Wintersonnenwende/Thomasnacht – 21. Dezember

Aus Waltraud Ferraris Buch „Alte Bräuche neu erleben: Fest- und Alltag im Rhythmus der Jahreszeiten“, das in diesem Buchempfehlungsartikel vorgestellt wird.

Die Thomasnacht ist die längste, die wichtigste und auch gefährlichste Lösselnacht, die in einigen Regionen (vorwiegend im Salzkammergut) auch als erste Perchtennacht bezeichnet wird. In dieser Nacht wähnte man alle Pforten zur Anderswelt offen, der Moment vor der Sonnenwende war entscheidend für Wohl und Wehe, und so ranken sich zahlreiche Bräuche um Zukunftsschau, aber auch um Schutz- und Abwehrzauber. Eine heute fast vergessene Gestalt trat früher in dieser Nacht in Erscheinung, die je nach Region unterschiedliche Namen aufweist. Nach dem langen vorweihnachtlichen Fasten wurde an diesem Tag meist ein Schwein, manchmal auch ein Rind geschlachtet, um genügend Fleisch für die kommenden Festtage zur Verfügung zu haben. So gab es vielerorts den blutigen Thomerl. In einigen Gegenden hieß diese furchterregende Gestalt, die oft als Kinderschreck diente, auch Thomaszoll oder Thomashutze, eine Vogelpercht mit bedrohlich großem Schnabel. Im Bayerischen Wald nannte man diesen Unhold den Thama mit dem Hammer.*

In der Region um Lienz in Osttirol oder im oberösterreichischen Mühlviertel erscheint er hingegen als der freundliche Gabenbringer Thomasniglo, den man heute noch vereinzelt kennt.

[* Möglicherweise ein Hinweis auf eine alte Gottheit, der man sich an diesem entscheidenden Tag früher zuwandte: Thor/Donar, dem Gott von Blitz, Donner und Fruchtbarkeit, dessen Werkzeug ein Hammer war. Bei Trauungen, die einst vom Schmied vorgenommen wurden, legte man deshalb der Braut einen Hammer in den Schoß. Die moderne Blitzforschung zeigt, daß sich nach einem Blitzeinschlag das Bodenmilieu so verändert, daß das Pflanzenwachstum begünstigt wird.]

Für die Thomasnacht gab es eine ganze Reihe von Orakelbräuchen. Einer davon war das Hüadlheben. Wer eine Frage an die Zukunft hatte, mußte den Raum verlassen. Nun legte man neun Hüte auf einen Tisch, wobei nur unter acht davon ein Gegenstand versteckt wurde. Danach wurde der Betreffende wieder hereingerufen und je nachdem, was er unter dem hochgehobenen Hut fand, wies dies auf Ereignisse im nächsten Jahr hin. So bedeutete ein Ring Hochzeit, eine Puppe Kindersegen, ein Geldstück Reichtum…

Wollte ein Mädchen wissen, wie der zukünftige Bräutigam aussah, zog es am Thomastag ein Scheit aus dem Holzstoß vor dem Haus. Je nach Größe, ob gut oder krummgewachsen, würde dann auch der Mann aussehen.

Wintersonnenwende bedeutete, daß das Licht wieder zu wachsen begann. In der alteuropäischen Überlieferung hieß es, der Gedanke, den man im Moment der Sonnenwende denkt, werde mit dem Licht des kommenden Jahres wachsen und damit im eigenen Leben Wirklichkeit werden.

Bei den Römern galt der 25. Dezember als Geburtstag der unbesiegbaren Sonne sol invictus. Römische Soldaten brachten den Kult des Lichtgottes Mithras, dessen Geburtstag ebenfalls am 25. Dezember gefeiert wurde, vermutlich aus Kleinasien mit. Schließlich wurde auch die Geburt Christi für dieses Datum festgelegt, woraus sich das heutige Weihnachtsfest ergab.

Allen gemeinsam ist die Idee des wiedererstehenden Lichtes, eine Art „Lichtgeburt“, die man dahingehend deuten kann, daß eine Klärung stattgefunden hat, und der Mensch rein und frei, also wie ein neugeborenes Kind, in das kommende Jahr eintreten kann.

