Wer da? (Das Ding aus einer anderen Welt)

Von John W. Campbell Jr.; deutsche Übersetzung von Uwe Anton. Das Original „Who Goes There?“ erschien 1938. Die Illustration im Text stammt vom SF-Künstler Wayne Barlowe.

1

Es stank. Die schneeüberschütteten Hütten des Antarktis-Lagers strömten einen seltsamen, undefinierbaren Geruch aus, zusammengesetzt aus dem beißenden Schweiß der Menschen und dem durchdringenden, nach verwesendem Fisch stinkenden Tran der Robben. Über den modrigen Ausströmungen der schweiß- und schneegetränkten Felle lag der Geruch der Futtermittel. Der scharfe Gestank verbrannten Fetts und die nicht unangenehme Ausdünstung der Hunde, vom Wind schon fast verweht, hingen in der Luft.

Die durchdringenden Gerüche des Maschinenöls kontrastierten scharf mit denen der ledernen Geschirre und der Kleidung. Aber über all diesen Gerüchen der Menschen und ihrer Mitbringsel – Hunde, Maschinen und Nahrungsmittel – lag noch eine weitere Duftnote. Obwohl sie so schwach war, daß man sie kaum unter den gewohnten Gerüchen der Station ausmachen konnte, war sie dennoch so seltsam, daß den Männern wegen ihr eine Gänsehaut über den Rücken lief. Es war ein Geruch, wie ihn nur Leben ausstrahlen konnte, aber dennoch kam er von einem Etwas, das sorgfältig mit Stricken und wasserdichten Folien auf dem Tisch verschnürt lag. Unter dem hellen Glanz der unbeschirmten Glühbirne wartete es dort, massig und dunkel, und in monotonem Rhythmus lösten sich Wassertropfen davon und klatschten auf die schweren Holzplanken des Fußbodens.

Blair, der kleine kahlköpfige Biologe der Expedition, zerrte nervös an den Folien und legte dabei klares, dunkles Eis bloß, nur um sie dann sofort wieder ruhelos zurückzuschieben. Seine abgehackten, von unterdrücktem Eifer zeugenden Bewegungen verursachten tanzende Schatten auf der ausgefransten, schmutziggrauen Unterwäsche, die unter der niedrigen Decke auf der Leine hing, und sein übriggebliebener, dichter Haarstreifen, der sich um den Kopf zog, wirkte auf den Schattenbildern wie ein verzerrter Halo, der sich um den nackten Schädel des Mannes gelegt hatte.

Kommandant Garry wischte die schlaff herabhängenden Beine einer langen Unterhose beiseite und trat auf den Tisch zu. Aufmerksam glitt sein Blick über die Gruppen der Männer, die in dem Verwaltungsgebäude eingepfercht waren. Sein großer, steifer Körper streckte sich schließlich, und er nickte. „Siebenunddreißig“, sagte er. „Es sind alle hier.“ Seine Stimme war tief und zeugte von der deutlichen Autorität eines Mannes, der sowohl von Natur aus als auch vom Titel her Kommandant war.

„In Umrissen kennt ihr die Geschichte dieses Fundes der Zweiten Polarexpedition. Ich habe mit dem stellvertretenden Kommandanten McReady, mit Norris und auch mit Blair und Dr. Copper gesprochen. Wir haben eine Meinungsverschiedenheit, und da sie die ganze Gruppe betrifft, ist es nur recht und billig, daß sich alle Teilnehmer der Expedition persönlich hier befinden. Ich werde McReady bitten, euch die Details des Fundes mitzuteilen, da ihr mit eurer eigenen Arbeit zu beschäftigt seid, um euch noch darum zu kümmern, was die anderen unternehmen. McReady, bitte.“

McReadys Gestalt – sie schien einem alten, vergessenen Mythos zu entstammen, eine vor Leben nur so strotzende bronzene Skulptur – hob sich undeutlich unter dem blauen Tabaksdunst hervor. Der über einen Meter und neunzig große Mann kam zum Tisch. Mit einer fast schon charakteristischen Bewegung schaute er zu den niedrig hängenden Gebälkverstrebungen und richtete sich dann erst zur vollen Größe auf. Er trug noch seinen groben, grellgelben Anorak, aber selbst hier, einen Meter und zwanzig unter den Stürmen, die über die antarktische Eiswüste fegten und auch vor der Hütte keinen Halt machten, schien das nicht unangebracht, denn auch hier war die Kälte des vereisten Kontinents noch deutlich zu spüren und erklärte auch das verhärmte Aussehen des Mannes. Er war in der Tat bronzefarben – sogar sein kupferroter Bart und sein dichtes Haar, die knotigen, zerfurchten Hände, die sich öffneten und wieder schlossen und dann endlich auf den hölzernen Brettern des Tisches zur Ruhe kamen. Sogar seine tiefliegenden Augen hinter den dichten Brauen waren bronzefarben.

Die der Zeit widerstehende Ausdauer von Metall spiegelte sich in seinen tief zerfurchten Gesichtszügen und in seiner dunklen Stimme.

„Norris und Blair stimmen in einem überein“, sagte er. „Das Tier, das wir gefunden haben, ist nicht – irdischen Ursprungs. Norris fürchtet, daß es Gefahr in sich birgt, Blair aber nicht. Aber zurück dazu, wie und warum wir es gefunden haben. Bevor wir hierher kamen, glaubte man, daß das Lager genau über dem magnetischen Südpol der Erde läge. Ihr alle wißt, daß der Kompaß hier genau nach unten deutet. Die genaueren Instrumente der Physiker, Instrumente, die speziell für eine Expedition und die Erforschung des magnetischen Pols gefertigt wurden, entdeckten einen weiteren, weniger starken magnetischen Ausschlag in etwa achtzig Meilen südwestlicher Richtung vom Lager.

Die zweite Expedition wurde ausgeschickt, um diesen Ausschlag näher zu untersuchen. Details dazu sind überflüssig. Wir fanden den Quell der magnetischen Strahlung, aber er bestand nicht aus einem riesigen Meteoriten oder einem magnetischen Berg, wie Norris es vermutet hatte. Eisenerz ist natürlich magnetisch, reines Eisen sogar in stärkerem Ausmaß, und gewisse spezielle Stahllegierungen noch mehr. Die Oberflächenuntersuchungen ergaben, daß dieser Pol etwa dreißig Meter unter dem Eis lag, am Fuße eines Gletschers.

