Jäger im Weltall (2): Alphanor

Von Jack Vance. Das Original The Star King erschien ursprünglich in Galaxy (Dez. 1963 / Feb. 1964, illustriert von Ed Emshwiller), ehe 1964 die erste Buchausgabe erschien. Die hier vorliegende Fassung, die ich (Cernunnos) als privates Buchprojekt für mich und ein paar andere erstellt habe und hier auch Interessierten zugänglich mache, beruht auf der deutschen Erstausgabe „ Jäger im Weltall“ von 1969 (Neuauflage 1978) in der Übersetzung von Walter Brumm, von mir ergänzt durch Eigenübersetzungen (nach dem englischen Original) aller von Walter Brumm weggelassenen oder unpassend/vereinfacht übersetzten Stellen. Dies hier ist also die vollständigste und werkgetreueste deutsche Fassung von „The Star King“, die ihr finden werdet.

Die Zeichnung im Text ist wieder eine Illustration von Ed Emshwiller aus der Erstveröffentlichung in Galaxy; das Farbbild wurde von mir hinzugenommen. Die Titel der vier Teile, in denen ich jeweils zwei bis drei Kapitel hier zusammenfasse, sind von mir gewählt und kommen im Buch nicht vor.

Hier erscheint erstmals ein sehr bekannter Name in der Science Fiction; wenn ihr auf ihn stoßt, denkt daran, dass dieser Roman 1963 veröffentlicht wurde, drei Jahre vor der ersten Staffel des ursprünglichen Star Trek.

Fortsetzung von Jäger im Weltall (1): Der Sternkönig

4

Aus Neue Entdeckungen im Weltraum, von Ralph Quarry:

…Sir Julian Hove hatte seine Einstellungen anscheinend von den Entdeckern der Spätrenaissance übernommen. Bei der Rückkehr zur Erde hatten die Mitglieder seiner Besatzung sich eine strenge Regel der Diskretion und Geheimhaltung auferlegt (oder sie war ihnen auferlegt worden). Dennoch sickerten Details durch. Sir Julian Hove war, um den umfassendsten Begriff zu verwenden, ein Leuteschinder. Er war auch ein völlig humorloser Mensch. Seine Augen waren kalt, er sprach, ohne die Lippen zu bewegen; sein Haar war Tag für Tag in fotografisch identischen Furchen gekämmt. Während er nicht eigentlich verlangte, dass das Personal zu den Mahlzeiten Smokings trug, führten gewisse seiner Regeln eine fast äquivalente Etikette ein… Der Gebrauch von Vornamen war verboten; zu Beginn und Ende jeder Wache waren militärische Ehrenbezeugungen vorgeschrieben, obwohl die Besatzung größtenteils aus Zivilisten bestand. Technikern, deren Arbeit nicht mit wissenschaftlicher Arbeit zusammenhing, war verboten, die faszinierenden neuen Welten zu betreten: ein Befehl, der beinahe eine Meuterei ausgelöst hatte, bis Sir Julians Vize im Kommando, Howard Coke, sich gegenüber Sir Julian durchsetzte, dass diese Vorschrift gelockert wurde.

Der Rigel Comcourse ist Sir Julians bemerkenswerteste Entdeckung: sechsundzwanzig großartige Planeten, die meisten davon nicht nur bewohnbar, sondern auch gesund, obwohl nur zwei auch nur quasi-intelligente Eingeborene aufweisen… Sir Julian benannte die Planeten in Ausübung seiner Privilegien nach Helden seiner Knabenzeit: Lord Kitchener, William Gladstone, Erzbischof Rollo Gore, Edythe MacDevott, Rudyard Kipling, Thomas Carlyle, William Kirkcudbright, Samuel B. Gorsham, Sir Robert Peel, und dergleichen.

Aber Sir Julian sollte seines Privilegs beraubt werden. Er telegrafierte die Neuigkeiten bei seiner Rückkehr zur Maudley-Raumstation voraus, zusammen mit einer Beschreibung des Concourse und den Namen, die er den Mitgliedern dieser großartigen Gruppe gegeben hatte. Die Liste ging durch die Hände eines obskuren jungen Angestellten, der Sir Julians Namensgebungen angewidert verwarf. Jedem der sechsundzwanzig Planeten wies er einen Buchstaben des Alphabets zu und lieferte eilig neue Namen: Alphanor, Barleycorn, Chrysanthe, Diogenes, Elfland, Flame, Goshen, Hardacres, Image, Jezebel, Krokinole, Lyonnesse, Madagascar, Nowhere, Olliphane, Pilgham, Quinine, Raratonga, Somewhere, Tantamount, Unicorn, Valisande, Walpurgis, Xion, Ys und Zacaranda — abgeleitet aus Legenden, Mythen, Romanen und seiner eigenen Laune. Eine der Welten war von einem Satelliten begleitet, der in der Nachricht als „ein exzentrisches, taumelndes, unregelmäßig geformtes Bruchstück eines chondritischen Bimssteins“ beschrieben, und diesen nannte Roger Pilgham „Sir Julian“.

Die Presse erhielt und veröffentlichte die Liste, und Rigels Planeten wurden so bekannt, obwohl Sir Julians Bekannte sich über die plötzliche Extravaganz seiner Fantasie wunderten. Und wer oder was war „Pilgham“? Sir Julian würde ihnen nach seiner Rückkehr vermutlich eine Erklärung geben.

Der Angestellte Roger Pilgham kehrt sogleich wieder in die Obskurität zurück, aus der er kam, und es ist nichts über sein Verhalten oder seinen Gemütszustand zu der Zeit bekannt, als Sir Julians Rückkehr unmittelbar bevorstand. Empfand er Besorgnis? Unbehagen? Gleichgültigkeit? Ohne Zweifel hatte er sich damit abgefunden, dass er aus seiner Stelle entlassen werden würde.

Nach einiger Zeit kehrte Sir Julian im Triumph zurück und verwendete dabei die Phrase: „Am eindrucksvollsten sind vielleicht die New Grampian Mountains auf dem Nordkontinent von Lord Bulwer-Lytton.“ Jemand im Publikum fragte höflich, wo Lord Bulwer-Lytton liege, und der Namensaustausch wurde enthüllt.

Sir Julian reagierte mit außerordentlichem Zorn auf die Tat. Der Angestellte war klugerweise verschwunden; Sir Julian wurde geraten, seine eigenen Namensgebungen wieder einzuführen, aber der Schaden war schon angerichtet; Roger Pilghams freche Tat gewann den Gefallen der Öffentlichkeit, und Sir Julians Terminologie verschwand aus der Erinnerung.

Aus Allgemeines Handbuch der Planeten, 303. Auflage, veröffentlicht 1292:

Alphanor, ein Planet, der als das Verwaltungs- und Kulturzentrum des Rigel Concourse gilt. Er ist der achte in der Reihenfolge vom Zentralstern aus.

Planetarische Konstanten:

Durchmesser 14.880 Kilometer, Masse 102

Mittlere Tageslänge 29 Stunden, 16 Minuten, 29,4 Sekunden

Allgemeine Bemerkungen: Alphanor ist eine große, helle Meereswelt mit einem allgemein anregenden Klima. Der Ozean nimmt drei Viertel der Gesamtoberfläche ein, einschließlich der polaren Eiskappen. Die Landmasse teilt sich auf sieben beinahe zusammenhängende Kontinente auf: Phrygia, Umbria, Lusitania, Scythia, Etruria, Lydia und Lycia, in einer Anordnung, die an sieben Blütenblätter denken lässt. Es gibt unzählige Inseln.

Das einheimische Leben ist komplex und kraftvoll. Die Flora hat sich in keiner Weise von irdischen Importen verdrängen lassen, die sorgfältig gepflegt werden müssen. Die Fauna ist genauso komplex und kann gelegentlich wild sein; hier ist der schlaue Hyrcan major des oberen Phrygia und der unsichtbare Aal des Thaumaturgischen Ozeans zu nennen.

Die politische Struktur von Alphanor ist eine pyramidenförmige Demokratie – einfach in der Theorie, kompliziert in der Praxis. Die Kontinente sind in Provinzen unterteilt, diese in Präfekturen, Bezirke und Wahlkreise; letztere sind als Bevölkerungblöcke von fünftausend Personen definiert. Jedes Wahlkreiskomitee entsendet einen Vertreter in den Bezirksrat, der einen Delegierten für den Präfekturtag wählt, welcher ein Mitglied in den Provinzkongress entsendet, welcher dasselbe für das Kontinentalparlament tut. Jedes Parlament wählt sieben Rektoren in den Großen Rat in Avente, in der Seeprovinz von Umbria, welcher daraufhin einen Vorsitzenden wählt.

Aus Geleitwort an die Völker des Concourse, von Strick und Chernitz:

Die Bevölkerungen des Concourse sind weit davon entfernt, homogen zu sein. Während der Migrationen von der Erde neigten die rassischen Gruppen dazu, ihren eigenen Leuten zu folgen, und in den neuen Umwelten, unter dem Einfluss von Vermischungen und neuen Verhaltensmustern spezialisierten solche Gruppen sich noch weiter… Die Menschen von Alphanor sind im Allgemeinen hellhäutig, braunhaarig, von mittlerer Statur, obwohl ein einstündiger Spaziergang entlang der Großen Esplanade in Avente dem Beobachter jede vorstellbare Art von menschlichem Wesen zeigen wird.

Die alphanorische Psychologie ist schwieriger auszudrücken. Jede bewohnte Welt ist in dieser Hinsicht anders; und obwohl die Unterschiede real und deutlich genug sind, fällt es schwer, sie ohne Abschweifungen akkurat darzustellen – besonders nachdem jede planetenweite Verallgemeinerung durch regionale Unterschiede verschärft, beeinträchtig oder widersprüchlich wird.

*     *     *

Rigel, direkt voraus, war ein heller bläulichweißer Punkt, vor dem jeder andere Stern zu fliehen schien. Gersen hatte wenig mehr zu tun als sein Ziel zu betrachten, gegen Ruhelosigkeit und innere Anspannung anzukämpfen, über Attel Malagates wahrscheinliche Absichten zu spekulieren und seine eigenen Reaktionen zu formulieren. Das erste Problem: Wo landen? Hundertdreiundachtzig Raumhäfen auf zweiundzwanzig der sechsundzwanzig Welten boten sich für eine legale Landung an, sowie unbegrenzte Möglichkeiten für eine Landung in Wüsten und Wildnissen, wenn er eine Verhaftung wegen Verletzung der Quarantänebestimmungen riskieren wollte.

Wie groß war Malagates Interesse an Teehalts Monitor? Würde er jeden Raumhafen überwachen lassen? Theoretisch war das durch Bestechung von Hafenbeamten machbar. Das billigste und vielleicht effektivste System wäre, dem Mann, der Gersens Ankunft meldete, eine saftige Belohnung zu versprechen. Gersen konnte sich natürlich dafür entscheiden, in einem anderen Sternsystem zu landen. Es würde schwierig sein, jeden Raum-hafen der Oikumene zu überwachen.

Aber Gersen hatte nicht die Absicht, sich zu verstecken. In der nächsten Phase musste er sich notwendigerweise exponieren. Diese nächste Phase war die Identifizierung von Malagate. Zwei Methoden boten sich dafür an: Er konnte entweder die Registrierung des Monitors zurückverfolgen oder darauf warten, dass sich ihm irgendein Mitglied von Malagates Organisation an ihn heranmachte, die Spur der Autorität zu ihrer Quelle zu verfolgen.

Malagate würde als gegeben annehmen, dass Gersen Nachforschungen wegen des Monitors anstellen wollte, und würde seine Bewachungsmaßnahmen vermutlich auf den Raumhafen Kindune konzentrieren, der Sansontiana bediente.

Trotzdem entschied Gersen sich aus einer Reihe von unbestimmten Gründen – wenig mehr als Vermutungen – dafür, auf dem Großen Interplanetaren Raumhafen von Avente zu landen.

Er nahm Kurs auf Alphanor, flog antriebslos in den Landeorbit, schaltete seinen Autopiloten in das offizielle Landeprogramm ein und machte es sich wieder bequem. Das Boot senkte sich mit einem letzten Röhren der Düsen auf die verbrannte rote Erde. Die Düsen verstummten; es herrschte Stille. Das Druckausgleichsventil begann automatisch zu zischen.

Die Hafenbeamten kamen in einem Gleitwagen. Gersen beantwortete Fragen, unterzog sich einer kurzen ärztlichen Untersuchung und erhielt eine Aufenthaltserlaubnis. Die Beamten rauschten wieder ab; ein fahrbarer Kran rollte heran, hob das Boot und beförderte es zu einer Box in der Parkreihe auf einer Seite des Landeplatzes.

Gersen ging von Bord und fühlte sich exponiert und verwundbar. Er begann den Monitor auszubauen, behielt dabei aber die Umgebung im Auge.

Zwei Männer schlenderten die Parkreihe entlang, ohne bestimmtes Ziel, wie es schien. Gersen erkannte einen der beiden sofort: es war der Sarkoy, der hinter Hildemar Dasce in Smades Gasthaus gekommen war.

Als sie näherkamen, achtete Gersen nicht erkennbar auf sie, aber sie machten keine Bewegung, die er nicht bemerkte. Der Sarkoy trug einen schlichten dunkelgrauen Anzug mit opalverzierten Epauletten; sein Gefährte, ein dünner Mann mit sandfarbenem Haar und unruhigen weißgrauen Augen, trug den lockeren blauen Overall eines Arbeiters.

Die beiden blieben ein paar Schritte von Gersen entfernt stehen und sahen ihm wie beiläufig interessiert zu. Gersen ignorierte sie nach einem kurzen Blick, obwohl seine Haut prickelte und sein Puls pochte. Der Sarkoy murmelte etwas zu seinem Begleiter und trat einen Schritt vor.

„Kennen wir uns nicht?“ fragte er mit sanfter, sardonischer Stimme.

„Ich kann mich nicht an Ihren Namen erinnern“, sagte Gersen höflich.

„Ich bin Suthiro, Sivij Suthiro.“

Gersen betrachtete ihn sorgfältig. Es war ein Mann von mittlerem Gewicht, mit dem seltsam flachen Kopf der Sarkoy-Steppenmänner*, das Gesicht breiter als hoch. Suthiros Augen waren von einem weichen Olivbraun, die Nase breit und aufgeworfen, der Mund breit und dicklippig – ein Gesicht, das von mehr als tausend Jahren der Spezialisierung und Inzucht geformt war. Gersen konnte den „Todesatem“ nicht ausmachen, eine Errungenschaft, die vertraglich verpflichteten Meuchelmördern aufgezwungen wurde, ihr Leben verkürzte, ihrer Haut einen gelblichen Glanz gab und das Haar steif machte. Suthiros Haut war ein ungetöntes blasses Elfenbeinweiß, aber sein Haar war ein glänzendschwarzer Pelz, und auf seine rechte Wange war das kleine Malteserkreuz des Sarkoy-Hetmans tätowiert.

[* Die Sarkoy wurden wegen ihrer abstoßenden Essgewohnheiten und ihres rohen, exhibitionistischen Sexualverhaltens von den anderen Völkern der Oikumene geringgeschätzt. Ebenso verabscheut wurde der beliebte Sarkoy-Sport, der Harbite genannt wurde, oder das Ködern eines Harikap, eines großen, halbintelligenten Zweibeiners mit borstigem Pelz aus den nördlichen Wäldern. Die elende Kreatur, durch Hunger in einen Zustand der Anspannung gebracht, wurde in einen Kreis von mit Mistgabeln und Fackeln bewaffneten Männern gestoßen und dann zu wilder Aktivität angestachelt, indem man sie anzündete und mit den Mistgabeln kräftig wieder in die Mitte des Kreises stieß, wenn sie zu entkommen suchte. Sarkovy, der einzige Planet von Phi Ophiuchi, war eine trübe Welt aus Steppen, Sümpfen und schwarzen Wäldern. Die Sarkoy lebten in hohen Holzhäusern hinter Holzpalisaden; nicht einmal die größten Städte waren vor den Angriffen von Banditen und Nomaden aus den Ödländern sicher. Durch Übung und aus Tradition waren die Sarkoy fähige Vergifter. Ein Meistergiftmischer konnte angeblich einen Mann töten, indem er einfach an ihm vorbeiging.]

Gersen sagte: „Tut mir leid, Scop Suthiro, aber ich erinnere mich nicht an den Anlass, den Sie erwähnen.“

„Ah.“ Suthiros Augen weiteten sich bei der ehrenvollen Anrede, die Gersen gebraucht hatte. „Sie haben Sarkovy besucht. Das schöne grüne Sarkovy, seine grenzenlosen Steppen, seine fröhlichen Feste!

„Fröhlich, solange das Harikap durchhält. Was werden Sie dann foltern?“

Suthiro, dessen Rasse Beleidigungen gewöhnt war, nahm es nicht übel. „Wir haben immer einander… Ich sehe, Sie kennen meinen Planeten gut.“

„Ziemlich gut. Vielleicht erinnern Sie sich von Sarkovy an mich?“

„Nein“, sagte Suthiro trocken. „Woanders, und erst kürzlich.“

Gersen schüttelte den Kopf. „Unmöglich. Ich bin eben aus dem Jenseits gekommen.“

„Genau. Wir sind uns im Jenseits begegnet. In Smades Gasthaus.“

„Tatsächlich.“

„Ja. Mit gewissen anderen war ich gekommen, um meinen Freund Lugo Teehalt zu treffen. In der Verwirrung und Aufregung verließ Lugo Smades Planeten in Ihrem Raumschiff. Sicherlich ist es Ihnen aufgefallen?“

Gersen lachte. „Wenn Teehalt sich entschuldigen oder beschweren will, wird er mich sicher aufsuchen.“

„Genau“, sagte Suthiro. „Lugo Teehalt hat mich geschickt. Er bittet um Vergebung für seinen Fehler und wünscht nur, dass ich seinen Monitor für ihn hole.“

Gersen schüttelte den Kopf. „Sie können ihn nicht haben.“

„Nein?“ Suthiro kam näher. „Lugo bietet tausend SVE* als Entschädigung für seinen Fehler.“

[*SVE: Standard-Verrechnungseinheit der Oikumene.]

