das brachte ihm viel. Gleichwohl verbrachte er die nächsten ein, zwei Stunden damit, Steine von geeigneter Größe für das Werfen zu sammeln, und machte mehrere Haufen davon auf seiner Seite der Barriere.

Seine Kehle brannte nun. Es fiel ihm schwer, an etwas anderes als Wasser zu denken. Aber er mußte über andere Dinge nachdenken, darüber, durch diese Barriere zu kommen, oder darunter hindurch oder darüber hinweg, an diese rote Kugel heranzukommen und sie zu töten, bevor dieser Ort der Hitze und des Durstes ihn tötete.

Die Barriere reichte an beiden Seiten die Wand hinauf, aber wie hoch, und wie weit unter den Sand?

Einen Moment lang war Carsons Geist zu benommen, um sich auszudenken, wie er eines dieser Dinge herausfinden konnte. Müßig im heißen Sand sitzend – und er erinnerte sich nicht, sich hingesetzt zu haben – sah er zu, wie eine blaue Echse aus der Deckung eines Busches zur Deckung eines anderen krabbelte. Unter dem zweiten Busch hervor sah sie ihn an.

Carson grinste sie an und erinnerte sich an die alte Geschichte von den Wüstenkolonisten auf dem Mars, die von einer anderen Geschichte von der Erde entlehnt war – „Recht bald wird man so einsam, daß man sich dabei ertappt, wie man mit den Eidechsen redet, und nicht so lange danach fangen die Eidechsen an, mit einem zu reden…“

Er hätte sich natürlich darauf konzentrieren sollen, wie der Roller zu töten war, aber stattdessen grinste er die Echse an und sagte: „Hallo du.“

Die Echse machte ein paar Schritte auf ihn zu. „Hallo“, sagte sie.

Carson war einen Moment lang verblüfft, dann warf er den Kopf zurück und brüllte vor Lachen. Das tat seiner Kehle auch nicht weh; er war nicht so durstig gewesen.

Warum nicht? Warum sollte die Wesenheit, die sich diesen Alptraum von einem Ort ausgedacht hatte, keinen Sinn für Humor haben, zusammen mit den anderen Kräften, die sie hatte? Sprechende Eidechsen, die in meiner eigenen Sprache antworten können, wenn ich mit ihnen rede – das ist ein netter Touch.

Er grinste die Echse an und sagte: „Komm her.“ Aber die Echse wandte sich um und rannte weg, huschte von Busch zu Busch, bis sie außer Sicht war.

Er mußte an der Barriere vorbeikommen. Er konnte nicht durch sie hindurch oder über sie hinweg, aber war er sicher, daß er nicht unter ihr hindurchkonnte? Und wo er so darüber nachdachte, fand man nicht manchmal beim Graben Wasser?

Unter Schmerzen humpelte Carson zur Barriere und begann zu graben, schaufelte immer zwei Hände voll Sand auf einmal weg. Es war eine langsame Arbeit, weil der Sand an den Rändern hineinrieselte, und je tiefer er kam, desto größer mußte der Durchmesser des Loches sein. Wie viele Stunden er brauchte, wußte er nicht, aber er stieß in einer Tiefe von vier Fuß auf Grundgestein: trockenes Grundgestein ohne Anzeichen von Wasser.

Das Kraftfeld der Barriere reichte bis auf das Grundgestein hinunter.

Er kroch aus dem Loch und lag keuchend da, dann hob er den Kopf, um hinüberzuschauen, was der Roller gerade tat.

Er machte etwas aus Holz von den Büschen, mit Ranken zusammengebunden, einen seltsam geformten Rahmen von etwa vier Fuß Höhe und ungefähr rechteckig. Um ihn besser zu sehen, kletterte Carson auf den Sandhügel, den er beim Graben aufgehäuft hatte, und starrte von dort hinüber.

Zwei lange Hebel ragten hinten aus dem Ding, einer mit einem schalenförmigen Gebilde am Ende. Scheint eine Art Katapult zu sein, dachte Carson.