Erwähnenswert ist auch das Krippenspiel. Der Ursprung dieser Spiele, die das Weihnachtsgeschehen nachstellen, geht bis ins Mittelalter zurück, wo sie in Kirchen oder Klöstern aufgeführt wurden. In Schulen und Kindergärten sind sie beliebtes Element der Weihnachtsfeiern, und an einigen Orten werden heute auch wieder Krippenspiele für Erwachsene abgehalten. Unter anderem in Graden in der Weststeiermark, wo auf dem historischen Lenharthof ein sehr ursprüngliches Spiel im Freien stattfindet, das selbst bei großer Kälte und Schneefall viele begeisterte Zuschauer anzieht.

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Siehe auch:

Volkssagen aus Österreich: Rauhnächte

Volkssagen aus Österreich: Die Perchtl

Imbolc: Das Fest zum Beginn der hellen Jahreshälfte

Beltane / Walpurgisnacht

Über Cernunnos

Mein Blog: "Cernunnos' Insel" https://cernunninsel.wordpress.com/
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Eine Antwort zu Wintersonnenwende/Thomasnacht – 21. Dezember

  1. GS schreibt:

    Nachdem es oben im Artikel um europäische Jahresendbräuche heidnischen Ursprungs geht, passt hier am ehesten ein Beitrag von James Cambias, den er gestern (28. Dezember 2023) auf seinem Blog gepostet hat. Hier ist meine Übersetzung:

    Warum habe ich das dieses Jahr nicht getan?

    Langzeit-Leser dieses Blogs (alle drei von euch) werden sich vielleicht erinnern, dass ich im Dezember üblicherweise einen Link zu einer meiner liebsten Webseiten einfüge: den NORAD Santa Tracker. Warum habe ich den heuer nicht gebracht?

    Gebt die Schuld daran dem Blog Task & Purpose, einem sehr interessanten Webzine über militärische Dinge. Diesen Dezember brachten sie einen sehr unterhaltsamen Beitrag über den Santa Tracker – aber der enthielt auch diesen tollen Link: ein lustiges Video über die Mobilisierung der tschechischen Streitkräfte gegen den Eindringling „Santa Claus“, weil jedes gute tschechische Kind weiß, dass das Jesuskind eure Weihnachtsgeschenke bringt:

    Warum habe ich keinen meiner traditionellen Beiträge gepostet, belebt mit einem sehr komischen Video aus einem Land, das ich gern besucht habe? Das ist kompliziert.

    Ich bin ein riesiger Softie bezüglich Weihnachten, daher wollte ich in den Wochen vor Weihnachten keinen Beitrag über irgendjemand bringen, der Santa Claus abschießt. Sorry, ich hab’s einfach nicht getan. „Edgy“ Sichtweisen auf Weihnachten ärgern mich meistens.

    ABER! Ich sympathisiere auch mit denen, die das tschechische Video gemacht haben. Obwohl ich ein Amerikaner bin, macht es mir Sorgen, dass unsere Medienprodukte überall auf der Welt authentische Traditionen ersetzen. Ich habe gelegentlich darüber gemeckert, dass Festtagstraditionen aus Neu-England per Fallschirm in allen Teilen der Vereinigten Staaten abgeworfen worden sind – als ob der einzige Teil des Landes der jemals Weihnachten verboten hat [d. Ü.: die damals puritanische Kolonie Massachusetts], irgendwie die einzige „authentische“ Version hätte.

    Das Video „Tschechische Luftwaffe gegen Santa“ hat also etwas bei mir zum Klingen gebacht. Wenn ich könnte, würde ich einen Film über Nationalgardisten von Louisiana machen, die Javelin-Panzerabwehrraketen benutzen, um Lastwagen daran zu hindern, „Kürbispastete“ im November über die Grenze zu bringen.

    Meine Lösung für dieses Dilemma war, einfach zu warten. Weihnachten ist vorbei, daher kann es jetzt gepostet werden. Der Santa Tracker wird nächstes Jahr wieder da sein.

    Von James Cambias gibt es auf meinem Blog viele von mir übersetzte Artikel, hauptsächlich zum Themenkreis Science Fiction, Futurologie und Storytelling.

    Hier noch ein Video von Bruce Fummey, „What They Don’t Say About Scottish Christmas“:

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