„Ich nehme dankend an. Geben Sie mir das Geld.“

„Und der Monitor?“

„Den gebe ich zurück, wenn er ihn holen kommt.“

Der schmalgesichtige Mann machte einen ungeduldigen schnalzenden Laut, aber Suthiro grinste. „Darauf kann ich nicht gut eingehen. Sie werden das Geld haben, aber wir werden nicht den Monitor haben.“

„Es gibt keinen Grund, warum Sie den Monitor haben sollten. Lugo Teehalt ist ein Beteiligter in der Sache; ich werde ihm seinen Monitor geben. Ich bin der andere Beteiligte in der Sache; es ist völlig legitim, dass Sie mir das Geld geben. Es sei denn, Sie misstrauen meiner Ehrlichkeit.“

„Keineswegs, nachdem wir nicht die Absicht haben, sie auf die Probe zu stellen. Wir schlagen im Gegenteil vor, dass wir den Monitor sofort nehmen.“

„Ich denke nicht“, sagte Gersen. „Ich habe vor, den Speicher an mich zu nehmen.“

„Das kommt nicht in Frage!“ sagte Suthiro sanft.

„Versuchen Sie mich daran zu hindern.“ Gersen wandte sich wieder der Arbeit zu und löste die Dichtungen vom Monitorgehäuse.

Suthiro schaute geduldig zu. Er gab dem schmalgesichtigen Mann einen Wink, der ein Stück zurückging und Wache hielt. „Ich könnte Sie so plötzlich stoppen, dass Sie zu einer Marmorstatue würden.“ Er schaute über die Schulter zu dem schmalgesichtigen Mann zurück, der nickte. Suthiro zeigte Gersen eine Waffe, die er in der Hand hielt. „Ich kann Ihnen einen Herzinfarkt verschaffen, eine Hirnblutung oder einen Dünndarmkrampf, was auch immer Sie vorziehen.“

Gersen hielt in seiner Arbeit inne und seufzte tief. „Ihre Argumente beeindrucken mich. Zahlen Sie mir fünftausend SVE.“

„Ich brauche Ihnen gar nichts zu zahlen. Aber hier sind die tausend SVE, die ich erwähnte.“ Er warf Gersen ein Bündel Noten zu und winkte dem schmalgesichtigen Mann zu, der herbeikam, Gersens Werkzeuge nahm und den Monitor fachmännisch ausbaute. Gersen zählte das Geld und trat zur Seite. Die beiden steckten den Monitor in einen Sack und gingen ohne ein weiteres Wort weg. Gersen schmunzelte ihnen nach. Dies war der Monitor, den er in Euville gekauft und installiert hatte, zum Preis von vierhundert SVE. Teehalts Monitor befand sich im Schiff in Sicherheit.

Gersen kehrte ins Schiff zurück und schloss die Luken. Jetzt wurde die Zeit zum wichtigsten Faktor. Suthiro würde etwa zehn Minuten brauchen, um seinen Erfolg entweder Dasce oder wohl Malagate selbst zu melden. Daraufhin würden Nachrichten an verschiedene andere Raumhäfen des Concourse hinausgehen, die den Alarm abbliesen. Wenn Gersen Glück hatte, würde Malagate den Monitor erst nach mehreren Stunden erhalten, vielleicht erst nach Tagen, abhängig von seinem Aufenthaltsort. Danach würde es eine zusätzliche Verzögerung geben, bis man die Täuschung entdeckte, und dann würde Malagates Organisation erneut mobilisiert werden, diesmal mit der Firma Feritse Präzisionsinstrumente in Sansontiana auf Olliphane als Schwerpunkt.

Bis es soweit wäre, hoffte Gersen sein Geschäft dort erledigt zu haben und fort zu sein. Er durfte bestimmt keine Zeit verlieren. Ohne weitere Verzögerung startete er die Triebwerke, stieg in den blauen Himmel Alphanors auf und nahm Kurs auf Olliphane.

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Aus Allgemeines Handbuch der Planeten: Olliphane, neunzehnter Planet des Rigel Concourse:

Planetarische Konstanten: Durchmesser 10.720 Kilometer, Masse 0,9

Allgemeine Bemerkungen: Olliphane ist der dichteste der Planeten von Rigel und liegt mit seiner Umlaufbahn nahe dem äußeren Rand der habitablen Zone. Man hat Spekulationen darüber angestellt, dass Olliphane beim Zerfall des Protoplaneten der dritten Gruppe einen ungewöhnlich hohen Anteil von schwerem Kernmaterial erhalten hat. Wie dem auch sei, Olliphane wies bis in die jüngste Zeit seiner planetaren Geschichte einen intensiven Vulkanismus auf und besitzt auch heute noch zweiundneunzig tätige Vulkane.

Olliphane ist reich an Mineralen aller Art. Ein imposantes Relief bietet ein riesiges hydroelektrisches Potenzial, das billigere Energie liefert, als mit traditionellen Quellen möglich ist. Eine fleißige, disziplinierte Bevölkerung, die diese Vorteile nutzt, hat Olliphane zur höchstindustrialisierten Welt des Concourse gemacht, mit der sich nur Tantamount mit seinen Schiffswerften und Lyonesse mit seinen monumental Gnome-Eisenwerken messen kann.

Olliphane ist relativ kühl und feucht, und die Bevölkerung konzentriert sich in der Äquatorzone, vor allem um die Ufer des Lake Clare. Hier findet der Besucher die zehn größten Städte des Planeten, angeführt von Kindune, Sansontiana und New Ossining.

Olliphane ist auch in seiner Ernährung autark. Wenig anderes als natürliche Lebensmittel wird verzehrt, von denen der Pro-Kopf-Verbrauch der höchste im Concourse und der dritthöchste unter den bedeutenden Welten der Oikumene ist. Die alpinen Täler um den See sind der Milchwirtschaft und der Produktion von Grünfutter gewidmet.

Die Olphs sind ein Mischvolk, das hauptsächlich von einer Kolonie hyperboreischer Schlittschuhläufer abstammt. Sie sind typischerweise blond bis braunhaarig, grobknochig, neigen oft zur Korpulenz, mit heller, ungetönter Haut. Sie haben Respekt vor Orthodoxie, führen ein gesetztes persönliches Leben, sind aber notorisch enthusiastisch während der öffentlichen Feste und Feiern, die als emotionales Ventil für ein ansonsten konventionelles und zurückhaltendes Volk dienen. Ein Kastensystem, wenngleich ohne gesetzlichen Status, durchdringt jede Phase der Sozialstruktur. Vorrechte sind genau definiert und werden sorgfältig beachtet; die Sprache hat sich erweitert und gelockert, um mindestens ein Dutzend Anredeformen zu bieten.

Aus „Eine Studie der Anpassungen zwischen Klassen“ von Frerb Hankbert, in Journal of the Anthropocene, Bd. MCXM:

Es ist eine bemerkenswerte Erfahrung für einen Besucher, zuzusehen, wie zwei einander fremde Olphs die Kaste des jeweils anderen einschätzen. Das dauert nicht länger als einen Moment und scheint fast intuitiv zu erfolgen, denn die beteiligten Personen tragen oft Standardkleidung.

Ich habe viele Olphs dazu befragt und kann immer noch keine definitiven Behauptungen machen. Zuerst einmal bestreiten die meisten Olphs höflich die Kastenstruktur und betrachten ihre Gesellschaft als völlig egalitär. Sodann sind die Olphs sich selbst nicht ganz sicher beim Erraten der Kaste eines Fremden. Er hat entweder mehr der haute genannten Eigenschaft als sie selbst, oder weniger. Ich habe theoretisiert, dass schnelle unbewusste und fast unmerkliche Augenbewegungen der Schlüssel bei der Einschätzung von haute sind, mit charakteristischen Veränderungen der Stetigkeit, die die Kaste des jeweils anderen anzeigen. Hand- und Kopfbewegungen könnten eine ähnliche Funktion haben. Wie zu erwarten, genießen hohe Beamte der Bürokratie den höchsten Kastenstatus, und besonders die Bürgertutoren, wie die Olphs ihre Polizei nennen.

*     *     *

Gersen landete auf dem Raumhafen von Kindune und bestieg – mit Teehalts Monitor in einem Koffer – die U-Bahn nach Sansontiana. Soviel er wusste, hatte niemand seine Ankunft beachtet, und niemand war ihm gefolgt.

Aber nun wurde die Zeit knapp. Jeden Moment musste Malagate erkennen, dass er getäuscht worden war, und würde wieder Kontakt aufnehmen wollen. Vorerst betrachtete Gersen sich als sicher; trotzdem führte er einige klassische Manöver aus, um etwaige Verfolger oder Flugspione* abzuschütteln. Als er fand, dass er genug getan hatte, deponierte er den Monitor in einem öffentlichen Schließfach in der U-Bahn-Station unter dem Hotel Rapunzel und behielt nur das Messingschild mit der Seriennummer. Dann nahm er einen Expresszug, der ihn in fünfzehn Minuten in das hundertzwanzig Kilometer südlich gelegene Santontiana brachte. Er konsultierte ein Telefonbuch, stieg in einen Lokalzug zum Bezirk Ferristoun um und kam bald darauf in einer nur ein paar hundert Meter von der Firma Feritse Präzisionsinstrumente entfernten Station an.

[* Flugspione gibt es in mindestens fünf Formen, die sich für verschiedene Verwendungen eignen:

Die Servo-Optik – ein elektronischer Spion mit rotierenden Flügeln, der von einem Beobachter ferngesteuert wird;

Die Servo-Automatik – ein ähnliches Gerät, das selbsttätig einem radioaktiven Aufkleber oder einfarbigem Fleck auf dem zu beobachtenden Objekt folgt;

Der Gulp-Meisterspion – eine halbintelligente fliegende Kreatur, die darauf trainiert ist, jedem Subjekt von Interesse zu folgen, klug und zuverlässig, aber relativ groß und darum auffällig.

Der Manx-Spionvogel – ein kleineres, weniger auffallendes Geschöpf, das für ähnliche Aufgaben abgerichtet werden kann; weniger folgsam und intelligent, aggressiver;

Der modifizierte Manx-Spionvogel – ähnlich wie oben beschrieben, ausgestattet mit Kontrollgeräten.]

Ferristoun war ein trostloser Bezirk aus Industriebauten, Lagerhäusern und ab und zu einer Kneipe; Letztere waren fröhliche kleine Winkel, reich verziert, mit Buntglas und geschnitztem Holz als Nachahmung der großen Vergnügungsarkaden entlang des Seeufers.

Es war gerade mittlerer Vormittag; Regen hatte das schwarze Pflaster dunkel gefärbt. Dreiachsige Lastwagen rumpelten durch die Straßen, und der ganze Bezirk schien vom gedämpften Summen zahlreicher Maschinen erfüllt zu sein. Als Gersen zu seinem Ziel ging, signalisierte ein kurzes, scharfes Blöken einer Pfeife Schichtwechsel; die Gehsteige waren auf einmal von Arbeitern überflutet. Sie waren blasse Leute mit leeren, humorlosen Gesichtern und trugen warme Overalls von guter Qualität in einer von drei Farben: grau, dunkelblau oder selfgelb, einen farblich abgesetzten Gürtel, entweder schwarz oder weiß, und schwarze Kaftane mit runden Kappen. Alles war Standardware, nachdem die Regierung ein durchorganisierter Syndikalismus ist, so gründlich, sorgfältig und humorlos wie ihre Bürger.

Die Pfeife blökte noch zweimal, und wie durch Zauberei leerten sich die Straßen, und die Arbeiter verschwanden in die Gebäude wie Kakerlaken, wenn sie dem Licht ausgesetzt werden. Kurz darauf langte Gersen vor einer fleckigen Betonfassade an, auf der in großen bronzenen Buchstaben die Inschrift FERITSE stand und darunter in der verschnörkelten Olph-Schrift: Präzisionsinstrumente. Es war noch einmal notwendig geworden, sich gegenüber seinen Feinden zu exponieren; er fühlte sich dabei alles andere als wohl.

Nun, da war nichts zu machen. Eine einzige kleine Tür führte in das Gebäude. Gersen trat ein und sah sich in einem langen, dämmerigen Korridor, einem Betontunnel, der ihn nach etwa hundert Metern zu den Verwaltungsbüros führte. Er kam an einen Schalter, hinter dem eine ältere Frau von angenehmem Äußeren und Manieren saß. Wie es der lokalen Sitte entsprach, trug sie während der Arbeitszeit Männerkleidung, einen dunkelblauen Monteuranzug mit einem schwarzen Gürtel. Sie erkannte in Gersen sofort einen Außerweltler von nicht erratbarer Kaste, verneigte sich mit feierlicher Höflichkeit und fragte mit leiser, ehrerbietiger Stimme: „Womit, mein Herr, können wir Ihnen dienen?“

Gersen holte das Messingschild heraus. „Ich habe den Schlüssel für meinen Monitor verloren und möchte ein Duplikat.“

Die Frau blinzelte. Ihr Verhalten änderte sich sofort, wenn auch unbewusst. Sie griff zögernd nach dem Schild, hielt es vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger, als ob es beschmutzt wäre, und schaute über die Schulter.

„Nun?“ fragte Gersen mit einer Stimme, die durch seine innere Anspannung plötzlich harsch klang. „Gibt es irgendwelche Schwierigkeiten?“

„Es gibt neue Vorschriften“, murmelte die Frau. „Ich habe Anweisungen bekommen… Ich muss bei Direktor-Kontrolleur Masensen rückfragen. Entschuldigen Sie mich bitte, mein Herr.“

Sie entfernte sich fast im Laufschritt und verschwand durch eine Seitentür. Gersen wartete. Er war nervöser, als gut für ihn war; Nervosität beeinträchtigte das Urteilsvermögen und die Genauigkeit von Wahrnehmungen… Die Frau kehrte langsam zum Schalter zurück, schaute nach links und rechts und wich Gersens Augen aus. „Nur einen Moment bitte, mein Herr. Wenn Sie bitte warten wollen… Es müssen Unterlagen über-prüft werden; ist es nicht immer so? Wenn jemand etwas eilig haben möchte…?“

„Wo ist das Typenschild?“ fragte Gersen.

„Direktor-Kontrolleur Masensen hat es an sich genommen.“

„In diesem Fall werde ich sofort mit Direktor-Kontrolleur Masensen sprechen.“

„Ich werde ihn fragen“, sagte die Frau.

„Machen Sie sich bitte keine Mühe“, sagte Gersen. Ohne sich um ihren erschrockenen Protestschrei zu kümmern, schob er sich durch eine Schwingtür und ging vor ihr in das innere Zimmer. Ein stattlicher Mann mit fleischigem Gesicht saß telefonierend an einem Schreibtisch und betrachtete dabei das Typenschild. Er trug den gleichen Arbeitsanzug wie alle anderen, aber in trendigem Blau und Taubengrau. Beim Anblick von Gersen zog er die Brauen hoch, und sein Mund sackte zu einer irritierten und ärgerlichen Grimasse herab. Rasch legte er das Telefon weg. Nachdem er Gersen mit einem kurzen Blick von oben bis unten gemustert hatte, rief er: „Wer sind Sie, mein Herr? Warum kommen Sie in mein Büro?“

Gersen langte über den Schreibtisch und nahm das Typenschild an sich. „Mit wem telefonieren Sie in dieser Angelegenheit?“

Masensen wurde hochmütig. „Das geht Sie überhaupt nichts an! Frechheit! Hier in meinem Büro!“

„Die Tutoren werden sich für Ihre illegalen Handlungen interessieren“, sagte Gersen trügerisch sanft. „Ich bin erstaunt, dass Sie die Gesetze missachten.“

Masensen lehnte sich zurück und blies erschrocken die Backen auf. Die Tutoren, deren Kaste so hoch stand, dass der Unterschied zwischen Masensen und seiner Büroangestellten dagegen unbedeutend erscheinen würde, ließen mit sich nicht spaßen. Sie respektierten niemanden und neigten dazu, eher die Anschuldigungen zu glauben als Unschuldsbeteuerungen. Sie trugen Uniformen aus kostbarem dickem Flor, der je nach Lichteinfall verschieden schimmerte: pflaumenblau, dunkelgrün, golden. Nicht so sehr arrogant als vielmehr intensiv ernsthaft, verhielten sie sich nach den vollen Bedeutungen ihrer Kaste. Auf Olliphane wurden Folterstrafen als billigeres, wenn nicht sogar wirksameres Abschreckungsmittel als Haftstrafen angewandt; die Androhung einer Polizeianklage konnte darum auch die Unschuldigsten um ihre Ruhe bringen.