Ich glaube, ihr solltet mehr über die Lage dieses Orts erfahren. Von VanWall wissen wir, daß Station II am Rande eines breiten Plateaus liegt, das sich einhundertundfünfzig Meilen nach Süden erstreckt. Er verfügte nicht über genug Zeit oder Treibstoff, um es gänzlich abzufliegen, aber gegen Süden wird es immer schmaler. Genau dort, wo dieses eingegrabene Ding liegt, befindet sich ein vereister Berggrat aus Granit von so unerschütterlicher Stärke, daß es das aus dem Süden hervorkriechende Eis zurückhält.

Vierhundert Meilen in südlicher Richtung davon liegt das polare Südplateau. Ihr habt mich schon verschiedentlich gefragt, warum es dort wärmer wird, wenn der Wind aufkommt, und die meisten von euch wissen es jetzt. Als Meteorologe hätte ich mein Wort dafür gegeben, daß kein Wind bei minus siebzig Grad und kein Wind mit mehr als fünf Meilen pro Stunde bei minus fünfzig Grad wehen kann, ohne durch den Reibungseffekt Boden, Schnee und Eis und die Luft selbst zu erwärmen.

Zwölf Tage lang kampierten wir am Fuße dieser vereisten Bergkette. Wir gruben unser Lager in das blaue Eis, aus dem die Oberfläche dort besteht, und entkamen so der Kälte. Aber all diese zwölf Tage blies der Wind mit fünfundvierzig Meilen, manchmal sogar mit achtundvierzig, seltener mit einundvierzig pro Stunde. Die Temperatur betrug minus achtundsechzig Grad. Vom meteorologischen Standpunkt her ist das ein Ding der Unmöglichkeit, aber trotzdem hielt dieser Zustand volle zwölf Tage und zwölf Nächte an.

Irgendwo im Süden gleitet die gefrorene Luft des polaren Südplateaus aus dieser Sechs-Kilometer-Vertiefung heraus, einen Bergpaß herab, über einen Gletscher hinweg und dann weiter auf ihrem Weg nordwärts. Eine trichterähnliche Bergkette muß ihr den Weg weisen, und vierhundert Meilen weiter trifft sie dann auf dieses kahle Plateau, wo wir den zweiten Pol fanden. Weitere dreihundertfünfzig Meilen nördlich erreicht sie dann den antarktischen Ozean, der zugefroren und niemals wieder aufgetaut ist, seitdem die Antarktis entstand, also seit zwanzig Millionen Jahren.

Vor zwanzig Millionen Jahren fror die Antarktis also zu. Wir haben weitere Nachforschungen angestellt, überlegt und spekuliert, und glauben nun, daß sich folgendes zugetragen hat: Irgendetwas kam aus dem Himmel. Ein Raumschiff. Wir sahen es in dem blautransparenten Eis. Ein Ding, das aussieht wie ein U-Boot, nur ohne Turm und Außenantennen, etwa siebenundachtzig Meter lang und an der dicksten Stelle vierzehn Meter im Durchmesser. – Ja, VanWall? Weltraum? Ja, aber das erkläre ich besser später.“

Mit ruhiger Stimme fuhr McReady fort: „Es kam aus dem All, angetrieben von Kräften, die die Menschheit noch nicht entdeckt hat, und irgendwie ging etwas schief. Die Magnetkraft des Südpols hat es eingefangen und manövrierunfähig gemacht. Dieses Land ist jetzt immer noch ungastlich, aber als es zufror, muß es noch viel ungastlicher gewesen sein. Es muß Schneestürme gegeben haben, starke Landverschiebungen und ungeheure Schneemassen, als dieser Kontinent mit Gletschern bedeckt wurde; und Wirbelstürme ungeahnten Ausmaßes zogen über das Land, bedeckten die jetzt zugefrorenen Berge bis zu den Gipfeln mit Schnee.

Das Raumschiff traf auf soliden Fels und brach auseinander. Einige seiner Passagiere dürften überlebt haben, aber das Schiff – vor allem sein Antrieb – war völlig zerstört. Norris glaubt, daß ihn die Energiefelder der Erde sowieso schon außer Betrieb gesetzt hatten. Kein technisches Produkt intelligenter Lebewesen kann bei einer unkalkulierten Auseinandersetzung mit den tödlichen Gewalten der Natur eines Planeten bestehen.

Ein Besatzungsmitglied verließ das Schiff. Der Wind wehte nie mit einer geringeren Geschwindigkeit als einundvierzig Meilen, und die Temperatur stieg nie über minus sechzig Grad. Damals muß der Wind sogar noch stärker gewesen sein, und der Schnee fiel wie ein dichter Teppich. Nach zehn Schritten hatte sich dieses Etwas völlig verirrt.“

Er schwieg für einen Moment, und jetzt, da die tiefe, gleichmäßige Stimme nicht mehr erklang, hörten sie das Dröhnen des Sturms über ihren Köpfen und das heftige, trügerische Gurgeln im metallenen Ofenrohr. Ein Schneegestöber fegte über sie hinweg. Die Flocken, vom hechelnden Wind herbeigetragen, fielen in gleichmäßigem, blendendem Weiß über die Dächer des vergrabenen Lagers. Hätte ein Mensch die Tunnel verlassen, die alle Lagergebäude unterirdisch verbanden, wäre er nach zehn Schritten verloren gewesen. Dort draußen stieg nur der schlanke, schwarze Finger des Radiomastes neunzig Meter in den klaren nächtlichen Himmel hinein, unter dem sonst nur der Wind von einer Seite zur anderen jagte und an dem der sich ankündigende Mantel der Morgenröte ein schwaches, dann und wann aufzuckendes Licht erzeugte. Im Norden flammten die seltsam wütenden Farbtupfen der Mitternachtssonne über den Horizont. Das war der Frühling einhundert Meter über der Antarktis.

An der Oberfläche bestand er dagegen aus weißem Tod, dem Tod der messerscharfen Kälte, die der Wind vor sich hertrieb und die jedem Wesen sämtliche Wärme entzog. Kälte, endloser heller Nebel, immerwährende Stürme und Schneegestöber und die winzigkleinen Partikel des züngelnden Schnees, der alles unter sich begrub.