Und tatsächlich hob der Roller einen großen Stein in die Schale. Einer seiner Tentakel bewegte den Hebel eine Weile auf und ab, und dann drehte er die Maschine ein wenig, zielte damit, und der Hebel mit dem Stein flog hoch und nach vorne.

Der Stein flog im Bogen mehrere Meter über Carsons Kopf hinweg, so weit entfernt, daß er sich nicht zu ducken brauchte, aber er schätzte die Distanz ein, die er geflogen war, und pfiff leise. Er konnte einen Stein mit diesem Gewicht nicht einmal halb so weit werfen. Und selbst ein Rückzug in den hinteren Teil seines Bereichs würde ihn nicht außer Reichweite dieser Maschine bringen, wenn der Roller ihn nach vorn zur Barriere schob.

Ein weiterer Stein sauste über ihn hinweg, diesmal nicht so weit entfernt.

Während er sich entlang der Barriere von einer Seite zur anderen bewegte, damit das Katapult sich nicht auf ihn einschießen konnte, schleuderte er ein Dutzend Steine auf es. Aber da würde nichts nützen, erkannte er. Es mußten leichte Steine sein, sonst konnte er sie nicht so weit werfen. Wenn sie den Rahmen trafen, prallten sie harmlos ab. Der Roller hatte auf diese Distanz keine Schwierigkeiten, jenen auszuweichen, die ihm nahe kamen. Außerdem ermüdete Carsons Arm schnell. Ihm tat alles weh.

Er stolperte in den hinteren Bereich der Arena zurück. Selbst das brachte nichts; die Steine reichten auch dorthin, nur daß die Intervalle zwischen ihnen länger waren, als würde es länger dauern, den wie auch immer gearteten Mechanismus des Katapults zu spannen.

Müde schleppte Carson sich wieder an die Barriere zurück. Mehrmals fiel er hin und konnte kaum wieder auf die Füße kommen, um weiterzugehen. Er war, das wußte er, an der Grenze seines Durchhaltevermögens. Doch er wagte jetzt nicht, mit seiner Bewegung aufzuhören, bis und sofern er dieses Katapult nicht außer Gefecht setzen konnte. Falls er einschlief, würde er nie mehr aufwachen.

Einer der Steine von dem Katapult brachte ihn auf eine Idee. Er traf einen der Haufen von Steinen, die er nahe der Barriere als Munition gesammelt hatte, und schlug Funken.

Funken! Feuer! Der primitive Mensch hatte durch Funkenschlagen Feuer gemacht, und mit etwas von diesen trockenen, bröckeligen Büschen als Zunder…

Ein Busch dieser Art wuchs in seiner Nähe. Er riß ihn aus, nahm ihn mit zu dem Steinhaufen und schlug dann geduldig einen Stein gegen einen anderen, bis ein Funken das zunderähnliche Holz des Busches berührte. Es ging so schnell in Flammen auf, daß seine Augenbrauen versengt wurden, und verbrannte innerhalb von Sekunden zu Asche.

Aber er hatte jetzt die Idee, und innerhalb von Minuten hatte er ein kleines Feuer in Lee des von ihm geschaffenen Sandhügels brennen. Die Zunderbüsche entfachten es, und die anderen Büsche, die langsamer brannten, hielten eine stetige Flamme.

Die zähen Ranken brannten nicht leicht; das machte es leicht, Brandbomben herzustellen und zu werfen; ein Reisigbündel, um einen kleinen Stein gebunden, der ihm Gewicht gab, und eine Schlaufe aus den Ranken, um es daran zu schwingen.

Er machte ein halbes Dutzend davon, bevor er die erste anzündete und warf. Sie flog weit, und der Roller begann einen schnellen Rückzug, bei dem er das Katapult hinter sich herzog. Aber Carson hatte die anderen bereit und warf sie in schneller Folge. Die vierte verkeilte sich im Rahmen des Katapults und erfüllte ihren Zweck. Der Roller versuchte verzweifelt, den sich ausbreitenden Brand zu löschen, indem er Sand darauf warf, aber seine mit Klauen versehenen Tentakel nahmen nur einen Löffelvoll auf einmal auf, und seine Bemühungen waren wirkungslos. Das Katapult brannte.