„Ich habe niemals die Gesetze missachtet!“ rief Direktor-Kontrolleur Masensen. „Habe ich Ihnen etwas verweigert? Wirklich nicht.“

„Dann geben Sie mir sofort meinen Schlüssel, wie es das Gesetz verlangt.“

„Langsam“, sagte Masensen. „So schnell können wir das nicht machen. Zuerst müssen Unterlagen eingesehen werden. Vergessen Sie nicht, wir haben Wichtigeres zu tun, als für jeden dahergelaufenen Vagabunden von Makler zu springen, der hier hereinmarschiert und uns beleidigt.“

Gersen starrte in das runde blasse Gesicht, das Feindseligkeit und Trotz spiegelte. „Na gut“, sagte Gersen. „Ich werde mich vor dem Tutorenausschuss beschweren.“

„Nun seien Sie doch vernünftig!“ platzte Masensen begütigend heraus. „Man kann nicht alles sofort wollen.“

„Wo ist mein Schlüssel? Wollen Sie sich immer noch gegen das Gesetz stellen?“

„Natürlich nicht. Ich werde mich um die Sache kümmern. Kommen Sie, gedulden Sie sich. Nehmen Sie Platz und gedulden Sie sich diese paar Minuten.“

„Ich kann nicht warten.“

„Dann gehen Sie!“ brüllte Masensen. „Ich habe genau das getan, was das Gesetz verlangt!“ Seine Lippen bebten; sein Gesicht war dunkelrosa vor Wut; er schlug mit beiden Fäusten auf den Schreibtisch. Die Angestellte, die entsetzt in der Tür stand, wimmerte leise. „Rufen Sie die Tutoren!“ tobte Masensen. „Ich werde Sie wegen Hausfriedensbruch und Drohungen anklagen! Ich werde dafür sorgen, dass Sie ausgepeitscht werden!“

Gersen wagte sich nicht länger aufzuhalten. Wütend machte er kehrt und lief hinaus, durch das Vorzimmer und hinaus in den Betontunnel. Er hielt inne und schaute schnell zurück. Die vor Aufregung zitternde Rezeptionistin achtete nicht auf ihn. Wie ein Wolf grinsend marschierte er den Korridor entlang, fort vom Eingang, und kam kurz darauf zu einem Durchgang in den Produktionssaal.

Er trat beiseite und blieb unauffällig im Schatten eines Betonpfeilers stehen, um sich die Räume einzuprägen und die verschiedenen Produktionslinien nachzuverfolgen. Bestimmte Phasen standen unter biomechanischer Kontrolle, andere wurden von Schuldnern, moralischen Abweichlern, Landstreichern oder Betrunkenen ausgeführt, die dutzendweise von der Stadt gemietet wurden. Sie saßen an ihre Bänke gekettet, bewacht von einem alten Wärter, und arbeiteten mit apathischer Effizienz. Der Abteilungsleiter saß auf einer erhöhten Plattform, die an einem Ausleger in jeden Teil des Saales geschwenkt werden konnte.

Gersen machte das Produktionsband aus, wo Monitore zusammengebaut wurden, identifizierte die Station, wo die Schlösser montiert wurden: eine sechzig Meter lange Nische an der Wand entlang, neben einem Glaskasten, wo ein Arbeiter, vielleicht ein Zeitnehmer, auf einem hohen Stuhl saß.

Gersen überblickte noch einmal den Saal. Niemand hatte das geringste Interesse an ihm gezeigt. Die Aufmerksamkeit des Abteilungsleiters war anderswohin gerichtet. Gersen ging schnell an der Wand entlang zu dem Glaskasten, wo der Kontrolleur saß: ein mitgenommener hohlwangiger jung-alter Mann mit sardonischen schwarzen Augenbrauen, blasser, runzliger Haut, einer zynischen Hakennase und ironisch geschürzten Lippen; nicht notwendig ein Pessimist, aber offenbar ein Mann ohne Optimismus. Gersen stellte sich in den Schatten hinter dem Glaskasten.

Der Angestellte sah sich erstaunt um. „Nun, mein Herr? Was wollen Sie? Das ist nicht gestattet, das müssen Sie wissen.“

Gersen fragte: „Möchten Sie hundert SVE verdienen – sehr schnell?“

Der Angestellte schnitt eine traurige Grimasse. „Natürlich. Wen muss ich umbringen?“

„Meine Wünsche sind bescheidener“, sagte Gersen und zeigte das Typenschild vor. „Besorgen Sie mir einen Schlüssel für dieses Instrument, und fünfzig SVE gehören Ihnen.“ Er legte fünf purpurne Noten auf den Tisch. „Fünfzig dazu, wenn Sie herausfinden, auf welchen Namen die Seriennummer eingetragen ist.“ Er zählte fünf weitere Banknoten auf den Tisch.

Der Angestellte schaute auf das Geld, dann warf er einen spekulativen Blick über die Schulter durch den Saal. „Warum gehen Sie nicht vorn ins Büro? Solche Sachen erledigt gewöhnlich der Direktor-Kontrolleur.“

„Ich habe Direktor-Kontrolleur Masensen verärgert“, sagte Gersen. „Er macht Schwierigkeiten, und ich habe es eilig.“

„Mit anderen Worten, Direktor-Kontrolleur Masensen würde es nicht billigen, wenn ich Ihnen helfe.“

„Was der Grund ist, warum ich Ihnen hundert SVE biete, um einen völlig legalen Auftrag für mich auszuführen.“

„Ist er meine Stellung wert?“

„Wenn ich durch den Hinterausgang gehe, braucht niemand davon zu erfahren. Und Masensen wird den Unterschied nie wissen.“

Der Angestellte dachte darüber nach. „In Ordnung“, sagte er. „Ich kann das tun. Aber ich brauche weitere fünfzig SVE für den Schlüsselmacher.“

Gersen zuckte die Schultern und legte eine orangene Fünfzig-SVE-Banknote dazu. „Ich wäre Ihnen für schnelle Erledigung dankbar.“

Der Angestellte lachte. „Je eher Sie fort sind, desto besser für mich. Aber ich muss zwei Karteien durchsehen. Wir sind hier nicht allzu effizient. Bleiben Sie inzwischen da hinten außer Sicht.“ Er notierte die Seriennummer, verließ den Glaskasten und verschwand hinter einer Trennwand.

Zeit verging. Gersen bemerkte, dass die Rückwand des Glaskastens aus bemalten Glasscheiben bestand. Er bückte sich und legte sein Auge an einen Kratzer, sodass er ein etwas undeutliches Bild vom Nebenraum hinter der Trennwand bekam.

Der Angestellte stand an einem altmodischen Karteikasten und fingerte durch die Karten. Er fand die Karte und notierte sich etwas daraus. Aber nun stampfte Masensen aus einer Seitentür in den Raum. Der Angestellte schob den Karteikasten wieder in sein Schubfach und ging weg. Masensen blieb stehen, feuerte eine Frage auf den Angestellten ab, der mit ein paar gleichgültigen Worten antwortete. Gersen zollte ihm ein stilles Lob für seine Kaltblütigkeit. Masensen starrte ihm nach, drehte dann um und machte sich selbst übe die Kartei her.

Mit einem Auge auf Masensens breiten Rücken, beugte sich der Angestellte über den Schlüsselmacher, flüsterte ihm etwas ins Ohr, gab ihm den Zettel und ging. Masensen blickte sich misstrauisch um, aber der Angestellte hatte den Raum bereits verlassen.

Der Maschinist steckte einen Schlüsselrohling in die Maschine, schaute auf den Zettel und drückte eine Anzahl von Knöpfen zur Einstellung der Kerben, Biegungen, Leitfähigkeiten und magnetischen Knoten des Schlüssels.

Masensen durchsuchte den Karteikasten, zog eine Karte heraus und marschierte aus dem Raum. Sofort kam der Angestellte zurück. Der Mann an der Maschine warf ihm den Schlüssel zu. Der Angestellte betrat den Glaskasten, händigte Gersen den Schlüssel aus und nahm fünf purpurne Noten vom Tisch.

„Und die Registrierung?“ fragte Gersen.

„Da kann ich Ihnen nicht helfen. Masensen kam vor mir an die Kartei und nahm die Karte heraus.“

Gersen betrachtete verdrossen den Schlüssel. Sein Hauptzweck war gewesen, zu erfahren, wer der eingetragene Besitzer des Monitors war. Der Schlüssel war natürlich besser als nichts; der Speicher war leichter zu verstecken als der Monitor selbst. Aber seine Zeit lief ab; er wagte nicht länger zu warten.

„Behalten Sie die anderen fünfzig“, sagte er. Das Geld stammte immerhin von Malagate. „Kaufen Sie Ihren Kindern ein Spielzeug.“

Der Angestellte schüttelte den Kopf. „Ich nehme Geld nur für das, was ich getan habe. Ich brauche kein Geschenk.“

„Wie Sie wollen.“ Gersen steckte das Geld wieder ein. „Sagen Sie mir, wie ich unauffällig hinauskommen kann.“

„Am besten gehen Sie den Weg, den Sie gekommen sind“, sagte der Angestellte. „Wenn Sie versuchen, hinten rauszugehen, werden Sie von der Patrouille angehalten.“

„Danke“, sagte Gersen. „Sie sind kein Olph?“

„Nein. Aber ich wohne schon so lange hier, dass ich alles Bessere vergessen habe.“

Gersen spähte vorsichtig aus dem Glaskasten. Die Situation war wie zuvor. Er schlüpfte hinaus, ging schnell an der Wand entlang zum Ausgang und erreichte den Korridor. Als er an der Tür zu den Verwaltungsbüros vorbeikam, schaute er hindurch und sah Masensen auf und ab marschieren, offensichtlich übelgelaunt. Gersen drückte sich vorbei und eilte den Korridor entlang zur Außentür. Aber nun ging diese Tür auf. Ein Mann trat ein, dessen Gesichtszüge vor dem Tageslicht von draußen dunkel und unkenntlich waren. Gersen marschierte forsch weiter, als seien seine Geschäfte hier die legitimsten der Welt.

Der Mann kam näher; ihre Augen trafen sich. Der Neuankömmling blieb stehen: es war Tristano, der Mann von der Erde.

„Das nenne ich Glück!“ erklärte Tristano vergnügt. „In der Tat ein Glück.“

Gersen antwortete nicht. Er versuchte sich langsam und vorsichtig an dem Mann vorbeizudrücken, zu nervös und angespannt, um Angst zu empfinden. Tristano vertrat ihm mit einem Schritt den Weg. Gersen blieb stehen und musterte ihn. Tristano war etwa zwei Zentimeter kleiner als er, aber stiernackig und mit dicken Schulten, flach, aber breit an der Hüfte: ein Attribut, das auf Wendigkeit und gute Hebelkraft der Muskeln hindeutete. Sein Kopf war klein, fast haarlos; seine Züge waren scharf. Die Ohren waren chirurgisch gestutzt, die Nase platt, die Mundpartie dick von Muskeln. Sein Gesichtsausdruck war ruhig, mit einem halben Lächeln um die Mundwinkel. Er schien eher leichtsinnig als bösartig zu sein: ein Mann, der weder Hass noch Mitleid empfinden würde, ein Mann, der nur von dem Bedürfnis getrieben war, die Extreme seiner Potenziale zu erfüllen. Ein sehr gefährlicher Mann, dachte Gersen. Er sagte ruhig: „Lassen Sie mich vorbei.“

Tristano streckte seine linke Hand fast freundschaftlich aus. „Wie immer Sie heißen mögen, seien sie vernünftig. Kommen Sie mit mir.“ Er wedelte mit der ausgestreckten Hand und beugte sich vor. Gersen beobachtete Tristanos Augen und ignorierte die ablenkende linke Hand. Als die Rechte vorschoss, schlug er sie zur Seite und trieb seine Faust in Tristnos Gesicht.

Tristano taumelte wie unter starken Schmerzen zurück, und Gersen tat, als ließe er sich täuschen. Er drang auf Tristano ein, den rechten Arm schlagbereit am Körper angewinkelt. Aber er blieb sofort stehen, als Tristano mit unglaublicher Gewandtheit sein Bein hochriss: ein Tritt, der verkrüppeln oder töten sollte.

Als der Fuß vorbeischwang, packte Gersen Zehen und Ferse und drehte den Fuß mit einem scharfen Ruck. Tristano entspannte sich sofort, drehte sich in der Luft herum, zog sich zu einem Ball zusammen und nützte den Schwung seiner Drehung, um den Fuß unverletzt Gersens Griff zu entwinden. Katzengleich landete er auf Händen und Füßen und wollte wegspringen, aber Gersen bekam Tristanos Hinterkopf zu fassen und stieß den Mann mit dem Gesicht auf sein hochschwingendes Knie. Knorpelgewebe wurde zerquetscht, Zähne brachen.

Tristano fiel zurück, nun doch erschrocken. Einen Augenblick saß er benommen mit hängenden Armen und von sich gespreizten Beinen da. Gersen bekam Fuß und Knöchel von Tristanos linkem Bein in einen festen Griff, ließ sich in einer Drehbewegung fallen und fühlte Knochen unter seinem Gewicht brechen. Tristano sog hörbar Luft ein. Er griff nach seinem Messer und ließ die Kehle einen Moment ungedeckt. Gersen hackte in einer Rückhandbewegung hinein. Tristanos Hals war muskulös, und er blieb bei Bewusstsein, aber er kippte nach hinten, hilflos mit dem Messer fuchtelnd. Gersen trat es ihm aus der Hand, blieb aber vorsichtig, denn Tristano mochte noch mit einer oder einem Dutzend eingebauter geheimer Waffen ausgerüstet sein.

„Lass mich in Ruhe“, krächzte Tristano. „Lass mich, geh deiner Wege.“ Er schleppte sich zur Wand.

Gersen folgte ihm vorsichtig und gab Tristano die Option zu kontern. Tristano verweigerte sie; Gersen stellte Kontakt mit den massiven Schultern her und packte zu. Tristano duldete es. Die beiden starrten einander in die Augen. Plötzlich stieß Tristano die Arme vor und versuchte einen Schulterhebel. Zugleich kam sein gesundes Bein hoch. Gersen wich dem Schulterhebel aus, packte das Bein, bereit, auch den anderen Knöchel zu brechen. Hinter ihm gab es einen Aufschrei und hektische Bewegungen. Direktor-Kontrolleur Masensen kam mit verzerrtem Gesicht unbeholfen durch den Korridor gerannt. Hinter ihm trotteten zwei oder drei Untergebene her.

„Aufhören!“ schrie Masensen. „Was tun Sie hier in diesem Gebäude?“ spuckte er Gersen geradezu ins Gesicht. „Sie sind ein Teufel, ein Verbrecher der schlimmsten Sorte! Erst beleidigen Sie mich, dann greifen Sie meinen Kunden an! Ich werde Sie den Tutoren übergeben!“

„Nur zu“, keuchte Gersen, der plötzlich voller Rachsucht war. „Rufen Sie die Tutoren.“

Masensen hob seine Augenbrauen. „Was? Das ist der Gipfel der Unverschämtheit!“

„Weit gefehlt“, sagte Gersen. „Ein guter Bürger unterstützt die Polizei bei der Festnahme von Verbrechern.“

„Was soll das heißen?“

„Es gibt da einen gewissen Namen, den ich nur einmal vor den Tutoren auszusprechen brauche. Ich brauche nur anzudeuten, dass Sie und dieser Mann in heimlichem Einverständnis handeln. Beweise? Dieser Mann“ – er schaute auf den halb lächelnden, halb benommenen Tristano – „kennen Sie ihn?“

„Nein. Natürlich kenne ich ihn nicht.“

„Aber Sie haben ihn eben als Kunden identifiziert.“

„Ich hielt ihn dafür.“

„Er ist ein notorischer Mörder.“

„Irrtum, mein flinker Freund“, krächzte Tristano. „Ich bin kein Mörder.“

„Lugo Teehalt ist nicht mehr am Leben, um dir zu widersprechen.“

Tristano versuchte eine Grimasse entrüsteter Unschuld aufzusetzen. „Wir unterhielten uns, du und ich, während der alte Mann starb.“

„In diesem Fall haben weder Dasce noch der Sarkoy Teehalt umgebracht. Wer kam mit euch zu Smades Planeten?“

„Wir kamen allein.“

Gersen sah ihn verwundert an. „Ich finde das schwer zu glauben. Hildemar Dasce sagte Teehalt, dass Malagate ihn draußen erwarte.“

Tristanos Antwort war ein schwaches Schulterzucken.

Gersen blickte auf ihn herab. „Ich habe Respekt vor den Tutoren und ihren Folterstrafen; ich kann es nicht riskieren, dich umzubringen. Aber ich kann noch mehr Knochen brechen, bis du seitwärts wie eine Krabbe gehen musst. Ich kann deine Augen auseinanderdrücken, dass du für den Rest deines Lebens in zwei verschiedene Richtungen siehst.“

Die Linien um Tristanos Mund vertieften sich und wurden melancholisch. Er ließ sich schwer an die Wand zurückfallen, uninteressiert, von Schmerzen gepeinigt. Er murmelte: „Seit wann wird Töten im Jenseits Mord genannt?“

„Wer hat Teehalt getötet?“

„Ich habe nichts gesehen. Ich stand mit dir bei der Tür.“

„Aber ihr drei seid zusammen zu Smades Gasthaus gekommen.“

Tristano gab keine Antwort. Gersen beugte sich über ihn und vollzog eine rasche, grausame Handlung. Masensen stieß einen unartikulierten Laut aus und wankte ein Stück fort; dann wandte er sich wie unter einem übermächtigen Zwang um und starrte. Tristano schaute betäubt auf sein gebrochenes Handgelenk.