Kinner, der kleine, narbengesichtige Koch, zuckte zusammen. Vor fünf Tagen war er an die Oberfläche gegangen, um einen Behälter mit gefrorenem Rindfleisch zu holen. Er hatte ihn auch erreicht und sich auf den Rückweg gemacht – aber dann kam Schneegestöber aus dem Süden. Der kalte weiße Tod, der über den Erdboden hinwegjagte, hatte ihn in zwanzig Sekunden geblendet. Eine halbe Stunde lang war er irr im Kreis gegangen, dann endlich hatten ihn an ein Gebäude geseilte Männer in der undurchdringlichen Finsternis gefunden. Ein Mann – oder ein Ding – konnte sich leicht nach zehn Schritten verirren.

„Und damals waren die Schneegestöber wahrscheinlich noch undurchdringlicher, als wir es uns heute vorstellen können“, riß McReadys Stimme den Koch aus seinen Gedanken, zurück in die trübe Wärme des Verwaltungsgebäudes. „Es scheint, daß der Passagier des Raumschiffes darauf nicht vorbereitet war. Er erfror nach zehn Schritten.

Wir gruben Tunnel, um zu dem Raumschiff zu gelangen, und stießen zufällig auf das gefrorene… äh… Tier. Barclays Eishacke zerschmetterte ihm den Schädel. Als wir sahen, auf was wir gestoßen waren, ging Barclay zurück zum Raupenschlepper, zündete das Feuer an und rief, als der Dampfdruck konstant war, Blair und Dr. Copper. Barclay selbst wurde krank, blieb es für drei Tage, um genau zu sein.

Als Blair und Copper kamen, schnitten wir das Tier in einem Eisblock heraus – ihr könnt ihn noch sehen -, hievten ihn hoch und verluden ihn auf den Raupenschlepper, um ihn hierherbringen zu können. Wir wollten aber noch zum Schiff selbst kommen.

Wir erreichten es und fanden heraus, daß das Metall uns völlig unbekannt war. Unsere unmagnetischen Werkzeuge aus Beryllium-Bronze kratzten es nicht einmal an. Barclay fand auf dem Raupenschlepper einige Stahlwerkzeuge, aber die halfen uns auch nicht weiter. Wir machten Tests – sogar mit Säure aus den Batterien -, aber ohne greifbare Ergebnisse.

Sie müssen über eine Möglichkeit verfügt haben, Magnesium säurefest zu machen, denn die Legierung bestand zu wenigstens fünfundneunzig Prozent aus Magnesium. Aber das konnten wir ja nicht ahnen, und als wir eine spaltbreit geöffnete Schleuse erspähten, schnitten wir uns zu ihr durch. Klares, hartes Eis war in der Schleuse, und wir konnten es nicht erreichen. Durch die schmale Öffnung konnten wir hineinsehen und erkannten, daß sich nur Metall und Werkzeuge dort befanden, also beschlossen wir, das Eis mit einer Bombe zu lockern.

Wir hatten zwei Arten von Sprengstoff: Decanit und Thermit. Thermit erweicht das Eis nur, während Decanit wertvolle Dinge hätte zerstören können. Dr. Copper, Norris und ich brachten eine Fünfundzwanzig-Pfund-Thermitbombe an, versahen sie mit dem Zündungsdraht und zogen ihn durch den Tunnel zur Oberfläche. Neunzig Meter hinter dem Felswall zündeten wir die Bombe.

Natürlich fing die Magnesiumhülle des Raumschiffs augenblicklich Feuer. Die Bombe blitzte auf und verlosch wieder, dann flackerte erneut Licht auf. Von unserem Standpunkt aus konnten wir erkennen, daß das ganze Eisfeld von innen heraus in unerträglichem Licht aufloderte. Gegen Norden, wo die Dämmerung heraufkroch, war der Schatten des Schiffs als großer, schwarzer Kegel zu erkennen. Für einen Moment konnten wir drei weitere Schatten in der Glut ausmachen, die wir für – Passagiere des Schiffes hielten. Dann stürzte das Eis herab und begrub das Schiff.

Deshalb habe ich euch den Ort genau beschrieben. Der Wind vom Pol fegte gegen unsere Rücken. Dampf und Wasserstoff-Flammen wurden augenblicklich in weiße Eisnebel verwandelt, die Gluthitze unter dem Eis wurde zum antarktischen Ozean weggedrückt, bevor sie uns erreichen konnte. Denn sonst wären wir jetzt nicht hier, trotz des Schutzes der Felswände, die das Licht zurückwarfen.

In dem blendenden Inferno hatten wir große, unregelmäßige Klumpen ausmachen können, die geradezu wie schwarze Glühbirnen leuchteten, weil sie gegen das weißglühend brennende Magnesium stark kontrastierten. Maschinen, nehmen wir an. Geheimnisse, die der Menschheit den Weg zu den Planeten und den Sternen hätten erschließen können. Sie verschwanden im Glorienschein der tosenden Gewalten; der Antrieb, der das Schiff offenbar schwerelos hatte machen können und durch ein Versagen vom Magnetfeld der Erde vor Millionen Jahren bezwungen wurde. Ich sah, wie sich Norris’ Mund bewegte, und duckte mich. Hören konnte ich ihn nicht.

Irgend etwas – vielleicht eine Isolierung – gab nach. Die gesamten Energien des Erdfeldes, mit der sich die Aggregate seit zwanzig Millionen Jahren vollgesogen hatten, wurden entfesselt. Die Morgenröte des Himmels über uns schien entfacht, und das gesamte Plateau erstrahlte in kaltem Feuer, das uns die Sicht nahm. Die Eishacke in meiner Hand glühte plötzlich rot und zischte auf dem Eis, als ich sie wegwarf. Die Metallknöpfe meiner Kleidung brannten sich in den Stoff hinein. Und ein blauer Blitz zuckte von jenseits der Steinwälle hervor. Dann stürzten die Eiswände herab. Einen Augenblick lang kreischte es, als würde trockenes Eis zwischen Metall zerrieben. Wir waren geblendet und taumelten stundenlang durch Finsternis, bis wir unser Augenlicht wiedererlangten. Die Überreste der Kabelrollen waren meilenweit verstreut worden, ebenso der Dynamo, das Radio, die Kopfhörer und Lautsprecher. Hätten wir nicht den Dampftraktor gehabt, wären wir nie bis zum Lager II gekommen.

Wie ihr wißt, flog Van Wall bei Sonnenaufgang von Big Magnet herüber. Wir sind so schnell wie möglich zurückgekehrt. Tja, das ist die Geschichte – davon.“ McReadys großer bronzebärtiger Kopf deutete auf das Ding auf dem Tisch.