Der Roller begab sich in sicheren Abstand von dem Feuer und schien seine Aufmerksamkeit auf Carson zu konzentrieren. Wieder fühlte er diese Welle von Hass und Übelkeit – aber schwächer; entweder wurde der Roller selbst schwächer, oder Carson hatte gelernt, sich vor dem geistigen Angriff zu schützen.

Er drehte ihm eine lange Nase und ließ ihn dann mit einem Stein zurück in Sicherheit flitzen. Der Roller bewegte sich in den hinteren Bereich seiner Hälfte der Arena und begann wieder Büsche auszureißen. Wahrscheinlich würde er ein weiteres Katapult bauen.

Carson vergewisserte sich, daß die Barriere immer noch funktionierte, und fand sich dann im Sand daneben sitzen wieder, plötzlich zu schwach, um aufzustehen.

Sein Bein pochte nun stetig, und das Brennen des Dursts war schlimm. Aber diese Dinge verblaßten neben der körperlichen Erschöpfung, die nun seinen ganzen Körper ergriff.

So muß es in der Hölle sein, dachte er, in der Hölle, an die die Alten geglaubt hatten. Er kämpfte darum, wach zu bleiben, und doch schien es vergeblich zu sein, wach zu bleiben, denn es gab nichts, was er tun konnte, solange die Barriere undurchdringlich blieb und der Roller sich hinten außer Reichweite hielt.

Er versuchte sich daran zu erinnern, was er in Archäologiebüchern über die Kampfmethoden gelesen hatte, die in den Zeiten vor dem Metall und Plastik benutzt worden waren. Das steinerne Wurfgeschoß hatte es als erstes gegeben, dachte er. Nun, das hatte er bereits.

Pfeil und Bogen? Nein: er hatte es einmal mit dem Bogenschießen versucht und kannte seine eigene Ungeschicklichkeit selbst mit einer modernen, für Präzision gefertigten Durastahl-Sportwaffe. Mit nur der groben, zusammengestückelten Ausrüstung, die er hier herstellen konnte, bezweifelte er, daß er so weit schießen konnte, wie er einen Stein werfen konnte.

Ein Speer? Nun, den konnte er machen. Er würde auf Distanz nutzlos sein, aber er wäre auf kurze Entfernung ein nützliches Ding, falls er jemals auf Nahdistanz herankam. Einen herzustellen, würde seinen Geist vom Herumwandern abhalten, wie er es gerade zu tun begann.

Er befand sich immer noch neben einem der Steinhaufen. Er klaubte sie durch, bis er einen fand, der ungefähr wie eine Speerspitze geformt war. Mit einem kleineren Stein begann er ihn in zurechtzuschlagen und formte scharfe Schultern an den Seiten, sodaß sie wie eine Harpune nicht wieder herausgezogen werden konnte, wenn sie eindrang. Eine Harpune war für diese verrückte Auseinandersetzung vielleicht besser als ein Speer. Wenn er sie erst einmal in den Roller hineinstoßen konnte und ein Seil daran hatte, konnte er den Roller an die Barriere heranziehen, und die Steinklinge seines Messers würde durch diese Barriere reichen, auch wenn seine Hände nicht hindurchkonnten.

Der Schaft war schwerer herzustellen als die Spitze, aber indem er die Hauptstämme von vier der Büsche spaltete und miteinander verband und die Verbindungsstellen mit den zähen, aber dünnen Ranken umwickelte, bekam er einen etwa vier Fuß langen, starken Schaft und band die Steinspitze in eine Kerbe, die er in ein Ende geschnitten hatte. Das Ding war grob, aber stark.

Aus den Ranken machte er sich eine sechs Meter lange Leite. Sie war leicht und sah nicht stark aus, aber er wußte, daß sie sein Gewicht halten konnte und noch Reserven hatte. Er band ein Ende davon an den Schaft der Harpune und das andere um sein rechtes Handgelenk. Wenn er diese Harpune durch die Barriere warf und verfehlte, würde er sie wenigstens zurückziehen können.

Er versuchte aufzustehen, um zu sehen, was der Roller gerade tat, und fand heraus, daß er nicht auf die Füße kommen konnte. Beim dritten Versuch kam er auf die Knie und fiel dann wieder hin.