„Wer hat Teehalt getötet?“

Tristano schüttelte den Kopf. „Ich sage nichts mehr. Lieber lasse ich mich verkrüppeln, als durch das Cluthe des Sarkoy zu sterben.“

„Ich kann dich genauso mit Cluthe vergiften.“

„Ich sage nichts mehr.“

Gersen beugte sich wieder vor, aber Masensen stieß einen kurzen, zitternden Schrei aus. „Das ist unerträglich! Ich werde es nicht zulassen! Müssen Sie mir Alpträume verschaffen? Ich schlafe nicht gut.“

Gersen musterte ihn unfreundlich. „Sie mischen sich besser nicht ein.“

„Ich lasse die Tutoren kommen. Ihre Handlungen sind grob illegal. Sie haben Gesetze des Staates gebrochen.“

Gersen lachte. „Rufen Sie die Tutoren. Wir werden schon sehen, wer Gesetze gebrochen hat und bestraft wird.“

Masensen rieb sich die blassen Wangen. „Gehen Sie. Lassen Sie sich nie wieder blicken, und ich werde schweigen.“

„Nicht so schnell“, sagte Gersen triumphierend. „Sie sind in ernsten Schwierigkeiten. Ich bin mit einem legalen Anliegen zu Ihnen gekommen; Sie telefonieren nach einem Mörder, der mich angreift. Dieses Verhalten sollte nicht übersehen werden.“

Masensen leckte sich die Lippen. „Sie machen falsche Anschuldigungen; ich werde das meiner Aussage hinzufügen.“ Es war ein armseliger Versuch. Gersen lachte. Er ging zu Tristano, drehte ihn auf den Bauch, zog seine Jacke über den breiten Rücken herunter, um die Arme zu fixieren, und band die Jacke mit Tristanos Schärpe fest. Mit seinen gebrochenen Knochen war Tristano nun immobilisiert. Gersen ging den Korridor entlang und winkte Masensen. „Gehen wir in Ihr Büro.“

Gersen ging voraus, und Masensen stapfte unwillig hinterher; sobald sie im inneren Büro waren, ließ er sich entnervt in seinen Sessel sinken.

„Also los“, sagte Gersen, „rufen Sie die Tutoren.“

Masensen schüttelte den Kopf. „Es… es ist besser, keine Schwierigkeiten zu machen. Die Tutoren sind manchmal unvernünftig.“

„In diesem Fall müssen Sie mir sagen, was ich wissen will.“

Masensen neigte seinen Kopf. „Fragen Sie.“

„Wen haben Sie angerufen, als ich kam?“

Masensen ließ extreme Erregung erkennen. „Das kann ich Ihnen nicht sagen“, sagte er heiser. „Wollen Sie, dass ich getötet werde?“

„Die Tutoren werden die gleiche Frage stellen, und viele andere dazu.“

Masensen blickte verzweifelt nach rechts, nach links und zur Decke hinauf. „Einen Mann“, sagte er, „im Grand Pomador Hotel. Sein Name… Spock.“

„Sie lügen“, sagte Gersen. „Ich gebe ihnen noch eine Chance. Wen haben Sie angerufen?“

Masensen schüttelte verzweifelt den Kopf. „Ich habe nicht gelogen.“

„Haben Sie den Mann gesehen?“

„Ja. Er ist groß. Er hat kurzes rosafarbenes Haar, ein langes Pferdegesicht und keinen Hals. Sein Gesicht hat eine seltsame rote Farbe, und er trägt eine dunkle Brille und einen Nasenschützer – sehr ungewöhnlich. Er hat nicht mehr Gefühl als ein Fisch.“

Gersen nickte. Masensen sagte die Wahrheit. Dies musste Hildemar Dasce sein. Er wandte sich um. „Gut, und nun etwas sehr Wichtiges. Ich möchte wissen, auf wen der Monitor registriert ist.“

Masensen begann seinen Kopf zu schütteln, zuckte dann fatalistisch mit den Schultern und stand auf. „Ich werde die Unterlagen holen.“

„Nein“, sagte Gersen. „Wir werden zusammen gehen. Und falls wir die Unterlagen nicht finden können, dann schwöre ich, dass ich die stärkstmöglichen Anschuldigungen erheben werde.“

Masen rieb sich müde die Stirn. „Ich erinnere mich jetzt. Die Karteikarte ist hier.“ Er holte eine Karte aus seinem Schreibtisch. „Universität der Seeprovinz, Avente, Alphanor. Stiftung Wissenschaftsfonds 291.“

„Kein Name?“

„Nein. Und der Schlüssel ist für Sie wertlos. Die Universität verwendet ein Chiffriergerät in jedem ihrer Monitore. Wir haben mehrere an sie verkauft.“

Gersen zweifelte nicht an der Wahrheit dieser Aussage. Der Gebrauch von Chiffriergeräten zur Verhinderung betrügerischer Machenschaften eines skrupellosen Maklers war keine Seltenheit.

Masensens Stimme wurde sehr ironisch. „Die Universität hat Ihnen offenbar einen verschlüsselten Monitor ohne Dechiffrierstreifen verkauft. Wenn ich Sie wäre, würde ich mich bei den Behörden in Avente beschweren.“

Gersen überdachte die Folgerungen, die sich aus dieser Auskunft ergaben. Sie waren in der Tat weitreichend, falls eine bestimmte Bedingung erfüllt wurde.

„Warum haben Sie diesen Spock angerufen? Hat er Ihnen Geld geboten?“

Masensen nickte niedergeschlagen. „Geld. Und… er hat mir gedroht. Eine Indiskretion in meiner Vergangenheit…“ er machte eine vage Geste.

„Sagen Sie mir, wusste Spock, dass der Monitor chiffriert ist?“

„Gewiss. Ich erwähnte das ihm gegenüber, aber es war ihm bereits bekannt.“

Gersen nickte. Die Bedingung war erfüllt. Attel Malagate musste Zugang zum Dechiffrierstreifen in der Universität der Seeprovinz haben.

Er dachte einen Moment nach. Informationen sammelten sich. Malagate selbst hatte Teehalt umgebracht, wenn man Hildemar Dasce glauben durfte. Tristano hatte das indirekt bestätigt, er hatte mehr Informationen gegeben, als er wollte. Er hatte die Situation aber auch verwirrt. Wenn Dasce, der Sarkoy-Giftmischer und Tristano gemeinsam und ohne eine vierte Person zu Smades Gasthaus gekommen waren, wie war dann Malagates Anwesenheit zu erklären? War er gleichzeitig mit einem anderen Schiff gekommen? Möglich, aber unwahrscheinlich…

Masensen starrte ihn ängstlich und elend an.

„Ich gehe jetzt“, sagte Gersen. „Haben Sie vor, diesem Spock zu sagen, dass ich hier war?“

Masensen nickte; all seine Großtuerei war verschwunden. „Ich muss.“

„Aber Sie werden eine Stunde warten.“

Masensen protestierte nicht. Vielleicht würde er Gersens Wünsche respektieren – aber wahrscheinlich nicht. Aber das ließ sich nicht ändern. Gersen wandte sich ab und verließ das Büro mit dem geschlagenen Masensen.

Im Korridor überholte er Tristano, der es irgendwie fertiggebracht hatte, sich in eine aufrechte Position zu winden. Nun hüpfte er dem Ausgang zu, den gebrochenen Fuß auswärts gestellt nachziehend. Er blickte über die Schulter zu Gersen, immer noch mit dem stillen halben Lächeln, obwohl die Muskeln um seinen Mund angespannt waren. Gersen hielt einen Moment inne, um über den Mann nachzudenken. Es wäre klug und wünschenswert, ihn zu töten, wenn die Möglichkeit einer Einmischung der Polizei nicht wäre. So beschränkte er sich auf ein höfliches Nicken, schritt an Tristano vorbei und ging seiner Wege.

6

Vorwort zu Menschen der Oikumene von Jan Holberk Vaenz LXII:

Dieses Zeitalter hat etwas Erstickendes an sich, das von einer Anzahl zeitgenössischer Anthropologen beobachtet, kommentiert und beklagt worden ist: eine Seltsamkeit, denn nie zuvor hat es solch vielfältige Möglichkeiten und mögliche Lebenswege gegeben. Es ist vorteilhaft, über diese Situation nachzudenken, denn sie wird auf den folgenden Seiten viele Male wiederkehren.

Die wichtigste Tatsache des menschlichen Lebens ist die Unendlichkeit des Weltraums: die Grenzen, die nie erreicht werden können, die unzähligen immer noch ungesehenen Welten – kurz, das Jenseits. Es ist mein Glaube, dass das Wissen um diese fantastischen Möglichkeiten sich irgendwie im Kern des menschlichen Bewusstseins verklumpt und den menschlichen Unternehmungsgeist vermindert oder gedämpft hat. Eine sofortige Einschränkung ist notwendig: Männer mit Unternehmungsgeist existieren in der Tat, wenngleich leider die meisten davon im Jenseits arbeiten und ihr Unternehmungsgeist nicht gänzlich konstruktiv ist. (Die Aussage ist nicht völlig ironisch: viele der schädlichsten Lebensformen üben irgendeine Art von nützlichem Nebeneffekt aus.)

Aber im Allgemeinen wendet das Streben sich nach innen statt nach außen zu den offensichtlichen Zielen. Warum? Schreckt die Unendlichkeit als Objekt der Erfahrung statt einer mathematischen Abstraktion den menschlichen Geist ab? Sind wir selbstzufrieden und sicher, wissend, dass die Reichtümer der Galaxis immer da sein werden, um sie sich zu holen? Ist das zeitgenössische Leben schon so gesättigt von einer zu reichen Ernährung oder Neuheit? Ist es vorstellbar, dass das Institut mehr Kontrolle über die menschliche Psyche ausübt, als wir vermuten? Oder gibt es gegenwärtig ein Gefühl der Frustration und Schalheit, die Überzeugung, dass aller Ruhm schon gewonnen wurde, dass alle sinnvollen Ziele erreicht worden sind?

Unzweifelhaft gibt es keine einzige Antwort. Aber mehrere Punkte sind erwähnenswert. Erstens (ohne Kommentar zu erwähnen) gibt es da die seltsame Situation, wo die einflussreichsten und effektivsten Systeme der Zeit die privaten oder bestenfalls halb-öffentlichen Vereinigungen sind: die IPCC, das Institut, die Jarnell Corporation.

Der zweite ist der Niedergang des allgemeinen Bildungsniveaus. Die Extreme liegen sicherlich weiter auseinander; die Gelehrten des Instituts auf der einen Seite und, sagen wir, die Leibeigenen einer Länderei auf Tertullian auf der anderen. Wenn wir die Situation der Menschen jenseits der Grenze berücksichtigen, dann ist die Polarität noch ausgeprägter.

Es gibt offensichtliche Ursachen für den Niedergang. Pioniere, die in fremdartigen und oft feindlichen Umwelten siedeln, haben das schiere Überleben als ihre erste Sorge. Möglicherweise noch entmutigender ist die unbewältigbare Masse des angesammelten Wissens. Der Trend zur Spezialisierung begann mit der Neuzeit, aber nach dem Ausbruch in den Weltraum und der nachfolgenden neuen Fülle von Informationen ist die Spezialisierung noch enger fokussiert worden.

Es ist vielleicht relevant, die Art des Menschen zu bedenken, der der neue Spezialist geworden ist. Er lebt in einem materialistischen Zeitalter, wo vergleichsweise wenig Interesse Absoluten gewidmet wird. Er ist ein Mann mit Charme, Witz und Kultiviertheit, aber ohne Tiefsinn. Seine Ideale sind nicht abstrakt. Sein Betätigungsfeld mag, wenn er ein Gelehrter ist, die Mathematik oder eine der physischen Wissenschaften sein, aber es ist hundertmal wahrscheinlicher, dass es eine Phase dessen ist, was lose humanistische Studien genannt wird: Geschichte, Soziologie, vergleichende Wissenschaften, Symbologie, Ästhetik, Anthropologie, die Varianten der Erfahrung, Bildungswesen, Kommunikation, Verwaltung und Zwang, ganz zu schweigen von dem Morast der Psychologie, der bereits von Generationen von Unfähigen ausgetrampelt worden ist, und die immer noch unerforschte Wildnis der Psionik.

Es gibt auch jene, die sich wie der Autor auf einem bombastischen Felsen der Allwissenheit niederlassen und unter Beteuerungen der Bescheidenheit, die entweder nicht überzeugend sind oder völlig fehlen, eine Verpflichtung zur Belobigung, Derogation oder Anprangerung ihrer Zeitgenossen annehmen.

Dennoch ist es im Großen und Ganzen eine leichtere Arbeit, als einen Graben auszuheben.

Aus Zehn Entdecker: Eine Studie eines Typs von Oscar Anderson:

Jede Welt hat ihr eigenes psychisches Aroma: dies ist etwas, das von jedem der zehn Entdecker bezeugt wird. Isaac Canaday ist bereit zu wetten, dass er, wenn er mit verbundenen Augen zu irgendeinem Planeten der Oikumene oder des unmittelbar angrenzenden Jenseits gebracht würde, diesen Planeten sofort nach Entfernung der Augenbinde richtig identifizieren würde. Wie vollbringt er so etwas? Auf den ersten Blick erscheint es unbegreiflich. Canaday selbst gibt zu, die Quelle seines Wissens nicht zu kennen.

„Ich hebe einfach meine Nase, ich sehe mir den Himmel an, ich mache ein paar Sprünge – und es kommt zu mir.“ Canadays Erklärung ist natürlich schelmisch und bewusst kauzig. Unsere Sinne sind zweifellos viel schärfer, als wir vermuten. Die Zusammensetzung der Luft, die Farbe des Lichtes und des Himmels, die Krümmung und Nähe des Horizonts, der Schwerkraftzug: das wird vermutlich von unserem Gehirn so interpretiert, dass es eine Individualität produziert, genau wie der Anblick von Augen, einer Nase, von Haar, eines Mundes, von Ohren das Aussehen eines Gesichtes erzeugt.

All dies ohne Erwähnung von Flora und Fauna, den Werken von Eingeborenen oder Menschen, das möglicherweise besondere Aussehen der Sonne oder Sonnen…

Aus Life, Band III, von Unspiek, Baron Bodissey:

So wie eine Gesellschaft reifer wird, graduiert und verändert der Kampf ums Überleben unmerklich den Schwerpunkt und wird zu etwas, das man nur als Streben nach Vergnügen bezeichnen kann. Dies ist eine große Aussage, möglicherweise ohne überraschende Neuheit. Dennoch bietet sie eine reiche Resonanz von Implikationen.

Der Autor schlägt als spritziges Thema für eine Dissertation eine Erhebung verschiedener umweltbedingter Überlebenssituationen und der besonderen Arten von sich daraus ergebenden Vergnügungszielen vor. Es erscheint nach kurzem Nachdenken als wahrscheinlich, dass jede spezielle Knappheit (oder Zwang oder Gefahr) eine entsprechende psychische Spannung erzeugt, die eine spezielle Befriedigung verlangt.

*     *     *

Gersen kehrte zum U-Bahn-Terminal in Sansontiana zurück. Er nahm den Monitor aus dem Schließfach und probierte sofort den Schlüssel. Zu seiner Befriedigung bewegte das Schloss sich glatt, und der Deckel glitt auf.

Es war weder Sprengstoff noch Säure vorhanden. Er entnahm den kleinen Zylinder, der das Speicherfilament enthielt, und wog ihn in der Hand. Dann ging er in ein Postamt und schickte den Zylinder an sich selbst, Hotel Credenza, Avente, Alphanor. Er fuhr mit der U-Bahn wieder zurück nach Kindune und zum Raumhafen und hob sein Schiff ohne Zwischenfall ab.

Die blaue Sichel von Alphanor wölbte sich bald darauf über den Himmel, mit dem jenseits davon strahlenden Rigel. Als die sieben Kontinente aus dem Dunkel hervorzutreten begannen, schaltete Gersen seinen Autopiloten in das Landeprogramm von Avente ein und wurde so zum Raumhafen hinuntergeleitet. Der Rollkran hob das Boot an und beförderte es in eine Abstellbox. Gersen stieg aus und erkundete vorsichtig seine Umgebung. Als er keine Spur von seinen Feinden fand, ging er die Reihe der abgestellten Raumfahrzeuge entlang zum Abfertigungsgebäude. Hier frühstückte er und überdachte seine Pläne. Sie waren, so fand er, ganz und gar folgerichtig und leiteten sich von einer Reihe logischer Schritte ab, in denen er keinen Fehler sehen konnte:

a) Lugo Teehalts Monitor war auf die Universität der Seeprovinz eingetragen.

b) Die Informationen auf dem Monitorspeicher waren verschlüsselt und nur mit Hilfe des Dechiffrierstreifens zugänglich.

c) Der Dechiffrierstreifen befand sich im Besitz der Universität der Seeprovinz in Avente.

d) 1. Nach Lugo Teehalts Auskunft war Attel Malagate sein ursprünglicher Auftraggeber gewesen (etwas, das er anscheinend erstmals in Brinktown begriffen hatte; wenn man alles berücksichtigte, betrachtete Malagate sein Inkognito wahrscheinlich immer noch als sicher).

2. Malagate war energisch bestrebt, den Monitor und dessen Speicher in seinen Besitz zu bringen; folglich musste er Zugang zum Dechiffrierstreifen haben.

e) Für Gersen ergab sich daraus folgender Aktionsplan:

1. Die Personen identifizieren, die Zugang zum Dechiffrierstreifen hatten;

2. In Erfahrung bringen, welche davon eine Anzahl von Bedingungen erfüllte, die mit der Identität und den Aktivitäten von Malagate vereinbar waren. Wer zum Beispiel war lange genug abwesend gewesen für einen Besuch auf Smades Planet?