2

Ungeduldig starrte Blair vor sich hin, seine kleinen knochigen Finger zuckten unter dem grellen Licht. Kleine braune Sommersprossen auf seinen Knöcheln glitten vor und zurück, als sich die Gelenkkapseln verschoben. Er zog etwas von der Folie beiseite und blickte das dunkle, vom Eis umschlossene Etwas an.

McReadys großgewachsener Körper streckte sich etwas. Mit dem holpernden, schnarrenden Dampftraktor hatte er heute sechzig Kilometer zurückgelegt, von der Station Big Magnet bis hierher. Sogar seine sonst so unerschütterliche Ruhe war von der Begierde verdrängt worden, wieder mit Menschen zusammen zu sein. Dort draußen im Lager II war es einsam und ruhig, nur der Sturm, der vom Pol her kam, heulte wie eine Wolfsmeute. Sogar im Schlaf hörte er das wolfsähnliche Heulen und Dröhnen des Sturms – und sah das böse, unbeschreibliche Gesicht des Monsters, das ihn durch das klare, blaue Eis mit leeren Augen anstarrte, mit dem vom Eispickel gespaltenen Schädel, so wie er es zuerst gesehen hatte.

Der hünenhafte Meteorologe sprach weiter. „Das Problem liegt nun darin, daß Blair dieses Ding untersuchen möchte. Er will das Eis schmelzen und dem Wesen dann mit dem Skalpell Gewebeschichten entnehmen, und so weiter. Norris glaubt nicht, daß das ungefährlich ist, im Gegensatz zu Blair. Dr. Copper stimmt ziemlich mit Blair überein. Natürlich ist Norris Physiker und nicht Biologe. Aber er hat ein Argument, und ich glaube, daß wir alle uns das anhören sollten. Blair hat schon oft über die mikroskopischen Lebensformen gesprochen, die die Biologen sogar an diesem kalten und ungastlichen Ort finden. Jeden Winter frieren sie ein, um im Sommer – wenn auch nur für drei Monate – wieder aufzutauen und weiterzuleben.

Gerade darauf bezieht sich Norris. Sie tauen auf – und leben weiter. Wir müssen annehmen, daß diesem Geschöpf mikroskopisch kleine Lebensformen anhaften, wie jedem anderen Lebewesen, das wir kennen. Und Norris hat Angst davor, daß wir eine Seuche heraufbeschwören könnten, ausgelöst durch einen Bazillus, der auf der Erde unbekannt ist, wenn wir diese mikroskopisch kleinen Bakterien oder Sporen oder Erreger, die seit zwanzig Millionen Jahren eingefroren sind, wieder auftauen.

Blair gesteht ein, daß diese Lebensspuren noch nicht abgestorben sein müssen. In gefrorenem Zustand kann einzelliges Leben, unorganisiert wie es ist, viele Jahrtausende überdauern. Das Biest selbst ist so tot wie die gefrorenen Mammuts, die man in Sibirien findet. Höher entwickelte, organisierte Lebensformen können solch eine Behandlung nicht überstehen. Aber diese mikroskopisch kleinen Lebensformen könnten es. Norris befürchtet, daß sie eine Krankheit auslösen könnten, der die Menschheit völlig hilflos und wehrlos gegenübersteht, da sie noch nie auf sie gestoßen ist und folglich keine Abwehrmechanismen entwickeln konnte.

Blair meint zwar, daß es noch lebende Keime geben könnte, aber Norris habe unrecht, da sie mit der menschlichen Biochemie nichts anfangen könnten. Wir sind wahrscheinlich immun dage…“

„Wahrscheinlich!“ Der Kopf des kleinen Biologen zuckte in seiner schnellen vogelähnlichen Bewegung hoch. Der Halo des grauen Haares auf seinem kahlen Schädel schien sich ärgerlich zu kräuseln. „He, ein Blick…“

„Ich weiß“, gestand McReady ein. „Dieses Ding ist nicht irdischen Ursprungs. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß seine Biochemie der unsrigen so ähnlich ist, daß eine gegenseitige Infektion möglich erscheint. Ich würde sagen, daß das Auftauen keine Gefahr in sich birgt.“

McReady schaute Dr. Copper an. Der Arzt schüttelte langsam den Kopf. „Überhaupt keine“, bestätigte er zuversichtlich. „Ein Mensch kann nicht mal von Keimen infiziert werden, die so nahe Verwandte wie Schlangen befallen. Und das versichere ich“, sagte er mit ärgerlich verzogenem Gesicht, „Schlangen stehen uns biologisch viel näher als – dieses Ding dort.“

Vance Norris schob sich ärgerlich nach vorne. Unter diesen großgewachsenen Männern wirkte er verhältnismäßig klein, obwohl er einen Meter und siebzig maß, und sein gedrungener, kräftiger Körperbau ließ ihn noch kleiner erscheinen. Sein schwarzes Haar war dicht und hart, wie kurze Stahlwolle, und seine Augen hatten die graue Farbe gebrochenen Stahls. Wenn McReady aus Bronze zu bestehen schien, so bestand Norris ganz aus Stahl. Seine Bewegungen, Gedanken, ja sein ganzes Benehmen erinnerten an eine lebendig gewordene Stahlfeder. Auch seine Nerven waren stahlhart, seine Reaktionen blitzschnell. Seine Meinung stand fest, und er verteidigte sie mit dem für ihn charakteristischen schnellen, abgehackten Wortfluß.

„Zum Teufel mit der unterschiedlichen Chemie. Dieses Ding mag tot sein oder, bei Gott, auch nicht – aber ich mag es nicht. Verdammt noch mal, Blair, laß die Männer mal das Monstrum sehen, mit dem du da rumspielst. Laß sie es sehen, und dann sollen sie selbst entscheiden, ob es hier im Lager aufgetaut werden soll oder nicht. Und wenn es aufgetaut werden soll, muß das in einer Baracke geschehen. Und wer soll heute abend den Aufpasser darauf spielen? Irgendwer muß es tun. Magnetisch, o ja, Connant. Kosmische Strahlen. Na, willst du etwa bei dieser zwanzig Millionen Jahre alten Mumie sitzen?