„Ich muß schlafen“, dachte er. „Wenn es jetzt zu einem Showdown käme, wäre ich hilflos. Er könnte hierherkommen und mich töten, wenn er es wüßte. Ich muß etwas Kraft zurückgewinnen.“

Langsam und unter Schmerzen kroch er von der Barriere weg.

Die Erschütterung von etwas, das neben ihm auf dem Sand aufschlug, weckte ihn aus einem wirren und entsetzlichen Traum in eine noch wirrere und entsetzlichere Wirklichkeit, und er öffnete seine Augen wieder, um blaues Leuchten über blauem Sand zu sehen.

Wie lange hatte er geschlafen? Eine Minute? Einen Tag?

Ein weiterer Stein schlug näher ein und warf Sand auf ihn. Er brachte seine Arme unter sich und setzte sich auf. Er drehte sich um und sah den Roller zwanzig Meter entfernt an der Barriere. Er rollte hastig davon, als Carson sich aufsetzte, und hielt nicht an, bis er so weit weg war, wie er nur konnte.

Er war zu früh eingeschlafen, erkannt Carson, während er noch in Reichweite der Schüsse des Rollers war. Als er ihn regungslos daliegen sah, hatte er es gewagt, an die Barriere zu kommen. Zum Glück hatte er nicht erkannt, wie schwach Carson war, sonst wäre er dort geblieben und hätte ihn weiter mit Steinen beworfen.

Er begann wieder zu kriechen und zwang sich diesmal, weiterzumachen, bis er so weit weg war, wie er nur konnte, bis die undurchsichtige Wand der Außenschale der Arena nur einen Meter entfernt war. Dann entglitten ihm die Dinge wieder…

Als er erwachte, hatte sich nichts um ihn geändert, aber diesmal wußte er, daß er lange Zeit geschlafen hatte. Das erste, das ihm bewußt wurde, war das Innere seines Mundes; es war trocken, verkrustet. Seine Zunge war geschwollen.

Er wußte, daß etwas stimmte nicht, als er langsam zu vollem Bewußtsein zurückkehrte. Er fühlte sich weniger müde, der Zustand der völligen Erschöpfung war vergangen. Aber da war Schmerz, quälender Schmerz. Erst als er sich zu bewegen versuchte, wußte er, daß er von seinem Bein kam.

Er hob seinen Kopf und schaute darauf hinunter. Es war unterhalb des Knies geschwollen, und die Schwellung war sogar bis zur Hälfte seines Oberschenkels hinauf zu sehen. Die Pflanzenranken, die er um die Schutzpolsterung aus Blättern gebunden hatte, schnitten nun tief in sein Fleisch.

Sein Messer unter diese eingebettete Verschnürung zu bekommen, wäre unmöglich gewesen. Zum Glück lag der Schlußknoten über dem Schienbein, wo die Ranke weniger tief einschnitt als anderswo. Er konnte nach einiger Mühe den Knoten öffnen.

Ein Blick unter den Blätterpolster zeigte ihm das Schlimmste: Infektion und Blutvergiftung. Ohne Medikamente, sogar ohne Wasser, gab es nichts, was er tun konnte, außer zu sterben, wenn das Gift sich in seinem System verbreitete.

Da wußte er, daß es hoffnungslos war, und daß er verloren hatte, und mit ihm die Menschheit. Wenn er hier starb, würden draußen in dem Universum, das er kannte, all seine Freunde, alle, ebenfalls sterben. Die Erde und die kolonisierten Planeten würden zur Heimat der roten, rollenden, fremdartigen Outsider werden.

Es war dieser Gedanke, der ihm Mut gab, zu kriechen anzufangen, beinahe blindlings, wieder auf die Barriere zu, sich mit Armen und Händen voranziehend.

Es gab eine Chance von eins zu einer Million, daß er noch Kraft übrig hätte, wenn er dorthin kam, seinen Harpunenspeer nur einmal zu werfen, mit tödlicher Wirkung, wenn der Roller an die Barriere herankäme oder wenn die Barriere verschwunden wäre.