In der Tat eine geradlinige und logische Angriffslinie. Aber, überlegte Gersen, die Anwendung seiner Logik war vielleicht nicht ganz so leicht. Er wagte es nicht, Ahnungen in Malagate zu erwecken. In gewissem Maß bot der Besitz von Teehalts Speicher Sicherheit; falls jedoch Malagate eine persönliche Bedrohung empfand, würde er wenige Schwierigkeiten und keine Bedenken haben, einen Mordanschlag zu arrangieren. Bis zu diesem Moment hatte Malagate keinen Grund, eine Aufdeckung zu befürchten, und es wäre töricht, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Die Initiative lag gegenwärtig bei Gersen; es gab keinen Grund zu halsbrecherischer Eile…

Seine Aufmerksamkeit wurde abgelenkt. In einer Nische in seiner Nähe saßen zwei hübsche Mädchen, die offenbar zum Terminal gekommen waren, um eine Freundin zu begrüßen oder eine zu verabschieden. Gersen betrachtete sie wehmütig und war sich nicht zum ersten Mal eines leeren Bereichs in seinem Leben bewusst, und er empfand eine Unzufriedenheit nicht unähnlich dem undefinierbaren Gefühl, das er auf Smades Planer gehabt hatte.

Frivolität… die beiden Mädchen hatten offensichtlich sehr wenig sonst im Sinn. Eine hatte ihr Haar waldgrün gefärbt und ihre Haut salatgrün getönt. Die andere trug eine Perücke aus lavendelfarbenen Metallspänen mit totenweißer Hauttönung; eine kunstvolle Cloche aus silbernen Blättern und Ranken umklammerte ihre Stirn und ihre Wangen.

Gersen atmete tief ein. Zweifellos hatte er eine düstere, freudlose Existenz geführt. Wenn er über die Jahre zurückdachte, drängten sich Szenen in seine Gedanken, die alle Variationen eines einzigen Themas waren: andere Kinder, mit verantwortungsbefreitem Spiel beschäftigt, während er, ein ziemlich dünner Junge mit ernstem Gesicht, aus der Ferne zusah. Er hatte nur Interesse und Staunen über die leichte Fröhlichkeit empfunden – so erinnerte er sich – und die Szenen nie mit sich selbst in Verbindung gebracht. Sein Großvater hatte dafür gesorgt…

Eines der Mädchen in der benachbarten Nische hatte seine Aufmerksamkeit bemerkt; sie flüsterte ihrer Freundin etwas zu. Beide warfen einen Blick über den Zwischenraum hinweg und ignorierten ihn dann demonstrativ. Gersen lächelte reuevoll. Er empfand keine Sicherheit in seinem Umgang mit Frauen; er hatte wenige intim gekannt. Er runzelte die Stirn und warf den beiden einen argwöhnischen Seitenblick zu. Nicht unmöglich, dass Malagate diese Mädchen geschickt hatte, um ihn zu betören. Lächerlich. Warum zwei?

Sie standen auf und verließen das Restaurant, wobei jede ihm einen schnellen verstohlenen Blick zuwarf.

Gersen beobachtete ihren Abgang und widerstand dem plötzlichen Drang, ihnen nachzulaufen, sich ihnen vorzustellen, sich mit ihnen anzufreunden… Noch einmal lächerlich, doppelt lächerlich. Was würde er sagen? Er stellte sich die beiden hübschen Gesichter vor, zuerst verwundert, dann Peinlichkeit ausdrückend, während er dastand und lahme Versuche machte, sich einzuschmeicheln. Die Mädchen waren weg. Auch gut, dachte Gersen, halb amüsiert, halb zornig auf sich selbst. Dennoch, warum sich etwas vormachen? Das Leben eines halben Mannes zu führen war schwierig, eine Quelle der Unzufriedenheit. Die Umstände seines Lebens hatten ihm nur wenig Beherrschung der gesellschaftlichen Umgangsformen verschafft.

Dennoch, was sollte es? Er kannte seine Mission im Leben, und er war superb darauf vorbereitet, diese Mission zu erfüllen. Er hatte keine Zweifel, keine Ungewissheiten; seine Ziele waren exakt definiert.

Eine plötzliche Idee störte den Fluss seiner Selbstbeschwichtigungen: Wo wäre er ohne dieses klare Ziel? Wenn er weniger künstlich motiviert wäre, würde er vielleicht im Vergleich mit den lockeren Männern um ihn nicht so gut abschneiden, mit ihren angenehmen Manieren und ihrem flüssigen Reden… Als er den Gedanken hin und her drehte, begann Gersen sich spirituell unzulänglich zu fühlen. Keine Phase seines Lebens hatte durch seine eigene freie Entscheidung stattgefunden.

Er verspürte nicht die geringste Erschütterung seines Engagements: darum ging es nicht. Aber, dachte er, die Ziele eines Mannes sollten ihm nicht auferlegt werden, bevor er genug von der Welt wusste, um seine eigene Überprüfung durchzuführen, seine eigenen Entscheidungen abzuwägen. Ihm war diese Option nicht gegeben worden. Die Entscheidung war getroffen worden, er hatte sie akzeptiert… Und was spielte es denn jetzt für eine Rolle? Und was noch wichtiger war: was würde er tun, falls und wenn er seine Ziele erreichte? Die Chancen waren natürlich klein. Aber – angenommen, die fünf Männer waren tot – was würde er dann mit seinem Leben anfangen? Ein- oder zweimal hatte er diesen Punkt in seinen Betrachtungen schon erreicht; von irgendeinem unterbewussten Signal gewarnt, war er niemals darüber hinausgegangen. Und er tat es jetzt auch nicht. Sein Frühstück war beendet, die Mädchen, die ihn zu seiner Grübelei veranlasst hatten, waren weg. Offenkundig waren sie keine Agentinnen von Malagate dem Elenden.

Gersen blieb noch ein paar Minuten länger sitzen und überlegte, wie er sein Problem am besten anpacken könne. Und wieder entschied er sich für einfache Direktheit.

Er ging in eine Kommunikationszelle und wurde mit dem Informationsbüro der Universität der Seeprovinz in der sechzehn Kilometer weiter südlich gelegenen Vorstadt San Remo verbunden. Auf dem Bildschirm leuchtete zunächst das Universitätswappen auf, dann die schriftliche Aufforderung Bitte sprechen Sie deutlich. Gleichzeitig fragte eine aufgezeichnete Stimme: „Wie können wir Ihnen dienen?“

Gersen sagte zu der immer noch unsichtbaren Rezeptionistin: „Ich möchte Informationen über das Forschungsprogramm der Universität. Welche Fakultät hat damit direkt zu tun?“

Der Bildschirm blendete in einer dekorativen Kreuzschraffur zum golden getönten Gesicht einer jungen blonden Frau mit extravaganten Haarrollen über jedem Ohr über. „Das hängt von der Art des Forschungsprogrammes ab.“

„Im Zusammenhang mit der Stiftung Wissenschaftsfonds 291.“

„Einen Moment bitte, mein Herr, ich werde mich erkundigen.“

Nach kurzer Zeit erschien das Gesicht des Mädchens wieder. „Ich verbinde Sie mit dem Institut für galaktische Morphologie.“

Gersen blickte in das blasse Gesicht einer anderen Rezeptionistin. Diese junge Frau hatte ein schelmisches, perlmuttfarben getöntes Gesicht und trug ihr Haar in einem dunklen Strahlenkranz aus zehntausend winzigen lackierten Spitzen.

„Galactic Morph.“

„Ich möchte mich über die Stiftung Wissenschaftsfonds 291 erkundigen“, sagte Gersen.

Das Mädchen dachte einen Moment nach. „Sie meinen die Stiftung selbst?“

„Ja, die Stiftung, wie sie arbeitet, wer sie verwaltet.“

Das schelmische junge Gesicht schürzte zweifelnd die Lippen. „Darüber kann ich Ihnen nicht viel sagen, mein Herr. Sie ist der Fonds, der unser Forschungsprogramm finanziert.“

„Ich interessiere mich besonders für einen Makler namens Lugo Teehalt, der im Auftrag der Stiftung gearbeitet hat.“

Sie schüttelte ihren Kopf. „Ich weiß nichts über ihn. Mr. Detteras könnte Ihnen Auskunft geben, aber er ist heute nicht zu sprechen.“

„Stellt Mr. Detteras die Makler ein?“

Das Mädchen zog die Brauen hoch und beobachtete ihn mit leicht zusammengekniffenen Augen; sie hatte sehr bewegliche und ausdrucksvolle Züge und einen breiten Mund mit lustig hochgezogenen Mundwinkeln. Gersen betrachtete sie fasziniert. „Ich weiß nicht allzu viel über solche Dinge, mein Herr. Wir haben natürlich unseren Anteil am übergeordneten Forschungsprogramm. Das läuft aber nicht unter der Stiftung 291. Mr. Detteras ist Forschungsdirektor; er könnte Ihnen über alles Auskunft geben, was Sie wissen möchten.“

„Gibt sonst noch jemanden im Institut, der einen Makler unter der Stiftung 291 einstellen könnte?“

Das Mädchen schaute Gersen spekulativ von der Seite an und überlegte, welcher Natur sein Interesse sein mochte. „Sind Sie ein Polizeibeamter?“ fragte sie schüchtern.

Gersen lachte. „Nein, ich bin ein Freund von Teehalt und versuche etwas für ihn zu erledigen.

„Oh. Nun, da ist Mr. Kelle, der Vorsitzender des Komitees für Forschungsplanung ist. Und Mr. Warweave, der Ehrenprovost der Stiftung 291, der sie gegründet und das Geld dafür gegeben hat. Mr. Kelle ist heute nicht da; seine Tochter heiratet morgen, und er ist sehr beschäftigt.“

„Was ist mit Mr. Warweave? Kann ich ihn sprechen?“

„Nun…“ das Mädchen schürzte die Lippen und beugte sich über einen Terminkalender. „Er ist bis drei Uhr beschäftigt, und danach hält er eine offene Sprechstunde für Studenten und Besucher, die keine Verabredung mit ihm haben.“

„Das würde mir sehr gut passen.“

„Wenn Sie mir Ihren Namen geben“, sagte das Mädchen schüchtern, „setze ich ihn oben auf die Liste. Dann brauchen Sie nicht zu warten, falls der Andrang groß sein sollte.“

Gersen war über ihre Fürsorglichkeit verblüfft. Er blickte suchend in ihr Gesicht und sah zu seiner Überraschung, dass sie ihn anlächelte. „Das ist sehr nett von Ihnen. Mein Name ist Kirth Gersen.“

Er sah sie schreiben. Sie schien es nicht eilig zu haben, das Gespräch zu beenden. Er fragte: „Was macht ein Ehrenprovost? Was sind seine Pflichten?“

Sie zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht, wirklich. Er kommt und geht. Ich glaube, er tut einfach, was er will. Jeder, der reich ist, tut einfach, was er will. Warten Sie ab, bis ich reich bin.“

„Noch etwas“, sagte Gersen. „Sind Sie mit der Routine des Instituts vertraut?“

„Das will ich meinen.“ Sie lachte. „Soweit es hier eine Routine gibt.“

„Das Speicherfilament im Monitor eines Erkundungsbootes ist verschlüsselt. Ist Ihnen das bekannt?“

„Ich habe davon gehört.“ Das Mädchen sprach zu Gersen wie zu einem Individuum, nicht wie zu einem Gesicht auf einem Bildschirm. Er fand sie wunderbar hübsch, trotz ihrer recht extravaganten Frisur. Er war definitiv zu lange im Raum gewesen.

Er hielt seine Stimme mit einiger Mühe gleichmäßig „Wer dechiffriert die Speicher? Wer ist für den Code zuständig?“

Wieder sah sie zweifelnd drein. „Mr. Detteras ganz sicher. Vielleicht auch Mr. Kelle.“

„Können Sie das definitiv herausfinden?“

Sie zögerte und musterte Gersens Gesicht. Es war immer klug, die Antwort auf Fragen zu verweigern, deren Motive sie nicht ergründen konnte – aber was konnte es schaden? Der Mann schien interessant zu sein: gedankenvoll und traurig, dachte sie, und ein wenig geheimnisvoll. Und nicht unattraktiv, obwohl er etwas Verbissenes an sich hatte. „Ich kann Mr. Detteras‘ Sekretärin fragen“, sagte sie munter. „Wollen Sie warten?“

Der Bildschirm wurde dunkel und nach einer Minute oder zwei wieder hell. Das Mädchen lächelte Gersen an. „Ich hatte recht. Mr. Detteras, Mr. Kelle und Mr. Warweave sind die einzigen, die Zugang zum Dechiffrierstreifen haben.“

„Ich verstehe. Mr. Detteras ist Forschungsdirektor, Mr. Kelle ist Vorsitzender des Komitees für Forschungsplanung, und Mr. Warweave ist – was?“

„Ehrenprovost. Sie gaben ihm den Titel, als er dem Institut die Stiftung 291 schenkte. Er ist ein sehr reicher Mann und interessiert sich sehr für die Weltraumforschung. Er reist häufig ins Jenseits… Waren Sie schon jemals im Jenseits?“

„Ich bin gerade von dort zurückgekehrt.“

Sie beugte sich vorwärts, mit lebhaftem Interesse in ihren Zügen. „Ist es wirklich so wild und gefährlich, wie alle sagen?“

Gersen schlug alle Vorsicht in den Wind und sagte mit einer Kühnheit, die ihn selbst verblüffte: „Kommen Sie mit mir und sehen Sie selbst.“

Das Mädchen schien ihm den Vorschlag nicht übelzunehmen, schüttelte aber den Kopf. „Das würde mir Angst machen. Man hat mich gelehrt, fremden Männern aus dem Jenseits nie zu vertrauen. Sie könnten ein Sklavenhändler sein und mich verkaufen.“

„So etwas ist vorgekommen“, gab Gersen etwas entmutigt zu. „Sie sind wahrscheinlich sicherer, wo Sie jetzt sind.“

„Trotzdem“, entgegnete sie kokett, „wer möchte schon immer in Sicherheit sein?“

Gersen zögerte, wollte etwas sagen und machte den Mund wieder zu. Das Mädchen sah ihn mit einem Ausdruck sanfter Unschuld an. Nun, warum eigentlich nicht? fragte er sich. Sein Großvater war alt und vertrocknet gewesen…

„In diesem Fall – wenn Sie es riskieren wollen – würden Sie vielleicht den Abend mit mir verbringen?“

„Zu welchem Zweck?“ Das Mädchen wurde plötzlich ernst. „Sklaverei?“

„Nein, nur… das Übliche. Was immer Sie tun möchten.“

„Das kommt ziemlich plötzlich. Schließlich habe ich Sie noch gar nicht von Angesicht zu Angesicht gesehen.“

„Ja, Sie haben recht“, sagte Gersen, erneut verlegen. „Ich bin nicht sehr galant.“

„Und dennoch, was könnte es schon schaden? Ich bin selbst impulsiv, hat man mir gesagt.“

„Ich nehme an, das hängt von den Umständen ab.“

„Sie sind gerade erst aus dem Jenseits hereingekommen“, sagte das Mädchen großmütig. „Daher nehme ich dann, dass man Sie entschuldigen kann.“

„Dann sind Sie einverstanden?“

Sie tat, als würde sie überlegen. „Gut. Ich werde es riskieren. Wo treffen wir uns?“

„Ich komme um drei Uhr ins Institut, um Mr. Warweave zu sprechen; wir können es dann arrangieren.“

„Um vier habe ich Dienstschluss… Sind Sie sicher, dass Sie kein Sklavenhändler sind?“

„Ich bin nicht mal ein Pirat.“

„Eher von der nicht so unternehmungslustigen Sorte, würde ich sagen… Aber es ist mir genauso angenehm, bis ich Sie ein wenig besser kenne.“

*     *     *

Ein breiter Sandstrand zog sich südlich von Avente etwa hundertfünfzig Kilometer weit die Küste entlang, um die gesamte Einbuchtung von Ard Hook herum. Bis Remo und ein paar Kilometer darüber hinaus reihten sich Villen aus blendend weißem Muschelkalk auf den Rücken der sandigen Hügel, die den Ozean überschauten.

Gersen mietete einen Wagen, einen kleinen Oberflächengleiter, und glitt auf der breiten weißen Schnellstraße südwärts, mit den unvermeidlichen aufgewirbelten Staubwolken hinter sich. Ein Stück weit folgte die Straße dem Ufer. Sand blendete unter Rigels strahlendem Licht; blaues Wasser funkelte unter einem weißen Schaumstreifen und rollte ruhig auf dem Sand auf und ab, mit einem Geräusch, das es auf jeder Welt in jeder Galaxis überall dort gab, wo die Brandung auf das Ufer traf.

Die Straße stieg bald zu den Hügeln hinauf an; nach links breiteten sich Sanddünen aus, die mit schwarz-purpurnen Eisenbüschen bewachsen waren, durchsetzt mit hohen weißen Ballonblumen, deren aufgeblähte Samenkapseln an den Enden langer Stengel schwebten. Andere weiße Villen ragten aus Hainen kühler grüner Deodars, einheimischer Federbäume und Hybridpalmen auf.

Voraus stieg das Gelände an, und die sandigen Hügel wurden zu einer Kette niedriger Berge, die dem Ozean einen steilen Hang zuwandten. Remo nahm das flache Land zu Füßen eines dieser Berge ein. Zwei Molen, die in hoch überkuppelten Casinos endeten, erstreckten sich ins Meer hinaus und umschlossen einen Hafen voller kleiner Boote. Die Universität nahm den Hügelrücken ein: eine Reihe niedriger, flach gedeckter Bauten, die durch Arkadengänge miteinander verbunden waren.