Nimm die Plastikfolie weg, Blair. Wie zum Teufel wollt ihr wissen, worüber ihr redet, wenn ihr es nicht sehen könnt? Vielleicht hat es eine unterschiedliche Biochemie. Ich weiß nicht, was es sonst noch hat, aber etwas weiß ich ganz bestimmt: Ich will es nicht hier haben. Wenn man nach seinem Gesichtsausdruck urteilen kann – vielleicht kann man das nicht, denn es ist ja nicht menschlich -, war es ziemlich ärgerlich, als es erfror. Vielleicht verspürte es aber auch einen verrückten, unmenschlichen Hass, wer weiß? Wie zum Teufel können die Jungs über dieses Untier reden? Sie haben diese drei roten Augen nicht gesehen, und dieses blaue Haar, das aussieht, als bestände es aus Würmern. Vielleicht schlängeln diese Würmer immer noch im Eis umher? Nichts, was sich je auf der Oberfläche der Erde bewegte, hatte diesen unglaublichen Ausdruck wilder Zerstörungswut in sich getragen, den man auch jetzt noch sieht, nach zwanzig Millionen Jahren im Eis. Dieses Ding trägt lauernden Irrsinn in sich.

Verdammt, seit ich in diese drei roten Augen geblickt habe, habe ich Träume, Alpträume. Ich träume davon, daß dieses Ding auftaut und wieder zum Leben erwacht, daß es nicht ganz tot war, oder nicht einmal ganz bewußtlos während dieser zwanzig Millionen Jahre, daß es nur langsamer lebte und wartete, immer nur wartete. Und ihr werdet auch träumen, während das Eis von diesem Ding, das die Erde nicht haben wollte, heute nacht abtaut, Tropfen um Tropfen.

Connant“, Norris deutete auf den Strahlungsspezialisten, „du hast heute Wache, dir wird es sicher Spaß machen, die ganze Nacht neben diesem Ding zu sitzen. Alles ist ruhig, nur der Wind pfeift über den Dächern, und es tröpfelt…“ Er hielt einen Moment lang inne und sah sich um.

„Ich weiß, das, was ich sage, ist nicht wissenschaftlich. Aber es betrifft die Psychologie. Während des nächsten Jahres werdet ihr alle unter Alpträumen leiden. Ich habe sie jede Nacht, seitdem ich dieses Ding sehe. Deshalb hasse ich es – ja, ich hasse es -, und deshalb will ich es nicht hier im Lager haben. Bringt es dahin zurück, wo ihr es gefunden habt, und laßt es für die nächsten zwanzig Millionen Jahre im Eis. In meinem Alptraum war dieses Ding nicht menschenähnlich – und das ist ja offensichtlich – sondern konnte seine Körperzellen wirklich kontrollieren, seine Form verändern, wie ein Mensch aussehen. Und wartete nur darauf, wieder töten und fressen zu können…

Ich weiß, daß meine Argumente nicht logisch begründet sind. Aber irdische Logik läßt sich auf dieses Ding nicht anwenden. Vielleicht hat es eine fremde Biochemie, und die Keime, die es trägt, vielleicht auch. Aber was ist mit den Viren, mit enzymischen Molekülen? Die brauchen nur ein Protein-Molekül, um mit ihrer Vernichtungsarbeit beginnen zu können.

Und wie können wir sicher sein, daß von den Millionen verschiedenen Keimen, die es tragen kann, kein einziger gefährlich ist? Was ist mit dem Hydrophobie-Erreger, der alle warmblütigen Lebewesen befällt, egal, wie ihre Biochemie aussieht? Und mit der Kaninchenseuche? Bist du ein Kaninchen, Blair? Trotzdem kannst du von ihr befallen werden. Tollwut, Brand, und was es sonst noch gibt – diese Erreger sind gar nicht wählerisch, wenn es um Biochemie geht!“

Blair schaute auf und erkannte für einen Moment Zorn in Norris’ grauen Augen. „Das einzige, was du gesagt hast, ist, daß dieses Ding dir Alpträume bereitet, und das glaube ich dir auch gern.“ Der kleine Mann lächelte süffisant und etwas boshaft. „Ich hatte auch Alpträume. Also infiziert das Ding unsere Träume. Ohne Zweifel eine ungeheuer gefährliche Krankheit.

Was deine anderen Ausführungen betrifft, so hast du ein völlig falsches Verständnis von Viren. Erstens ist bislang nicht nachgewiesen, daß die Enzym-Molekül-Theorie – und sie allein – uns ein Verständnis von ihnen ermöglicht. Zweitens laß es mich bitte wissen, wenn du an der Tabak- oder Weizenfäule erkrankst. Das Getreide ist uns biologisch gesehen nämlich immer noch näher verwandt als dieses Ding aus einer anderen Welt. Und Tollwut ist streng begrenzt. Eine Weizenpflanze oder ein Fisch kann daran nicht erkranken und die Krankheit auch nicht übertragen. Und auch ein Fisch ist biologisch gesehen ein enger Verwandter von uns, im Gegensatz dazu, Norris.“ Blair deutete freundlich auf die Plastikfolie auf dem Tisch.

„Nun, dann tau dieses verdammte Ding wenigstens in einer Badewanne voll Formalin auf, wenn du es schon auftauen mußt. Das habe ich ja bereits vorgeschlagen…“

„Und ich habe schon gesagt, daß das sinnlos wäre. Da kann man keine Kompromisse schließen. Warum seid ihr, du und Kommandant Garry, hierher gekommen, um den Magnetismus zu studieren? Warum seid ihr nicht zu Hause geblieben? Es gibt auch genug magnetische Kräfte in New York. Wenn dieses Ding aber mit Formalin getränkt ist, kann ich nicht mehr das Leben studieren, das es einst gehabt hat, genausowenig wie du die Informationen, die du hier holen willst, in New York bekämst. Und – nie mehr werden wir Gelegenheit haben, solch eine Lebensform zu untersuchen. Sie ist einzigartig! Die Rasse, der dieses Geschöpf entstammt, wird möglicherweise in den zwanzig Millionen Jahren, in denen es im Eis gefroren lag, längst ausgestorben sein. Selbst wenn es vom Mars käme, würden wir nie wieder ein solches Ding finden. Und auch das Schiff ist vernichtet! Es gibt nur eine Möglichkeit, wie wir es am besten machen können. Wir müssen dieses Ding langsam, sorgfältig und ohne Formalin auftauen.“

Kommandant Garry trat nach vorn, und Norris zog sich ärgerlich murrend zurück. „Ich glaube, Blair hat recht, meine Herren. Was meint ihr?“