Es schien ihm Jahre zu dauern, dorthin zu kommen. Die Barriere war nicht verschwunden. Sie war genauso unpassierbar wie zu dem Zeitpunkt, als er sie das erste Mal befühlt hatte.

Der Roller war nicht an der Barriere. Wenn Carson sich auf den Ellbogen erhob, konnte er ihn im hinteren Bereich seines Teils der Arena sehen, wie er an einem hölzernen Rahmen arbeitete, der ein halbfertiges Duplikat des Katapults war, das Carson zerstört hatte.

Er arbeitete jetzt langsam. Zweifellos war er ebenfalls schwächer geworden. Carson bezweifelte, daß er das zweite Katapult jemals brauchen würde. Er würde tot sein, dachte er, bevor es fertig war.

Sein Geist mußte ihm einen Moment entglitten sein, denn er ertappte sich, wie er mit seinen Fäusten in vergeblicher Wut gegen die Barriere schlug, und zwang sich, aufzuhören. Er schloß die Augen und versuchte sich zu beruhigen.

„Hallo“, sagte eine Stimme.

Es war ein dünnes Stimmchen. Er öffnete die Augen und drehte seinen Kopf. Es war eine Echse.

„Verschwinde“, wollte Carson sagen. „Verschwinde; du bist nicht wirklich da, oder du bist da, aber du sprichst nicht wirklich. Ich bilde mir wieder Dinge ein.“

Aber er konnte nicht sprechen; seine Kehle und seine Zunge waren zu trocken zum Sprechen. Er schloß wieder die Augen.

„Schmerz“, sagte die Stimme. „Töten. Schmerz – töten. Komm.“

Er öffnete die Augen wieder. Die blaue zehnbeinige Eidechse war immer noch da. Sie rannte ein Stück die Barriere entlang, kam zurück, rannte wieder weg und kam zurück.

„Schmerz“, sagte sie. „Töten. Komm.“

Wieder rannte sie weg und kam zurück. Offenbar wollte sie, daß Carson ihr die Barriere entlang folgte.

Er schloß seine Augen wieder. Die Stimme sprach weiter. Dieselben drei bedeutungslosen Worte. Jedes Mal, wenn er seine Augen öffnete, rannte sie weg und kam zurück.

„Schmerz. Töten. Komm.“

Carson stöhnte. Nachdem er keine Ruhe haben würde, wenn der dem Wesen nicht folgte, kroch er ihm hinterher.

Ein weiteres Geräusch, ein hohes Quieken, drang an seine Ohren. Da lag etwas im Sand und wand sich quiekend. Etwas Kleines, Blaues, das wie eine Eidechse aussah. Er sah, daß es die Echse war, deren Beine der Roller vor so langer Zeit ausgerissen hatte. Sie war nicht tot, sie war wieder zu sich gekommen und zappelte und schrie vor Qual.

„Schmerz“, sagte die andere Echse. „Schmerz. Töten. Töten.“

Carson verstand. Er zog das Feuersteinmesser aus seinem Gürtel und tötete die gepeinigte Kreatur. Die lebende Echse huschte davon.

Carson wandte sich wieder der Barriere zu. Er lehnte seine Hände und seinen Kopf dagegen und beobachtete den Roller, der weit hinten an dem neuen Katapult arbeitete.

„So weit könnte ich kommen“, dachte er, „wenn ich hindurchkommen könnte, dann könnte ich noch gewinnen. Er sieht auch schwach aus. Ich könnte –“

Und dann kam eine weitere Reaktion der Hoffnungslosigkeit, als der Schmerz seinen Willen auslaugte und er wünschte, er wäre tot, und die Echse beneidete, die er gerade getötet hatte. Sie mußte nicht weiterleben und leiden.

Er drückte mit seinen Handflächen gegen die Barriere, als er bemerkte, wie dünn und dürr seine Arme waren. Er mußte wirklich lange Zeit hier gewesen sein, tagelang, daß sie so dünn werden konnten.

Eine Weile war er wieder beinahe hysterisch, und dann kam eine Zeit der tiefen Ruhe und des Nachdenkens.