Gersen erreichte den Parkplatz der Universität, ließ den Wagen auf den Boden sinken und stieg aus. Ein Rollweg brachte ihn durch einen Gedenkbogen zu einem weiten Fußgängerbereich, wo er sich bei einem Studenten nach dem Weg erkundigte.

„Das College für Galaktische Morphologie? Da müssen Sie zum nächsten Block gehen, Sir, das Gebäude in der jenseitigen Ecke.“

Unter reumütigen Gedanken wegen des respektvollen „Sir“ von einem Mann, der nicht mehr als sieben Jahre jünger war als er, ging Gersen durch eine vielstimmige Menge von Studenten in vielen Kleidungsstilen zum Ende des Fußgängerbereichs. Dort durchquerte er den Block und näherte sich dem Gebäude an der jenseitigen Ecke. Am Portal blieb er stehen, gefangen von einem seltsamen Gefühl wie Schüchternheit oder Scheu, das sich während der gesamten Fahrt hinaus zur Universität in ihm breitgemacht hatte. Er spottete über sich selbst. War er ein Schuljunge, dass die Aussicht auf einen Abend mit einem fremden Mädchen ihm Schauer über den Rücken schickte? Und was noch bemerkenswerter war, dieses Gefühl schien das eigentliche Ziel seiner Existenz in den Hintergrund zu drängen! Er zuckte die Schultern, irritiert und gleichzeitig amüsiert, und betrat das Foyer.

An einem Empfangsschalter schaute ein Mädchen auf, mit einer Unsicherheit, die Gersen als Entsprechung zu seiner eigenen erkannte. Sie war kleiner und schlanker, als er sie sich vorgestellt hatte, aber keineswegs weniger anziehend. „Mr. Gersen?“

Gersen setzte ein – wie er hoffte – ermutigendes Lächeln auf. „Mir fällt gerade ein, dass ich Ihren Namen nicht kenne.“

Sie entspannte sich ein wenig. „Pallis Atrode.“

„Damit wären die Förmlichkeiten erledigt“, sagte Gersen. „Ich hoffe, dass unser Arrangement immer noch gilt?“

Sie nickte. „Sofern Sie es sich nicht anders überlegt haben.“

„Nein.“

„Ich benehme mich viel kühner, als ich bin“, sagte Pallis Atrode mit einem verlegenen Lachen. „Ich habe einfach beschlossen, meine Erziehung zu ignorieren. Meine Mutter ist ein Blaustrumpf. Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich überkompensiere.“

„Sie beginnen mir Angst zu machen“, antwortete Gersen. „Ich bin auch nicht sehr kühn, und wenn ich mich gegen Überkompensation behaupten soll…“

„Keine wirklich schlimme Überkompensation. Ich werde mich nicht betrinken oder eine Schlägerei anfangen oder…“ Sie verstummte.

„Oder?“

„Oh – nur ‚oder‘.“

Gersen schaute auf seine Uhr. „Ich gehe besser zu Mr. Warweave.“

„Seine Büros sind am Ende dieses Korridors. Und, Mr. Gersen…“

Gersen sah in ihr zu ihm hochgewandtes Gesicht. „Ja?“

„Ich habe Ihnen heute etwas gesagt, das ich anscheinend nicht hätte sagen sollen. Wegen des Dechiffrierstreifens. Das soll geheim sein. Würden Sie es bitte gegenüber Mr. Warweave nicht erwähnen? Ich käme in Schwierigkeiten.“

„Ich werde nichts darüber sagen.“

„Danke.“

Er wandte sich ab und ging den Korridor entlang, den sie ihm angegeben hatte. Der Boden bestand aus strapazierfähigen schwarzen und grauen Mosaiksteinen, die Wände und die Decke waren weiß verputzt, ohne Relief oder Dekorationen außer den verschiedenen Türen und Namensschildern – diese waren in verschiedenen gedeckten Tönen von Kastanienbraun, Malve, Dunkelgrün und Indigo gehalten. Nach drei Türen kam Gersen zu einem freischwebenden Namensschild aus blauen Leuchtbuchstaben, auf dem GYLE WARWEAVE stand und darunter PROVOST. Er blieb stehen, als ihm das Missverhältnis von Malagate dem Elenden in solch einer Umgebung bewusst wurde. Gab es eine Lücke in der Kette seiner Folgerungen?

Der Monitor war verschlüsselt und auf die Universität registriert. Hildemar Dasce, Malagates rechte Hand, hatte den Monitorspeicher in seinen Besitz zu bringen versucht, der ohne Dechiffrierstreifen nutzlos war. Gyle Warweave, Detteras und Kelle waren die drei Männer, die Zugang zum Codeschlüssel hatten, also musste einer der drei Malagate sein. Aber wer, Warweave, Detteras oder Kelle? Mutmaßungen ohne Fakten waren nutzlos, er musste sich mit den Ereignissen befassen, so wie sie stattfanden. Er trat vor, die Tür glitt schnell wie der Verschluss einer Kamera zur Seite, und das Namensschild löste sich in einzelne Buchstaben auf, die sich wie erschreckte Fische zerstreuten und wieder sammelten, nachdem er hindurchgegangen war.

Im Vorzimmer stand eine magere Frau mittleren Alters mit scharfen, unsympathischen grauen Augen und hörte einem offensichtlich unglücklichen jungen Mann zu. Während er sprach schüttelte sie ständig langsam den Kopf.

„Es tut mir leid“, sagte sie schließlich mit klarer, spröder Stimme, „diese Arrangements werden alle auf formeller Basis der studentischen Leistungen getroffen. Ich kann Ihnen nicht erlauben, den Provost mit Ihren Beschwerden zu belästigen.“

„Wozu ist er dann da?“ rief der junge Mann. „Er hatte offene Sprechstunden, warum kann er sich nicht meine Seite der Geschichte anhören?“

Die Frau schüttelte den Kopf. „Tut mir leid.“ Sie wandte sich ab. „Sind Sie Mr. Gersen?“

Gersen trat vor.

„Mr. Warweave erwartet Sie, bitte gehen Sie durch diese Tür.“

Gersen folgte ihrer Aufforderung. Gyle Warweave erhob sich hinter seinem Schreibtisch, als Gersen eintrat. Er war ein hochgewachsener, gutaussehender Mann, stark und fit wirkend, sein Alter war nicht unmittelbar ersichtlich – vielleicht zehn oder fünfzehn Jahre älter als Gersen. Sein Haar war ein Polster aus kurzgeschnittenen schwarzen Locken, seine Haut in einem konservativen Blassbraun eingefärbt. Sein Gesicht war markant, die tiefliegenden Augen schmal, schwarz und grüblerisch, die Nase und das Kinn streng. Er begrüßte Gersen mit reservierter Höflichkeit. „Mr. Gersen, bitte setzen Sie sich, wenn Sie möchten. Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.“

„Danke.“ Gersen sah sich um. Der Raum war größer als das übliche Büro, der Schreibtisch nahm einen unkonventionellen Platz links von der Tür ein, sodass der größere Teil des Raumes jenseits davon lag. Durch hohe Fenster zur Rechten konnte man auf den Gebäudeblock hinaussehen; die gegenüberliegende Wand war von Hunderten von Karten bedeckt: Mercatorprojektionen vieler Welten. Die Mitte des Raumes war leer, was ihn wie ein Konferenzzimmer aussehen ließ, aus dem man den Tisch entfernt hatte. Am anderen Ende stand auf einem Podest aus poliertem Holz eine Konstruktion aus Stein und Metallspitzen, deren Herkunft Gersen nicht erkannte. Er setzte sich und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Mann hinter dem Schreibtisch zu.

Gyle Warweave entsprach kaum Gersens Bild des typischen Universitätsadministrators. Dies würde natürlich zutreffen, dachte Gersen, wenn Warweave Malagate wäre. Im Widerspruch zu seiner konservativen Hauttönung trug Warweave einen prächtigen hellblauen Anzug mit weißer Schärpe, weißen Lederbeinschienen und blassblauen Sandalen: Kleider, die eher zu einem jungen Stutzer am Segelmacherstrand nördlich von Avente gepasst hätten. Gersen versuchte sich über eine schwer fassbare Vertrautheit klarzuwerden, einen verlockenden Hauch einer Erinnerung, die sich seinem geistigen Blick völlig entzog.

Warweave musterte Gersen mit ähnlich offener Neugier, die eine Spur von Herablassung enthielten. Gersen war eindeutig kein Dandy. Er trug die neutrale Kleidung eines Mannes, der an der gegenwärtigen Mode entweder uninteressiert war oder sie nicht einmal kannte. Seine Haut war ungefärbt (auf den Straßen von Avente hatte er sich beinahe nackt gefühlt), sein dichtes dunkles Haar war nachlässig geschnitten und ungekämmt.

Warweave wartete mit höflicher Aufmerksamkeit. Gersen sagte: „Mr. Warweave, ich bin im Zusammenhang mit einer ziemlich komplexen Angelegenheit hierher gekommen. Meine Motive sind nebensächlich, also bitte ich Sie, mich anzuhören, ohne sich über sie Gedanken zu machen.“

Warweave nickte. „Eher schwierig, aber ich werde es versuchen.“

„Als erstes: sind Sie mit Lugo Teehalt bekannt?“

„Nein, ich kenne ihn nicht.“ Die Antwort kam spontan und entschieden.

„Darf ich fragen, wer für das Raumforschungsprogramm der Universität verantwortlich ist?“

Warweave dachte nach. „Meinen Sie damit größere Expeditionen, oder was?“

„Programme, bei denen Makler in verliehenen Booten eingesetzt werden.“

„Hm“, machte Warweave. Er gab Gersen einen forschenden Blick. „Sie sind nicht zufällig ein Makler, der einen Posten sucht? Falls ja…“

Gersen lächelte höflich. „Nein ich bin nicht auf einen Job aus.“

Warweave lächelte seinerseits, eine knappe, humorlose Grimasse. „Nein, natürlich nicht. Ich bin nicht geschickt in meinen Urteilen. Zum Beispiel sagt mir Ihre Stimme sehr wenig. Sie stammen nicht aus dem Concourse. Wenn Sie eine andere Physiognomie hätten, würde ich auf Mizar Drei tippen.“

„Während des Großteils meiner Jugend lebte ich auf der Erde.“

„Tatsächlich?“ Warweave hob die Brauen in gespieltem Erstaunen. „Wissen Sie, hier draußen denkt man über die Leute von der Erde in Klischees: Kultisten, Mystiker, hyperzivilisierte Weichlinge, unheimliche alte Männer im Schwarz des Instituts, dekadente Aristokraten…“

„Ich beanspruche keine bestimmte Nische“, sagte Gersen. „Übrigens geben Sie mir nicht weniger Rätsel auf als ich Ihnen.“

Warweave blickte etwas resigniert. „Nun gut, Mr. Gersen. Sie fragten nach unserer Politik im Zusammenhang mit Maklern. Dazu muss ich als erstes sagen, dass wir mit einer Anzahl anderer Institute im übergeordneten Raumforschungsprogramm zusammenarbeiten. Zweitens gibt es einen kleinen Fonds, auf den wir für manche Spezialprojekte zurückgreifen.“

„Ist das die Stiftung Wissenschaftsfonds 291?“

Warweave neigte zustimmend den Kopf.

„Sehr seltsam“, sagte Gersen.

„Seltsam? Wieso?“

„Lugo Teehalt war Makler. Der Monitor in seinem Boot war auf die Universität der Seeprovinz unter Stiftung Wissenschaftsfonds 291 registriert.“

Warweave schürzte die Lippen. „Es ist durchaus möglich, dass Teehalt für einen der Fakultätsleiter an irgendeinem speziellen Projekt arbeitete.“

„Der Monitor war verschlüsselt. Das sollte die Möglichkeiten einengen.“

Warweave durchbohrte Gersen mit einem harten Blick seiner schwarzen Augen. „Wenn ich wüsste, was Sie erfahren wollen, könnte ich konkreter antworten.“

Es war nichts zu verlieren, wenn er einen Teil der Wahrheit preisgab, dachte Gersen. Wenn Gyle Warweave Malagate war, dann würde er wissen, was geschehen war. Wenn er es nicht war, konnte es erst recht nicht schaden. „Ist Ihnen der Name Attel Malagate bekannt?“

„Malagate der Elende? Einer der sogenannten Dämonenprinzen.“

„Lugo Teehalt entdeckte eine Welt mit anscheinend idyllischen Lebensbedingungen – eine buchstäblich unschätzbare Welt, erdähnlicher als die Erde. Malagate erfuhr von der Entdeckung, wie, weiß ich nicht. Jedenfalls jagten mindestens vier von Malagates Leuten Teehalt zu Smades Gasthaus. Teehalt traf dort kurz nach mir ein. Er landete in einem versteckten Tal und ging zu Fuß zum Gasthaus. Im Laufe des Abends trafen Malagates Männer ein. Teehalt versuchte zu entkommen, aber sie fingen ihn in der Dunkelheit und brachten ihn um. Dann starteten sie mit meinem Boot, weil sie es offenbar für Teehalts hielten. Beide waren vom gleichen alten Modell 9B.“

Gersen lachte. „Als sie meinen Monitor untersuchten, müssen sie eine unangenehme Überraschung erlebt haben. Am nächsten Tag verließ ich Smades Planeten mit Teehalts Boot. Natürlich nahm ich seinen Monitor in Besitz. Ich habe vor, den Speicher so teuer zu verkaufen, wie es der Markt zulässt.“

Warweave nickte und schob ein Blatt Papier auf seinem Schreibtisch einige Zentimeter nach rechts. Gersen beobachtete ihn, studierte die gepflegten Hände und die glänzenden Fingernägel. Aufblickend sah er Warweaves Augen auf sich gerichtet, weniger freundlich als der Klang seiner Stimme. „Und von wem wollen Sie das Geld?“

Gersen zuckte die Schultern. „Ich möchte Teehalts Auftraggeber als erstem Gelegenheit zum Kauf geben. Wie ich erwähnte, ist der Speicher verschlüsselt und ohne den Dechiffrierstreifen wertlos.“

Warweave lehnte sich zurück. „So aus dem Handgelenk kann ich nicht sagen, wer mit diesem Teehalt einen Vertrag gemacht hat. Wer immer es ist, würde die Katze natürlich nicht im Sack kaufen wollen.“

„Natürlich nicht.“ Gersen legte eine Fotografie auf den Schreibtisch.

Warweave warf einen Blick darauf und steckte sie in einen Projektionsschlitz. Ein Bild-schirm an der gegenüberliegenden Wand leuchtete farbig auf. Teehalt hatte das Bild von einer Bodenerhebung auf einer Seite des Tales aufgenommen. Rechts und links lagen Hügelketten – man konnte die hintereinander gestaffelten runden Kuppen sehen, wie sie sich in der Ferne verloren. Gruppen hoher dunkler Bäume standen auf einer Seite des Tales; ein Fluss wanderte in gemächlichen Rundungen durch die Wiesen; die Ufer waren mit Röhricht bewachsen. Jenseits der Wiese, fast im Schatten des Waldes, stand etwas, das wie eine Reihe blühender Büsche aussah. Die Sonne war nicht zu sehen, aber das Sonnenlicht war weißgolden, mild und warm, und es war offensichtlich Mittag.

Warweave studierte das Bild eingehend, dann gab er ein unverbindliches Grunzen von sich. Gersen reichte ihm ein weiteres Foto; der Bildschirm zeigte nun den Ausblick das Tal hinunter: der Fluss wand sich in Mäandern, bis er schließlich in der Ferne verschwand. Hohe Bäume zu beiden Seiten bildeten eine Art Gasse, bis alles in einem Dunst veschwamm.

Warweave seufzte. „Fraglos eine schöne Welt. Eine gastliche Welt. Was ist mit der Atmosphäre und den Biogenen?“

„Völlig kompatibel, laut Teehalt.“

„Wenn sie so ist, wie Sie sagen – unentdeckt, unbewohnt -, dann könnte ein unabhängiger Makler den Preis diktieren. Aber da ich auch nicht von gestern bin, frage ich mich, ob diese Aufnahmen nicht anderswo gemacht worden sein könnten? Sogar auf der Erde, wo die Vegetation ähnlich ist?“

Statt einer Antwort holte Gersen ein drittes Foto hervor. Warweave steckte es in den Schlitz. Der Bildschirm zeigte wie aus einer Entfernung von etwa sechs Metern eines der Objekte, die auf dem ersten Foto wie blühende Büsche erschienen waren. Es erwies sich jetzt als ein offenbar zur Fortbewegung fähiges Wesen, halb humanoid, graziös. Schlanke graue Beine trugen einen grau-silbern-blau-grün gefleckten Rumpf; purpurgrüne Augenstellen blickten aus einem halslosen, perfekt eiförmigen Kopf, der sonst ohne Gesichtszüge war. Von den Schultern reichten armähnliche Gliedmaßen etwa einen Meter in die Luft, verzweigten sich und trugen buntes Laub.