Connant grunzte. „Das klingt schon ganz gut. Aber ich glaube, er müßte danebenstehen und es beobachten, während es auftaut.“ Er lächelte bedauernd und strich sich eine Strähne seines kirschroten Haars aus der Stirn. „Ganz gute Idee – wenn er neben dem hübschen Leichnam sitzen bleibt.“

Garry lächelte leicht. Ein allgemeines Gemurmel der Zustimmung erklang aus der Gruppe. „Ich glaube, daß seine Seele, wenn es eine gehabt hat, auch schon längst verhungert sein muß“, sagte er. „Und ihr werdet den Anblick wohl auch ertragen können. Sonst kann Connant ja die schwächer Besaiteten hinausführen.“

Connant schüttelte sich. „Ich habe keine Angst vor Geistern. Laßt das Ding sehen. Ich…“

Blair zerrte eifrig an den Tauen herum. Eine einzige Schicht der Plastikfolie bedeckte das Ding. In der Hitze des Raums war das Eis ein wenig geschmolzen und war nun klar und blau wie dickes, gutes Glas. Naß und glatt glänzte es unter dem harten Licht der unbeschirmten Glühbirne an der Decke.

Abrupt war es völlig still im Raum. Das Ding lag mit dem Gesicht nach oben auf den geraden, glitschigen Brettern des Tisches. Die abgebrochene Hälfte des bronzenen Eispickels steckte noch halbvergraben in dem seltsamen Schädel. Drei zornig und verrückt blickende Augen schienen noch in hellem Lebensfeuer zu lodern, hell wie frisches Blut. Auf dem Kopf, dort, wo sich bei einem Menschen das Haar befand, schien ein Nest blauer, kriechender, beweglicher Würmer zu sitzen.

Van Wall, der Pilot, ein Meter und achtzig groß und zweihundert Pfund schwer, ein Mann mit stählernen Nerven, röchelte erstickt und stolperte auf den Korridor hinaus. Etwa die Hälfte der Männer folgte ihm, die anderen wichen vom Tisch zurück.

McReady stand am Ende des Tisches und beobachtete sie. Mit festen Füßen stand er auf dem Bretterboden. Norris, am anderen Ende, starrte das Ding mit zornesheißem Blick an. Draußen sprach Garry zugleich mit einem halben Dutzend seiner Männer. Blair hielt einen Hammer in der Hand. Das Eis, das das Ding seit zwanzig Millionen Jahren umschlossen hielt, knirschte unter dem Stahl, als es sich langsam von dem Ding löste…

3

„Ich weiß, daß du das Ding hasst, Connant, aber es muß richtig aufgetaut werden. Du sagst, daß wir es in dem Zustand lassen sollen, bis wir wieder zurück in der Zivilisation sind, und ich gestehe ein, daß du insofern recht hast, als daß uns dort viel bessere Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung stehen als hier. Aber wie sollen wir das Ding über den Äquator bringen? Wir müßten es durch die gemäßigte Zone, durch die Tropen und noch einmal halb durch die gemäßigte Zone transportieren, bevor wir in New York sind. Du willst neben dem Ding noch nicht einmal eine Nacht sitzen bleiben, schlägst aber vor, daß wir es zu unserem Vorratsfleisch in die Kühltruhen legen?“ Blair unterbrach das Abschnitzeln des Eises und blickte auf. Sein kahler, sommersprossiger Kopf nickte triumphierend.

Kinner, der stämmige, vernarbte Koch, ersparte Connant die Antwort. „He, Mister, hören Sie, wenn Sie mir dieses Ding in die Truhe mit dem Fleisch legen, dann – bei allen mir bekannten Göttern – sperre ich Sie dazu, damit es etwas Gesellschaft hat. Ihr Vögel habt mir alle Meßgeräte, die nicht niet- und nagelfest sind, schon auf meine Tische gestellt, und das lasse ich mir ja auch noch gefallen. Aber wenn ihr mir dieses Ding in meinen Fleischbehälter oder auch nur in meine Vorratsgrube steckt, dann könnt ihr euch euer Essen selber kochen.“

„Kinner, das ist aber der einzige Tisch der Station, der groß genug ist, daß man darauf arbeiten kann“, stellte Blair richtig. „Das weiß doch jeder.“

„Ja, und jeder hat etwas hierher gebracht. Wenn die Hunde untereinander gekämpft haben, bringt Clark sie hierher und flickt sie hier zusammen. Ralsen bringt die Schmiedehämmer her. Verdammt, das einzige, was noch nicht auf diesem Tisch lag, ist das Flugzeug. Und auch das hättet ihr hergebracht, wenn ihr es nur durch den Stollen schleppen könntet!“

Kommandant Garry hüstelte und grinste Van Wall, den Chefpiloten, an. Van Walls dichter blonder Bart zuckte verräterisch, als er Kinner mit ernster Miene anblickte. „Du hast recht, Kinner. Die Flugabteilung ist die einzige, die dich gut behandelt.“

„Es wird eng hier, Kinner“, sagte Garry. „Aber das ist ja nichts Besonderes. Ich glaube, im Antarktis-Lager hat niemand mehr viel Privatleben.“

„Privatleben?“ Was zum Teufel ist das? Weißt du, ich konnte noch nicht einmal grinsen, als Barclay durch das Lager marschierte und ‚Das letzte Gerümpel im Lager! Das letzte Gerümpel im Lager!’ vor sich hinsummte. Er trug es heraus, um auf seinem Raupenschlepper einen Bretterverschlag zu bauen. Verdammt, ich vermißte die Milchglasscheibe in der Tür mehr als die Sonne als sie zum letzten Mal unterging. Und das war noch nicht alles, was Barclay mit sich herausschleppte. Er trug das letzte bißchen Privatleben mit heraus.“

Ein Grinsen überzog Connants markantes Gesicht, als Kinner seine nicht böse gemeinten Flüche umherschleuderte. Aber es erstarb schnell wieder, als seine dunklen, tiefliegenden Augen erneut über das rotäugige Ding huschten, das Blair von seinem Kokon aus Eis befreite. Er fuhr sich durch sein schulterlanges Haar und wischte eine Locke beiseite, die übers Ohr hing. „Jedenfalls weiß ich, daß, wenn ich schon die Wache bei diesem Ding übernehmen soll, einer zuviel in diesem Raum sein wird“, grollte er. „Warum kannst du nicht das Eis von diesem Ding wegschlagen – wenn du aufpaßt, wirst du es dabei nicht beschädigen – und es dann über dem Dampfkessel aufhängen? Dort ist es warm genug. Ein Hühnchen oder auch ein ganzes Beefsteak taut dort in ein paar Stunden auf.“