Die Echse, die er gerade getötet hatte, hatte die Barriere durchquert, noch lebend. Sie war von der Seite des Rollers gekommen; der Roller hatte ihre Beine ausgerissen und sie ihm dann verächtlich zugeworfen, und sie war durch die Barriere gekommen.

Sie war nicht tot gewesen, sondern bloß bewußtlos. Eine wache Echse konnte nicht durch die Barriere, aber eine bewußtlose konnte es. Die Barriere war also keine Barriere für lebendes Fleisch, sondern für bewußtes Fleisch. Sie war eine mentale Projektion, ein mentales Hindernis.

Mit diesem Gedanken begann Carson die Barriere entlang zu kriechen, um sein letztes verzweifeltes Spiel zu machen, eine so verlorene Hoffnung, daß nur ein sterbender Mann gewagt hätte, es damit zu versuchen. Er bewegte sich die Barriere entlang zu dem etwa vier Fuß hohen Sandhügel, den er aufgeschaufelt hatte, als er – vor wie vielen Tagen? – versucht hatte, sich unter der Barriere hindurchzugraben oder Wasser zu erreichen. Dieser Hügel lag direkt an der Barriere, sein abgewandter Hang lag halb auf einer Seite der Barriere, halb auf der anderen.

Carson nahm einen Stein von dem Haufen in der Nähe, kletterte damit auf den Gipfel der Düne und lehnte sich dort so an die Barriere, daß er den kurzen Abhang in das feindliche Territorium hinunterrollen würde, wenn die Barriere beseitigt wäre.

Er vergewisserte sich, daß das Messer sicher in seinem Seilgürtel steckte, daß die Harpune in der Beuge seines linken Arms lag und das sechs Meter lange Seil an ihr und an seinem Handgelenk befestigt war. Dann hob er mit seiner rechten Hand den Stein, mit dem er sich auf den Kopf schlagen würde. Das Glück würde bei diesem Schlag mit ihm sein müssen; er würde fest genug sein müssen, um ihn bewußtlos zu schlagen, aber nicht fest genug, daß er lange bewußtlos sein würde.

Er ahnte, daß der Roller ihn beobachtete und sehen würde, wie er durch die Barriere herunterrollte, und ihn untersuchen kommen würde. Er würde ihn für tot halten, hoffte er – er dachte, daß der Roller wahrscheinlich denselben Schluß wie er über die Natur der Barriere gezogen hatte. Aber er würde vorsichtig kommen; er würde ein wenig Zeit haben. – Er schlug zu.

Schmerz brachte ihn wieder zu Bewußtsein, ein plötzlicher scharfer Schmerz an seiner Hüfte, der anders war als der Schmerz in seinem Kopf und in seinem Bein. Er hatte, als der die Dinge durchdacht hatte, bevor er sich auf den Kopf schlug, genau diesen Schmerz vorausgeahnt, sogar darauf gehofft, und sich dagegen gestählt, mit einer plötzlichen Bewegung zu erwachen.

Er öffnete seine Augen gerade einen Spalt und sah, daß er richtig vermutet hatte. Der Roller kam näher. Er war sechs Meter entfernt; der Schmerz, der ihn geweckt hatte, war der Stein gewesen, den der Roller geworfen hatte, um zu sehen, ob er lebendig oder tot war. Er lag still. Der Roller kam näher, viereinhalb Meter entfernt, und hielt wieder an. Carson atmete kaum.

So gut wie möglich hielt er seinen Geist leer, damit die telepathische Fähigkeit des Rollers kein Bewußtsein ihn ihm entdeckte. Und mit seinem solcherart geleerten Geist war die Wirkung der Gedanken des anderen auf seinen Geist erschütternd.

Er empfand schieres Entsetzen über die Fremdartigkeit, die Verschiedenheit jener Gedanken, die Dinge vermittelten, die er fühlen, aber nicht verstehen oder ausdrücken konnte, weil keine irdische Sprache Worte hatte und kein irdisches Gehirn Bilder hatte, die dazu paßten. Der Geist einer Spinne, dachte er, oder jener einer Gottesanbeterin oder einer marsianischen Sandschlange, zur Intelligenz erhoben und in telepathische Verbindung mit einem menschlichen Geist gebracht, wäre etwas heimelig Vertrautes verglichen damit.