„Dieses Geschöpf, was immer es ist…“

„Teehalt nannte es eine Dryade.“

„..ist ganz gewiss einzigartig. Ich habe noch nie etwas Derartiges gesehen. Wenn das Bild nicht gefälscht ist – und ich glaube das nicht -, dann ist der Planet das, was Sie von ihm behaupten.“

„Ich behaupte nichts; es sind Teehalts Behauptungen. Er sagte, es sei eine Welt von so großer Schönheit, dass er es weder ertragen konnte, fortzugehen, noch zu bleiben.“

„Und Sie haben Teehalts Speicher in Ihrem Besitz.“

„Ja. Ich möchte ihn verkaufen. Der Markt ist vermutlich auf die drei Personen begrenzt, die Zugang zum Dechiffrierstreifen haben. Von diesen sollte der Mann, der Lugo Teehalts Unternehmen beauftragt hat, das Vorkaufsrecht haben.“

Warweave betrachtete Gersen lange und forschend. „Das ist eine Donquichotterie, die mich verwundert. Sie sehen nicht nach einem ritterlichen Schwärmer aus.“

„Warum nicht nach Taten statt nach Eindrücken urteilen?“

Warweave zog bloß wie verächtlich die Brauen hoch. Dann sagte er: „Ich könnte Ihnen wohl ein Angebot für den Speicher machen: sagen wir, zweitausend SVE jetzt, weitere zehntausend nach einer Inspektion der Welt. Vielleicht ein wenig mehr.“

„Natürlich werde ich zum besten Preis verkaufen, den ich bekommen kann“, sagte Gersen. „Aber ich würde gern zuerst mit Mr. Kelle und Mr. Detteras sprechen. Einer von ihnen muss Teehalts Auftraggeber sein. Wenn keiner der beiden am Speicher interessiert ist, dann…“

Warweave unterbrach ihn scharf. „Warum nennen Sie gerade diese beiden Männer?“

Abgesehen von Ihnen sind sie die einzigen Personen, die Zugang zum Dechiffrier-streifen haben.“

„Darf ich fragen, woher Sie das wissen?“

Gersen erinnerte sich an Pallis Atrodes Bitte und fühlte sich schuldig. „Ich fragte unten im Hof einen jungen Mann. Anscheinend weiß es jeder.“

„Es gibt zuviel loses Gerede“, sagte Warweave, und sein Mund verschloss sich zu einer ärgerlichen schmalen Linie.

Gersen wollte fragen, wie Warweave den vergangenen Monat verbracht habe, aber die Gelegenheit war denkbar ungünstig. Direkt gestellt, war es eine unkluge Frage: wenn Warweave Malagate war, würde sein Misstrauen sofort verstärkt.

Warweave trommelte nun mit seinen Fingern auf seinen Schreibtisch und stand dann auf. „Wenn Sie mir eine halbe Stunde geben, werde ich Mr. Detteras und Mr. Kelle bitten, in mein Büro zu kommen, und Sie können Ihr Angebot wiederholen. Wäre das zu Ihrer Zufriedenheit?“

„Nein.“

„Nein? Warum nicht?“

Gersen erhob sich gleichfalls. „Da die Angelegenheit Sie nicht betrifft, würde ich es vorziehen, die beiden Herren nacheinander allein zu sprechen, zu meinen eigenen Bedingungen.“

„Das steht Ihnen frei“, sagte Warweave kalt. Er dachte einen Moment nach. „Worauf Sie wirklich aus sind, kann ich nicht erraten. Ich habe wenig Vertrauen in Ihre Aufrichtigkeit. Aber ich werde einen Handel mit Ihnen machen.“

Gersen wartete.

„Kelle und Detteras sind vielbeschäftigte Männer“, sagte Warweave. „Sie sind weniger leicht erreichbar als ich. Ich werde veranlassen, dass Sie sie bald sprechen können – noch heute, wenn Sie wollen. Möglicherweise wird der eine oder andere ein Arrangement mit Lugo Teehalt zugeben. Auf jeden Fall werden Sie mir nach Ihren Gesprächen mit Kelle und Detteras melden, welche allfälligen Angebote sie gemacht haben, und mir so Gelegenheit geben, in etwaige Angebote einzutreten oder sie zu überbieten.“

„In anderen Worten“, sagte Gersen, „Sie möchten sich diese Welt für Ihren Privatgebrauch reservieren?“

„Warum nicht? Der Speicher ist nicht länger Eigentum der Universität. Sie haben ihn in Besitz genommen. Und um die Wahrheit zu sagen, ist die Stiftung 291 mit meinem Geld ausgestattet worden.“

„Das leuchtet mir ein.“

„Sie sind also mit meinem Vorschlag einverstanden?“

„Ja, solange Sie verstehen, dass das Vorkaufsrecht an Teehalts Auftraggeber geht.“

Warweaves Lider sanken herab, und er studierte Gersen mit einem recht zynischen Zug um die Lippen. „Ich frage mich, warum Sie so darauf beharren.“

„Vielleicht bin ich doch ein ritterlicher Schwärmer, Mr. Warweave.“

Warweave drehte sich um, sprach in die Bildschirmsprechanlage, hörte zu und wandte sich dann wieder Gersen zu. „Sehr gut. Mr. Kelle erwartet Sie. Anschließend können Sie mit Mr. Detteras reden. Danach kommen Sie wieder zu mir.“

„Einverstanden.“

„Gut. Sie finden Kelles Büro auf der anderen Seite des Gebäudes.“

Gersen ging an Warweaves scharfäugiger Sekretärin vorbei in den Korridor und kehrte in das Foyer zurück. Pallis Atrode blickte mit einem erwartungsvollen Ausdruck zu ihm auf, den Gersen sehr reizvoll fand. „Haben Sie erfahren, was Sie wissen wollten?“

„Nein. Er hat mich zu Kelle und Detteras geschickt.“

„Heute?“

„Jetzt gleich.“

Sie musterte ihn mit erneutem Interesse. „Sie wären überrascht, welchen Leuten Kelle und Detteras heute schon abgesagt haben.“

Gersen grinste. „Ich weiß nicht, wie lange ich dort sein werde… Wenn Sie um vier Dienstschluss haben…“

„Ich werde warten“, sagte Pallis Atrode und lachte dann. „Ich meine, Sie werden nicht viel länger als bis vier Uhr brauchen, und ich würde nach Hause gehen und erklären müssen, wo ich wohne – es ist einfacher, wenn ich warte.“

„Ich werde mich beeilen“, sagte Gersen.

7

„Da sie das unfundierte Dogma eines lokalen religiösen Kultes für eine unwürdige und ungeeignete Basis halten, um darauf die Zeitrechnung des galaktischen Menschen zu errichten, erklären die Mitglieder dieser Konvention hiermit, dass die Zeit nun vom Jahr 2000 A. D. (Altes System) gerechnet werden soll, das zum Jahr 0 wird. Die Umlaufzeit der Erde um Sol bleibt die Standardjahreseinheit.“

– Erklärung der Oikumenischen Konvention für die Standardisierung von Maßeinheiten.

„Alles, dessen wir uns bewusst sind, hat für uns eine noch tiefere Bedeutung, eine letzte Bedeutung. Und das eine und einzige Mittel, um dieses Unbegreifliche begreiflich zu machen, muss eine Art von Metaphysik sein, die alles, was Bedeutung hat, als Symbol betrachtet.“

– Oswald Spengler

*     *     *

Kagge Kelle war ein kleiner, rundlicher Mann mit einem großen, massiven Kopf. Seine Haut war nur leicht getönt; er trug dezente Kleidung in Dunkelbraun und Purpur. Er hatte klare Augen, eine Knollennase und einen vollen, aber energischen Mund.

Kelle schien aus Undurchdringlichkeit eine Tugend zu machen. Er begrüßte Gersen mit nüchterner Höflichkeit, hörte sich seine Geschichte ohne Kommentar an, betrachtete die Fotografien ohne merkliches Zeichen von Interesse. Dann sagte er, behutsam seine Worte wählend: „Ich bedaure, dass ich Ihnen nicht helfen kann. Ich war nicht der Auftraggeber von Teehalts Expedition. Ich weiß nichts über diesen Mann.“

„Würden Sie mir in diesem Fall die Benutzung des Dechiffrierstreifens erlauben?“

Kelle saß kurz regungslos da. Dann sagte er: „Leider ist das gegen die Vorschriften unserer Fakultät. Mit einer solchen Handlungsweise würde ich erhebliche Kritik auslösen. Dennoch…“  Er nahm die Aufnahmen und betrachtete sie noch einmal. „Dies ist ohne Frage eine Welt mit interessanten Eigenschaften. Wie heißt sie?“

„Diese Information habe ich nicht, Mr. Kelle.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, warum Sie Teehalts Auftraggeber finden wollen. Sind Sie Agent der IPCC?“

„Ich bin Privatmann, obwohl ich das natürlich nicht beweisen kann.“

Kelle war skeptisch. „Jeder arbeitet für seine eigenen Interessen. Wenn ich verstehen würde, was Sie zu erreichen versuchen, könnte ich möglicherweise flexibler handeln.“

„Das ist mehr oder weniger das, was Mr. Warweave mir sagte.“

Kelle warf ihm einen scharfen Blick zu. „Weder Warweave noch ich sind, was man einfältige Toren nennen könnte.“ Er dachte kurz nach und sagte dann widerstrebend: „Als Vertreter der Fakultät kann ich so weit gehen, Ihnen ein Angebot für den Speicher zu machen – obwohl er, so wie Sie die Geschichte erzählen, tatsächlich Eigentum der Fakultät ist.“

Gersen nickte in vollem Einverständnis. „Das ist genau der Punkt, den ich zu klären versuche. Gehört der Speicher wirklich der Universität, oder steht es mir frei, damit zu tun, was ich will? Wenn ich Lugo Teehalts Auftraggeber finden – oder feststellen könnte, ob er wirklich existiert -, dann würde sich eine Reihe neuer Möglichkeiten ergeben.“

Kelle blieb von Gersens Einfallsreichtum unbeeindruckt. „Es ist eine außergewöhn-liche Situation… Wie ich sagte, könnte ich Ihnen vielleicht ein attraktives Angebot für den Speicher machen – sogar als Privatmann, wenn das der Sache dienlich wäre. Obwohl ich natürlich auf eine vorherige Inspektion des Planeten bestehen würde.“

„Sie kennen meine diesbezüglichen Bedenken, Mr. Kelle.“

Kelles Reaktion war nur ein knappes ungläubiges Lächeln. Wieder studierte er die Aufnahmen. „Diese – äh, Dryaden sind Geschöpfe von beträchtlichem Interesse… Nun, ich kann Ihnen ein wenig weiterhelfen. Ich werde in den Unterlagen der Universität nach Informationen über Lugo Teehalt suchen. Aber als Gegenleistung möchte ich Ihre Zusicherung, dass Sie mir Gelegenheit geben, die Erwerbung dieser Welt zu erwägen, falls Sie den sogenannten ‚Auftraggeber‘ nicht finden.“

Gersen konnte sich eine milde Stichelei nicht verkneifen. „Sie gaben mir zu verstehen, dass Sie nicht besonders interessiert seien.“

„Ihre Annahmen sind ohne Bedeutung“, erwiderte Kelle gelassen. „Dies sollte Ihre Gefühle nicht verletzen, denn meine Meinung von Ihnen scheint Sie eindeutig nicht zu kümmern. Sie treten an mich heran, als ob ich geistig minderbemittelt sei, mit einer Geschichte, die kein Kind beeindrucken würde.“

Gersen zuckte die Schultern. „Die Geschichte entspricht den Tatsachen. Natürlich habe ich Ihnen nicht alles gesagt, was ich weiß.“

Kelle lächelte wieder, diesmal etwas großmütiger. „Nun, sehen wir, was das Archiv uns zu sagen hat.“ Er sprach in ein Mikrofon. „Vertrauliche Information. Autorisierung Kagge Kelle.“

Die nichtmenschliche Stimme der Informationsbank antwortete. „Vertrauliche Information, bereit.“

„Die Akte über Lugo Teehalt.“ Er buchstabierte den Namen.

Eine Reihe undeutlicher Geräusche folgte, ein leises unheimliches Pfeifen. Die mechanische Stimme meldete sich wieder und las die gespeicherten Informationen ab: „Akte Lugo Teehalt. Inhalt: Aufnahmeantrag, Bestätigung und Bemerkungen. 3. April 1480.“

„Weiter“, sagte Kelle.

„Antrag auf Zulassung zum weiterführenden Studium, Bestätigung und Bemerkungen. 2. Juli 1485.“

„Weiter.“

„Promotionsarbeit, eingereicht an das Institut für Symbologie; Titel: ‚Die Bedeutung der Augenbewegungen der Tunker von Mizar Sechs.‘ 20. Dezember 1489.“

„Weiter.“

„Bewerbung um eine Dozentur, Bestätigung mit Anstellungsvertrag und Bemerkungen, 15. März 1490.“

„Weiter.“

„Entlassung des Dozenten Lugo Teehalt wegen sittlicher Verfehlungen mit Auswirkung auf die Moral der Studenten. 19. Oktober 1492.“

„Weiter.“

„Vertrag zwischen Lugo Teehalt und dem Institut für Galaktische Morphologie, 6. Januar 1521.“

Gersen entließ einen leisen Seufzer, als eine Anspannung sich löste, die ihm kaum bewusst gewesen war. Jetzt wusste er es definitiv: Lugo Teehalt war von jemand innerhalb des Instituts als Forschungsagent beschäftigt worden.

„Vertragstext vorlesen“, befahl Kelle.

„Lugo Teehalt und das Institut für Galakische Morphologie haben sich auf Folgendes geeinigt und verpflichtet: Das Institut stellt Teehalt ein geeignetes Raumfahrzeug zur Verfügung, das auf Institutskosten überholt und voll ausgerüstet wird. Teehalt verpflichtet sich als Agent des Instituts, bestimmte Regionen der Galaxis zu erforschen. Das Institut leistet Teehalt eine Vorauszahlung von fünftausend SVE und garantiert einen gestaffelten Bonus für in unterschiedlichem Maß erfolgreiche Forschungstätigkeit. Teehalt verpflichtet sich, seine besten Anstrengungen einer erfolgreichen Forschungstätigkeit zu widmen, etwaige Resultate besagter Arbeit gegenüber allen Personen, Gruppen und Institutionen außer den vom Institut autorisierten geheimzuhalten. Unterschriften: Lugo Teehalt für Lugo Teehalt; Ominah Bazerman für das Institut. Keine weiteren Informationen.“

„Mmf“, machte Kagge Kelle. Er aktivierte die Sprechanlage: „Ominah Bazerman.“

Es klickte, und eine Stimme meldete sich: „Ominah Bazerman, Büroleiterin.“

„Hier Kelle. Vor zwei Jahren wurde ein gewisser Lugo Teehalt auf Forschungsreise geschickt. Sie haben seinen Vertrag unterschrieben. Erinnern Sie sich an die Umstände?“

Es blieb einen Moment still. „Nein, Mr. Kelle, das kann ich leider nicht behaupten. Wahrscheinlich kam der Vertrag mit einer Anzahl anderer Schriftstücke zu mir.“

„Sie entsinnen sich auch nicht, wer diesen Vertrag vorbereitet haben könnte, wer diese bestimmte Forschungsreise beauftragt hat?“

„Nein, Sir. Wenn es nicht Sie selbst gewesen sind, muss es Mr. Detteras gewesen sein, oder vielleicht Mr. Warweave. Niemand sonst würde solch ein Unternehmen beauftragen.“

„Verstehe, Danke.“ Kelle wandte sich Gersen zu, einen milden, fast einfältigen Ausdruck in den Augen. „Da haben Sie es. Wenn es nicht Warweave war, muss es Detteras gewesen sein. Übrigens war Detteras früher Dekan des College für Symbologie. Vielleicht waren er und Teehalt Bekannte…“

*     *     *

Rundle Detteras, Forschungsdirektor, schien ein völlig gelöster, in sich selbst ruhender Mann zu sein – im Frieden mit sich selbst, seiner Arbeit und der ganzen Welt. Als Gersen sein Büro betrat, hob Detteras leger grüßend die Hand. Er war ein großer Mann, überraschend hässlich für dieses Zeitalter, wo eine aufgeworfene Nase oder ein schlaffer Mund innerhalb von Stunden korrigiert werden konnte. Er hatte keinen Versuch gemacht, seine Hässlichkeit zu tarnen; seine ziemlich grelle blaugrüne Hauttönung, fast wie Grünspan, schien die Grobheit seiner Züge sogar noch zu betonen. Sein Kopf hatte die Form eines Flaschenkürbisses; das schwere Kinn ruhte ohne wahrnehmbaren Hals dazwischen auf der Brust, und sein borstiges Haar hatte die Farbe von nassem Moos. Von den Knien bis zu den Schultern schien er von einheitlicher Dicke zu sein, mit einem Rumpf wie ein Baumstamm. Er trug die quasimilitärische Uniform eines Barons des Ordens der Erzengel: schwarze Stiefel, eine weite scharlachrote Reithose und eine prächtige Uniformjacke, die grün, blau und scharlachrot gestreift war, mit goldenen Epauletten und filigranen Brustschilden. Rundle Detteras war Persönlichkeit genug, um sowohl die Uniform als auch seine merkwürdige Physiognomie zu beherrschen, ohne lächerlich zu wirken.

„Nun, Mr. Gersen“, sagte Detteras, „ist es zu früh für einen Schluck Arrak?

„Ich bin aus dem Bett.“

Detteras starrte verdutzt und lachte dann herzhaft. „Ausgezeichnet! Dies ist gewöhnlich die Zeit, wo ich die Flagge der Gastfreundschaft hisse. Gemischt, gelb oder weiß?“

„Weiß, bitte.“

Detteras schenkte aus einer hohen, schlanken Flasche ein. Er hob sein Glas: „Detteras au pouvoir!“ und trank mit Behagen. „Der erste des Tages, das ist wie ein Besuch zu Hause bei Muttern.“ Er füllte sein Glas nach, machte es sich bequem und bedachte Gersen mit einem lässig abschätzenden Blick. Gersen fragte sich, wer sein Mann sei: Warweave? Kelle? Detteras? Hinter einem dieser Gesichter verbarg sich die grausame Seele von Attel Malagate dem Elenden. Gersen hatte zu Warweave geneigt; nun zweifelte er wieder. Detteras‘ Persönlichkeit hatte etwas unleugbar Gewalttätiges, eine grobe, harsch texturierte Energie, fast greifbar.