„Das weiß ich auch“, widersprach Blair, der mit seinen knochigen Fingern den Meißel erneut ansetzte. Sein kleinwüchsiger Körper war vor Aufregung gespannt. „Aber dieses Ding ist zu wichtig, um irgendein Risiko eingehen zu können. Noch nie gab es solch einen Fund, und nie wieder wird es ihn geben. Es ist der einzige, den wir je haben werden, und da dürfen wir nichts falsch machen. Sieh mal, du weißt doch noch, daß die Fische, die wir im Ross-Meer gefangen haben, sofort gefroren sind, als wir sie aufs Deck zogen, und wieder zum Leben erwachten, als wir sie vorsichtig auftauten. Niedere Lebensformen werden nicht getötet, wenn man sie schnell einfriert und langsam wieder auftaut. Wir haben…“

„He, um Gottes willen – meinst du, daß dieses verdammte Ding wieder lebendig wird?“ schrie Connant. „Du hast dieses verdammte Ding… Laß mich durch! Ich werde es in so viele Stücke zerschlagen, daß…“

„NEIN! Nein, du Narr…“ Blair stellte sich Connant in den Weg, um seinen Fund zu beschützen. „Nein! Nur niedrige Lebensformen. Laß mich doch zu Ende sprechen. Man kann keine höheren Lebensformen auftauen und dadurch wieder zum Leben erwecken. Sei mal einen Moment still! Ein Fisch kann weiterleben, weil er eine so niedrige Lebensform ist, daß die einzelnen Zellen seines Körpers wieder zu arbeiten beginnen, und das reicht aus, um erneut zu leben. Bei jeder höheren Lebensform trifft das nicht zu. Wenn ihre Zellen auch weiterarbeiten, so stirbt der Körper, da sie sich nicht reorganisieren. Die voneinander abhängigen Zellgruppen arbeiten nicht mehr zusammen. In jedem schnell gefrorenen Tier steckt ein gewisses Lebenspotential, aber bei höher entwickelten Tieren kann es unter keinen Umständen wieder aktiviert werden. Die höheren Tiere sind dafür zu komplex gebaut. Das da ist ein intelligentes Geschöpf, das in der Evolution genauso hoch steht wie wir Menschen, wenn nicht noch höher. Es ist genauso tot wie ein Mensch in seinem Zustand!“

„Woher willst du das wissen?“ fragte Connant und senkte den Eispickel, den er gerade noch über dem Kopf geschwungen hatte. Kommandant Garry legte ihm die Hand beruhigend auf die Schulter. „Moment, Connant. Ich will das ein für alle Mal klarstellen. Wenn die geringste Aussicht besteht, daß dieses Ding wieder zum Leben erweckt wird, wenn man es auftaut, dann bleibt es gefroren. Der Gedanke, daß es wieder leben könnte, ist unerträglich, aber ich hatte keine Ahnung, daß es überhaupt eine theoretische Möglichkeit dafür gibt.“

Dr. Copper nahm seine Pfeife aus dem Mund und erhob sich aus seinem Stuhl. „Blair hat theoretisiert. Das Ding ist tot. So tot wie die Mammuts, die man in Sibirien findet. Beim Lebenspotential ist es so wie bei der Atomkraft: sie existiert, aber man kann sie nicht nutzen, außer in wenigen Ausnahmen. Wir haben alle Beweise, daß Lebewesen – auch Fische – beim Einfrieren sterben, und es ist ausgeschlossen, daß ein höher entwickeltes Lebewesen solch einen Prozeß überstehen könnte. Nun, Blair?“

Der kleine Biologe schüttelte den Kopf. Der kleine Haarkranz um seinen kahlen Schädel zitterte in heftigem Zorn. „Nun“, sagte er beleidigt, „wenn man es vernünftig auftaut, können die einzelnen Zellen noch ihre charakteristischen Lebenszeichen von sich geben. Menschliche Muskelzellen leben noch viele Stunden, nachdem der Körper gestorben ist. Aber weil sie noch leben – sie und auch die Zellen der Haare und Fingernägel -, bezeichnest du einen Leichnam doch nicht als Zombie!

Wenn ich dieses Ding vernünftig auftaue, kann ich an seinen Körperfunktionen vielleicht erkennen, von welcher Art von Planet es stammt. Das ist die einzige Möglichkeit, wie wir herausfinden können, ob es von der Erde kommt, vom Mars, der Venus oder gar aus einem anderen Sonnensystem.

Und nur weil es anders aussieht als ein Mensch, darf man nicht glauben, daß es unbedingt böse oder hinterhältig sein muß. Vielleicht zeigt sein Gesichtsausdruck nur die Ergebenheit ins Schicksal. Für die Chinesen ist Weiß die Farbe der Trauer. Wenn schon die Menschen unterschiedliche Gebräuche haben, warum sollte eine so fremde Rasse nicht auch über völlig andere Ausdrucksformen des Gesichts verfügen?“

Connant lachte spöttisch. „Friedliche Ergebenheit ins Schicksal. Wenn sein Gesicht so aussieht, wenn es friedlich ist, möchte ich es nicht zornig erleben. Dieses Gesicht ist nicht dafür geschaffen, Frieden auszudrücken. Dieses Ding kennt keine Begriffe wie Frieden! Ich weiß, daß es dein spezieller Fund ist – aber bleibe doch auf dem Teppich. Dieses Ding ist von Grund auf böse. In seiner Pubertät fand es Vergnügen daran, die lokalen Äquivalente von Kätzchen zu rösten, und als Erwachsener daran, sich ständig neue und subtilere Foltermethoden auszudenken.“