Er verstand nun, daß die Wesenheit recht gehabt hatte: Mensch oder Roller, das Universum konnte sie nicht beide behausen.

Näher. Carson wartete, bis der Roller nur ein paar Fuß entfernt war, bis seine klauenbewehrten Tentakel nach ihm griffen…

Ohne seine Schmerzen zu beachten, setzte er sich auf, erhob und schleuderte die Harpune mit aller Kraft, die ihm geblieben war. Als der Roller, in den die Harpune tief eingedrungen war, davonrollte, versuchte Carson auf die Füße zu kommen, um ihm nachzurennen. Er konnte es nicht; er fiel hin, kroch aber weiter.

Das Ding erreichte das Ende der Leine, und er wurde durch den Zug an seinem Handgelenk nach vorn gerissen. Es zerrte ihn ein paar Fuß mit und hielt dann an. Carson machte weiter, zog sich Hand über Hand am Seil an es heran. Da lag es, Tentakel versuchten vergeblich, die Harpune herauszuziehen. Es schien zu schaudern und zu beben und erkannte dann, daß es nicht wegkonnte, denn es rollte wieder auf ihn zu, die Tentakel mit den Krallen ausgestreckt.

Mit dem Steinmesser in der Hand begegnete Carson ihm. Er stach zu, wieder und wieder, während die schrecklichen Klauen Haut und Fleisch und Muskelgewebe von seinem Körper rissen.

Er stach und schnitt, und endlich lag es still.

Eine Glocke ertönte, und er brauchte eine Weile, nachdem er seine Augen geöffnet hatte, um erkennen zu können, wo er war und was es war. Er war in den Sitz seines Aufklärers geschnallt, und der Sichtschirm vor ihm zeigte nur leeren Weltraum. Kein Outsiderschiff und kein unmöglicher Planet.

Die Glocke war das Kommunikationssignal; jemand wollte, daß er den Empfänger einschaltete. Eine reine Reflexhandlung ermöglichte es ihm, nach vorn zu greifen und den Hebel zu betätigen.

Das Gesicht von Brander, dem Captain der Magellan, des Mutterschiffs seiner Aufklärergruppe, leuchtete im Schirm auf. Sein Gesicht war blaß und seine schwarzen Augen glühten vor Aufregung.

Magellan an Carson“, bellte er. „Kommen Sie rein. Der Kampf ist vorbei. Wir haben gewonnen!“

Der Schirm wurde leer; Brander würde gerade den anderen Aufklärern seines Kommandos signalisieren.

Langsam stellte Carson die Steuerung auf die Rückkehr ein. Langsam, ungläubig, schnallte er sich von dem Sitz los und ging nach hinten, um am Kaltwassertank zu trinken. Aus irgendeinem Grund war er unglaublich durstig. Er trank sechs Gläser.

Er lehnte sich dort an die Wand und versuchte nachzudenken.

Hatte es stattgefunden? Er war bei guter Gesundheit, geistig gesund, unverletzt. Sein Durst war mentaler statt physischer Natur gewesen; seine Kehle war nicht trocken gewesen.

Er zog sein Hosenbein hoch und betrachtete die Wade. Da war eine lange weiße Narbe, aber eine perfekt verheilte Narbe; sie war zuvor nicht dagewesen. Er öffnete den Reißverschluß seines Hemdes und sah, daß seine Brust und sein Bauch kreuz und quer von winzigen, fast unmerklichen, perfekt verheilten Narben bedeckt waren.

Es hatte stattgefunden!

Der Aufklärer, der unter automatischer Kontrolle stand, passierte bereits die Luke des Mutterschiffes. Die Greifer zogen ihn in seine individuelle Schleuse, und einen Moment später zeigte ein Summer an, daß die Schleuse luftgefüllt war. Carson öffnete die Luke und trat durch die Doppeltür der Schleuse nach draußen.

Er ging geradewegs zu Branders Büro, trat ein und salutierte.