Detteras hatte es anscheinend nicht eilig gehabt, den Grund von Gersens Besuch zu erfahren, trotz all der angeblichen Dringlichkeit seiner Angelegenheiten. Es war nicht unwahrscheinlich, dass er und Warweave miteinander gesprochen hatten, und möglicherweise auch Kelle. „Ein niemals endendes Rätsel“, sagte Detteras ziemlich wichtigtuerisch. „Warum und wie Menschen sich voneinander unterscheiden.“

Wenn Detteras es nicht eilig hatte, dachte Gersen, dann er auch nicht. „Sie haben zweifellos recht“, sagte er, „obwohl ich die unmittelbare Relevanz nicht verstehe.“

Detteras lachte dröhnend. „Genau wie es sein sollte, ich wäre überrascht gewesen, wenn Sie etwas anderes gesagt hätten.“ Er hielt seine Hand hoch, um Gersens Antwort zuvorzukommen. „Anmaßung meinerseits? Nein. Hören Sie zu: Sie sind ein düsterer Mann, ein Pragmatiker. Sie tragen eine schwere Last aus Geheimnissen und finsteren Beschlüssen mit sich herum.“

Gersen nippte argwöhnisch am Arrak. Das verbale Feuerwerk mochte als Ablenkung gedacht sein, um seine Wachsamkeit zu mindern. Er konzentrierte sich auf den Arrak, seine Sinne für die leiseste Aromaveränderung geschärft. Detteras hatte beiden aus derselben Flasche eingeschenkt; er hatte Gersen die Wahl zwischen drei Destillationen geboten, er hatte die Gläser ohne erkennbaren Vorbedacht aus dem Regal genommen. Trotzdem blieb ein enormer Spielraum für Kniffe, die keine normale Wachsamkeit verhindern konnte… Aber Gersens auf Sarkovy trainierte Zunge und Nase sagten ihm, dass das Getränk harmlos war. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf Detteras und seine letzte Bemerkung.

„Ihre Ansichten über mich sind übertrieben.“

Detteras grinste breit. „Aber trotzdem im Wesentlichen richtig?“

„Möglicherweise.“

Detteras nickte selbstgefällig, als hätte Gersen ihn nachdrücklichst bestätigt. „Es ist eine Fähigkeit, oder Beobachtungsgewohnheit, geboren aus langen Jahren des Studiums. Ich hatte mich früher auf Symbologie spezialisiert, bis ich entschied, dass ich die Weide so kurz abgegrast hatte, wie meine Zähne lang waren, und so weit meine Leine reichte. Darum bin ich jetzt hier in der Galaktischen Morphologie. Ein weniger kompliziertes Feld, mehr beschreibend als analytisch, objektiv statt humanistisch. Dennoch finde ich gelegentlich Anwendungen für mein früheres Fachgebiet. Zum Beispiel jetzt. Sie kommen in mein Büro, ein völlig Fremder. Ich schätze Ihre äußeren Symbolismen ein: Hautfarbe, Zustand, Farbe Ihres Haars, Gesichtszüge, Kleidung, Ihr allgemeiner Stil. Sie werden sagen, dass dies eine gängige Praxis ist. Ich antworte: Stimmt. Jeder isst, aber ein erfahrener Abschmecker ist rar. Ich lese diese Symbole mit sorgfältiger Exaktheit, und sie liefern mir Informationen über Ihre Persönlichkeit. Ich andererseits verwehre Ihnen ein ähnliches Wissen. Wie? Ich staffiere mich mit zufälligen und widersprüchlichen Symbolen aus, ich lebe in ständiger Tarnung, hinter der der wirkliche Rundle Detteras beobachtet, so ruhig und kühl wie ein Impresario bei der hundertsten Aufführung einer glitzernden Karnevalsrevue.“

Gersen lächelte. „Meine Natur ist vielleicht so extravagant wie Ihre Symbole, und ich verberge sie vielleicht aus Gründen ähnlich Ihrer eigenen – welche das auch immer sind. Ein zweiter Punkt: Ihre Präsentation, wenn man ihr glauben kann, beleuchtete Sie fast so klar wie Ihre natürlichen Symbole. Drittens – warum sich überhaupt die Mühe machen?“

Detteras schien sehr amüsiert zu sein. „Aha! Sie decken mich als den Schwindler und Scharlatan auf, der ich bin! Trotzdem kann ich mich nicht der Überzeugung entziehen, dass Ihre Symbole mir mehr über Sie sagen, als meine Ihnen über mich sagen.“

Gersen lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Mit wenig praktischem Effekt.“

„Nicht so schnell!“ rief Detteras. „Sie beharren da auf einem rein positivistischen Standpunkt! Betrachten Sie einen Moment die gegenteilige Haltung. Manche Leute ärgern sich über die unverständliche Manieriertheit ihrer Kollegen. Sie protestieren, dass die Symbole Ihnen nichts von Bedeutung zu sagen haben; Sie tun sie als überflüssig ab. Diese anderen machen sich Sorgen, weil sie ein Übermaß an Information nicht integrieren können.“

Gersen wollte Einwände machen, aber Detteras hielt seine Hand hoch. „Bedenken Sie die Tunker von Mizar Sechs. Kennen Sie sie? Eine religiöse Sekte.“

„Ich hörte den Namen vor ein paar Minuten zum ersten Mal.“

„Wie ich sagte“, fuhr Detteras fort, „sind sie eine religiöse Sekte: asketisch, streng, einfach, extrem fromm. Die Männer und Frauen kleiden sich gleich, rasieren sich die Köpfe, verwenden eine Sprache aus achthundertzwölf Worten, essen identische Mahlzeiten zu identischen Zeiten – all das, um sich nicht Überlegungen über die Motivationen der anderen hingeben zu müssen. Tatsache. Das ist der eigentliche Zweck der Tunker-Sitten. Und nicht allzu weit von Mizar entfernt liegt Sirene, wo die Männer aus ähnlichen Gründen von der Geburt bis zum Tod stark konventionalisierte Masken tragen. Ihre Gesichter sind ihre kostbarsten Geheimnisse.“ Er schwenkte auffordernd die Arrakflasche. Gersen hielt sein Glas hin.

Detteras fuhr fort: „Hier auf Alphanor geht es komplizierter zu. Wir wappnen uns für Angriff und Verteidigung, oder auch aus reiner Spielerei mit tausend zweideutigen Symbolen. Das Geschäft des Lebens ist enorm kompliziert, künstliche Spannungen werden erzeugt; Ungewissheit und Misstrauen werden zur Norm.“

„Und dabei“, meinte Gersen, „wird eine Feinfühligkeit entwickelt, die den Tunkern oder den Sirenesen unbekannt ist.“

Detteras hielt seine Hand hoch. „Noch einmal, nicht so schnell. Ich weiß sehr viel über diese beiden Völker; Gefühllosigkeit ist ein Wort, das auf keines davon angewandt werden kann. Die Sirenesen erkennen an den geringfügigsten Nuancen von Unbehagen, ob jemand sich über seinen Status maskiert. Und die Tunker – über sie weiß ich weniger, aber ich glaube, dass ihre persönlichen Differenzierungen genauso verfeinert und unterschiedlich sind wie unsere eigenen, wenn nicht noch mehr. Ich zitiere eine analoge ästhetische Doktrin: je straffer die Disziplin einer Kunstform ist, desto subjektiver das Kriterium des Geschmacks. Betrachten wir – um noch lehrhafter zu werden – in einer anderen Kategorie die Sternkönige: Nichtmenschen, die von ihrer Psyche zu buchstäblich übermenschlicher Vortrefflichkeit getrieben werden. Sie müssen das Feld sozusagen kalt betreten, ohne auch nur das menschliche rassische Unterbewusstsein als Matrix für ihre symbolische Erziehung. Um auf Alphanor zurückzukommen, man muss sich erinnern, dass das Volk sich gegenseitig eine enorme Menge von völlig richtigen Informationen sowie Mehrdeutigkeiten aufdrängt.“

„Verwirrend“, sagte Gersen trocken, „wenn man sich davon ablenken lässt.“

Detteras lachte leise, augenscheinlich sehr mit sich zufrieden. „Sie haben ein anderes Leben geführt als ich, Mr. Gersen. Auf Alphanor geht es nicht um Leben oder Tod; alle sind einigermaßen kultiviert. Es ist leichter, die Leute für das zu nehmen, als das sie sich ausgeben. Tatsächlich ist es sich häufig unpraktisch, das nicht zu tun.“ Er warf Gersen einen Seitenblick zu. „Warum lächeln Sie?“

„Mir dämmert allmählich, dass die bei der IPCC angeforderte Akte über Kirth Gersen auf sich warten lässt. In der Zwischenzeit finden Sie es unpraktisch, mich für den zu nehmen, als den ich mich ausgebe.“

Detteras lachte wieder. „Sie tun sowohl mir als auch der IPCC unrecht. Die Akte traf prompt ein, mehrere Minuten vor Ihrer Ankunft.“ Er deutete auf ein Blatt auf seinem Schreibtisch. „Ich habe das Dossier übrigens in meiner Rolle als verantwortlicher Offizier des Instituts angefordert. Ich denke, das spricht für meine Vorsicht.“

„Was haben Sie daraus erfahren?“ fragte Gersen. „Ich habe schon lange keinen Einblick mehr gehabt.“

„Die Akte ist erstaunlich nichtssagend.“ Er hob das Blatt auf. „Sie wurden 1490 geboren: wo? Auf keiner der bedeutenderen Welten. Mit zehn Jahren wurden Sie auf dem Galileo-Raumhafen auf der Erde registriert, in Begleitung Ihres Großvaters, dessen Vorgeschichte wir genauso überprüfen sollten. Sie besuchten die üblichen Schulen, wurden vom Institut als Katechumene akzeptiert, erreichten im Alter von vierundzwanzig die elfte Phase (ein ziemlich respektabler Fortschritt), wonach Sie sich zurückzogen. Von da an schweigt sich die Akte aus, was nahelegt, dass Sie entweder dauerhaft auf der Erde lebten oder illegal ohne Abmeldung abgereist sind. Da Sie nun vor mir sitzen, scheint Letzteres der Fall zu sein. Bemerkenswert, dass jemand bis zu Ihrem Alter in einer so komplexen Gesellschaft wie der Oikumene leben konnte, ohne in den behördlichen Unterlagen aufzutauchen! Lange Jahre des Schweigens, in denen Sie wo beschäftigt waren? Wie? Zu welchem Zweck, und mit welcher Wirkung?“ Er sah Gersen fragend an.

„Wenn es nicht in der Akte steht“, sagte Gersen, „dann will ich es dort auch nicht haben.“

„Verständlich. Es ist sehr wenig mehr drin.“ Er ließ die Akte fallen. „Nun möchten Sie Ihre Fragen stellen. Ich werde Ihnen zuvorkommen. Ich kannte Lugo Teehalt vor langer Zeit, in meiner Assistenzzeit. Er verwickelte sich damals in eine dumme Geschichte, und ich verlor ihn aus den Augen. Vor einem Jahr oder zwei kam er dann zu mir und bat mich um einen Vertrag als Entdeckungsreisender.“

Gersen starrte ihn fasziniert an. Hier also war Malagate! „Und Sie schickten ihn auf Reisen?“

„Ich entschied mich dagegen. Ich wollte nicht, dass er für den Rest seines Lebens von mir abhängig wäre. Ich war bereit, ihm zu helfen, aber nicht auf einer persönlichen Basis. Ich riet ihm, sich entweder an den Ehrenprovost Gyle Warweave oder an den Vorsitzenden des Forschungskomitees Kagge Kelle zu wenden, die ihm sehr wahrscheinlich helfen könnten, und meinen Namen zu erwähnen. Das war das Letzte, was ich von ihm hörte.“

Gersen holte tief Luft. Detteras sprach mit der ruhigen Selbstsicherheit der Wahrheit. Aber wer von ihnen hatte das nicht getan? Detteras hatte zumindest bestätigt, dass einer der drei – entweder er selbst, Warweave oder Kelle – log.

Aber wer?

Heute hatte er Attel Malagate gesehen, ihm in die Augen geschaut, seine Stimme gehört… Er fühlte sich plötzlich unbehaglich. Warum war Detteras so entspannt? Wie konnte er als vermutlich sehr beschäftigter Mann so viel Zeit erübrigen?

Gersen setzte sich abrupt aufrecht. „Ich werde zum Zweck meines Besuchs bei Ihnen kommen.“ Er erzählte ihm zum dritten Mal seine Geschichte, während Detteras mit einem schwachen Lächeln um seinen groben Mund zuhörte. Gersen zeigte ihm die Fotografien, und Detteras betrachtete sie ohne besonderes Interesse.

„Eine schöne Welt“, sagte Detteras. „Wenn ich reich wäre, würde ich Sie ersuchen, sie mir als persönlichen Besitz zu verkaufen. Ich bin nicht wohlhabend. Im Gegenteil. Jedenfalls scheint Ihnen weniger daran zu liegen, Ihre Rechte an dieser Welt zu verkaufen, als den Auftraggeber des armen alten Teehalt ausfindig zu machen.“

Gersen war etwas bestürzt. „Ich würde an den Auftraggeber zu einem mäßigen Preis verkaufen.“

Detteras lächelte skeptisch. „Tut mir leid: Ich kann mich nicht mit fremden Federn schmücken. Warweave oder Kelle ist Ihr Mann.“

„Sie bestreiten es.“

„Seltsam. Und nun?“

„Der Datenspeicher ist für mich in seinem gegenwärtigen Zustand nutzlos. Wären Sie bereit, mir den Dechiffrierstreifen zu überlassen?“

„Ich fürchte, das kommt nicht in Frage.“

„Das habe ich mir gedacht. Ich muss also an den einen oder anderen von Ihnen verkaufen, oder an die Universität. Oder den Speicher zerstören.“

„Hm.“ Detteras nickte verständig. „Das erfordert sorgfältige Überlegung. Wenn Ihre Forderungen nicht übermäßig hoch sind, wäre ich interessiert… Oder vielleicht könnten wir drei gemeinsam zu einer Übereinkunft mit Ihnen kommen. Hm… Lassen Sie mich mit Warweave und Kelle sprechen. Und kommen Sie morgen wieder, wenn Sie können, sagen wir um zehn. Möglicherweise kann ich Ihnen dann einen definitiven Vorschlag machen.“

Gersen erhob sich. „Sehr gut. Morgen um zehn Uhr.“

Fortsetzung: Jäger im Weltall (3): Pallis Atrode und Mr. Spock

Unten: Entwurf von Nikos Chrissis für Gersens Energieprojektor („Projak“), der ab diesem nächsten Teil vorkommt:

*     *     *

Im zweiten Viertel des Buches bin ich auf einen besonders krassen Fall von Weglassung durch den Übersetzer der deutschen Erstveröffentlichung gestoßen: In Kapitel 6 fehlt alles zwischen „In der Tat eine geradlinige und logische Angriffslinie“ und „Gersen blieb noch ein paar Minuten länger sitzen“ – der gesamte Abschnitt mit den beiden Mädchen im Raumhafenrestaurant, über den Schmerz und die Unzufriedenheit des Helden über die ihm entgangenen Aspekte des Lebens und seine daraus resultierenden Zweifel über seine Mission und das eventuelle Danach, sollte er es erleben. Das wären ungefähr zwei Taschenbuchseiten, und es sind alles Dinge, die später im Zusammenhang mit Pallis Atrode und auch im weiteren Verlauf der Romanreihe wichtig werden. Dafür erfindet der Übersetzer Sachen hinzu, wie zum Beispiel, daß Gersen für den Postversand des Speicherzylinders an sich selbst „einen Karton, Packpapier und Bindfaden kauft“, oder auf Smades Planeten, daß die Hügel hinter dem Gasthaus mit verschiedenfarbigen Kühen gesprenkelt sind, oder daß Roger Pilgham Sir Julians Planetenbenennungen „antiquiert, reaktionär und absurd“ findet.

Bei so etwas bekommt man den Eindruck, daß das weniger eine wirkliche Übersetzung von Jack Vances Werk ist, sondern mehr eine gekürzte deutsche Nacherzählung von Walter Brumm. Und wenn man bei Büchern wie in diesem Fall das Original und die deutsche Buchausgabe Zeile für Zeile vergleicht und die vielen Eigenmächtigkeiten der Übersetzer sieht (wie stichprobenartig auch beim Grauen Prinzen), dann fragt man sich, wie verbreitet das allgemein ist, zumindest bei SF-Taschenbüchern aus dieser Zeit, wo die deutschen Verlage das Genre offenbar nicht ernst nahmen und nur auf möglichst billige Weise ein Geschäft damit machen wollten, wofür sie auch die Übersetzer zum Kürzen und Straffen anhielten.

Wie ich schon auf „Morgenwacht“ einmal geschrieben habe: Alles, aber auch wirklich alles muß man selbst machen, wenn man will, daß es ordentlich oder überhaupt gemacht wird.

Über Cernunnos

Mein Blog: "Cernunnos' Insel" https://cernunninsel.wordpress.com/
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