Brander sah immer noch wie betäubt drein. „Hi Carson“, sagte er. „Was haben Sie nur verpaßt, was für eine Show!“

„Was ist geschehen, Sir?“

„Weiß ich nicht genau. Wir feuerten eine Salve, und ihre ganze Flotte löste sich in Staub auf! Was immer es war, es sprang in einem Blitz von Schiff zu Schiff, selbst zu denen, auf die wir nicht gezielt hatten und die außer Reichweite waren! Die gesamte Flotte löste sich vor unseren Augen auf, und bei uns wurde keinem einzigen Schiff auch nur der Anstrich angekratzt! Wir können uns nicht einmal das Verdienst daran zuschreiben. Muß irgendeine instabile Komponente in dem Metall gewesen sein, das sie benutzten, und unser erster Schuß ließ es einfach hochgehen. Mann, zu schade, daß Sie all die Aufregung verpaßt haben!“

Carson brachte ein kränkliches Gespenst von einem Grinsen zustande, denn es würde Tage dauern, bis er über die Wirkung seines Erlebnisses hinweg sein würde, aber der Captain sah nicht hin.

„Ja, Sir“, sagte er. Mehr als die Bescheidenheit sagte ihm der Hausverstand, daß er als der größte Aufschneider des Weltraums gebrandmarkt würde, wenn er jemals auch nur ein Wort mehr sagen würde. „Ja, Sir, zu schade, daß ich all die Aufregung verpaßt habe…“

Über Cernunnos

Mein Blog: "Cernunnos' Insel" https://cernunninsel.wordpress.com/
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Eine Antwort zu Duell im All („Arena“)

  1. Cernunnos schreibt:

    Diese Kurzgeschichte von Fredric Brown war die Vorlage für die Episode „Ganz neue Dimensionen“ (Original: „Arena“) von „Raumschiff Enterprise“, wo Captain Kirk sich statt mit einem roten Kugelmonster mit einem grantigen Gummisaurier herumschlagen mußte, den er schließlich mit einer primitiven, selbstgebauten Schwarzpulver-Handkanone erledigte:

    Das Original war halt noch die SF der prä-PC-Ära, Space Opera, wie es sie heute kaum mehr gibt.

    Auffallend ist, wie aus dem kompromißlosen Überlebenskampf in Fredric Browns Geschichte im Rahmen der „New Space Order“ des Trekiversums dieses universalistische Wir-können-alle-Brüder-werden-Moralstück gemacht wurde: Während Bob Carson seinen Gegner umbrachte und das Überwesen seine Ankündigung, die Spezies des Unterlegenen auszulöschen, tatsächlich wahr machte, weigerte Captain Kirk sich, den niedergestreckten Gorn zu töten, und die Metroner honorierten das als Zeichen der Zivilisiertheit und verschonten beide Seiten. Es hätte mich nicht gewundert, wenn die Nachfahren des Gorn in späteren Trek-Serien wieder erschienen und dann schon in die All-umfassende „Diversity“ der Föderation einbezogen gewesen wären.

    Zwei Sachen sind mir in der Originalgeschichte aufgefallen:

    Das eine ist die in der SF gängige Verwendung des Wortes „Rasse“, wenn es um Spezies geht, die noch dazu gar nicht derselben gemeinsamen Biosphäre entstammen, wie es irdische Spezies tun, sondern völlig separate evolutionäre Ursprünge haben. Meistens wird das bloße sprachliche Schlamperei sein, aber ich schließe manipulative Absichten mancher Autoren auch nicht aus.

    Das andere ist die ebenfalls in der SF immer wieder anzutreffende Vorstellung, das Endziel der Evolution einer intelligenten Spezies sei entweder eine völlig vergeistigte, von der Materie unabhängige Existenz, wie z. B. die Organier in der Trek-Folge „Kampf um Organia“, oder die Verschmelzung aller Individuen zu einer post-individuellen Gesamtheit, wie z. B. die „Große Vereinigung“ der Formwandler in „Deep Space 9“, denen Odo entstammt. Die Wesenheit in „Arena“ vereinigt beide Ideen, und wahrscheinlich ist das Superwesen „ES“ in der Perry-Rhodan-Reihe davon inspiriert.

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