„Du hast nicht das geringste Recht, so etwas zu behaupten“, fuhr Blair auf. „Wie willst du einen völlig fremden, nicht menschlichen Gesichtsausdruck interpretieren können? Vielleicht hat dieser Gesichtsausdruck gar kein menschliches Äquivalent. Dieses Ding ist ein Beispiel für die wunderbare Vielfalt der Natur, entstammt einer ganz anderen Entwicklungslinie. Aber es ist genauso ein Kind der Natur, wie du es bist. Auf seiner Heimatwelt würde es dich vielleicht als eine fischähnliche Monstrosität mit einer ungenügenden Anzahl von Augen und einem pilzähnlichen, bleichen, mit Gas gefüllten Körper darstellen. Du verfällst der furchtbarsten menschlichen Schwäche, alles Andersartige zu hassen. Nur weil seine Natur andersartig ist, hast du nicht das Recht zu behaupten, es müsse unbedingt bösartig sein.“

„Pah!“ stieß Norris hervor. Er blickte das Ding an. „Es mag sein, daß Wesen von einer anderen Welt nicht unbedingt bösartig sind, nur weil sie andersartig sind. Aber bei diesem Ding trifft das zu! Ein Kind der Natur, heh? Nun, das ist die Ausgeburt einer höllisch bösartigen Natur.“

„Mann, würdet ihr Spinner bitte aufhören, euch gegenseitig anzuschreien und statt dessen dieses Ding von meinem Tisch wegschaffen?“ brummte Kinner. „Und legt ein Segeltuch darüber. Ich kann es nicht mehr sehen.“

„Kinner ist bescheiden geworden“, spöttelte Connant.

Mit schrägem Blick sah Kinner den großen Physiker an. Seine vernarbte Wange zuckte, als er den Mund zu einem verzerrten Grinsen verzog. „Na gut, mein Bester, weshalb hast du noch vor einer Minute gemurrt? Wenn du willst, können wir dieses Ding heute nacht neben dich setzen.“

„Vor seinem Gesicht habe ich keine Angst“, fuhr Connant auf. „Ich würde es zwar nicht besonders mögen, diesen Leichnam zu bewachen, aber ich werde es tun.“

Kinners Grinsen wurde breiter. „Na ja.“ Er ging zum Ofen und schüttelte die Asche so heftig nieder, daß dadurch das spröde Krachen des Eises übertönt wurde, als Blair mit seiner Arbeit fortfuhr.

4

„Klick“, machte der Geigerzähler, „klick-brrr-klick.“ Connant fuhr hoch und ließ seinen Bleistift fallen.

„Verdammt!“ Der Physiker drehte sich um, warf einen Blick auf den Geigerzähler, der auf dem Tisch stand, und kroch unter den Schreibtisch, an dem er gearbeitet hatte, um seinen Bleistift zu suchen. Dann setzte er sich wieder hinter seine Aufzeichnungen und versuchte ein wenig gleichmäßiger zu schreiben. Jedes Mal, wenn der Geigerzähler klickte, verkrampfte sich seine Hand, und seine Schrift wurde zittrig. Das leise Summen der Drucklampe, die er für die Beleuchtung benutzte, das unterdrückte Gurgeln und laute Schnarchen der Männer, die am Ende des Gangs im „Paradies-Haus“ schliefen, vermischte sich mit dem rasselnden Geräusch des Geigerzählers und dem gelegentlichen Knacken durchfallender Kohlen im Ofen zu einem eintönigen Geräuschhintergrund. Dazu kam noch das leise, beständige Tröpfeln des Eises, das das Ding in der Ecke umschloß.

Connant zog ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche, schüttelte es so, daß eine Zigarette hervorkam, und steckte sich das Mundstück zwischen die Zähne. Das Feuerzeug gab seinen Geist auf, und wütend tastete er über die Stöße der Papiere auf dem Schreibtisch, um eine Schachtel Streichhölzer zu finden. Dann kratzte er mehrmals am Rad des Feuerzeugs, legte es schließlich mit einem Fluch nieder und stand auf, um mit der Kohlenzange heiße Glut aus dem Ofen zu fischen.

Nachdem er an den Schreibtisch zurückgekehrt war, funktionierte das Feuerzeug sofort. Der Geigerzähler stieß eine Serie von knarzenden Geräuschen aus, die beinahe wie ein rauhes Kichern anmutete, als er von einer Welle kosmischer Strahlung getroffen wurde. Connant fuhr herum und starrte ihn an, dann versuchte er, sich wieder auf die Auswertung der in den letzten Wochen gesammelten Daten zu konzentrieren. Der wöchentliche Bericht…

Doch er gab auf und fügte sich der Neugier – oder der Nervosität. Er nahm die Lampe und trug sie zu dem Tisch in der Ecke hinüber. Dann ging er zum Ofen zurück und ergriff die Kohlenzange. Seit fast achtzehn Stunden taute dieses Biest jetzt auf. Vorsichtig stocherte er an dem Untier herum. Das Fleisch war nicht mehr so hart wie eine Panzerplatte, sondern erinnerte nun an Gummi. Es sah aus wie nasses, blaues Gummi, das im Schein der Gaslampe unter dem tröpfelnden Wasser glitzerte wie ein Juwel. Connant spürte den sinnlosen Drang, den Inhalt der Lampe über das Ding zu schütten und die Zigarette daran zu halten. Die drei roten Augen glotzten ihn ausdruckslos an, und die rubinfarbenen Augäpfel warfen das trübe, gedämpfte Licht zurück.

Undeutlich wurde ihm bewußt, daß er die Augen schon seit geraumer Zeit anstarrte, und genauso deutlich bemerkte er, daß sie auf einmal nicht mehr ausdruckslos waren. Aber das schien nicht von Wichtigkeit zu sein, genausowenig wie die vorsichtigen, langsamen Bewegungen der tentakelartigen Gewebestränge, die aus dem mageren, langsam pulsierenden Nackenansatz hervorsprossen.

Connant ergriff die Lampe und kehrte zum Schreibtisch zurück. Er setzte sich und starrte auf die Seiten mit mathematischen Formeln vor sich. Seltsamerweise störte ihn das Ticken in der Ecke und das Rasseln der Kohlen im Ofen nun überhaupt nicht mehr. Auch das Knacken des Bretterbodens unterbrach seine Gedanken nicht, während er den wöchentlichen Bericht ganz automatisch überflog, Zahlenkolonnen ergänzte und kurze, zusammenfassende Notizen hinzufügte.

Das Knacken des Bretterbodens wurde lauter.

5

Abrupt erwachte Blair aus den nachtmahrdurchwobenen Tiefen des Schlafs. Verschwommen erkannte er Connants Gesicht über dem seinen, und für einen Moment erschien es ihm, als gehöre es noch zu den fürchterlichen Schreckensgestalten seines Alptraums. Connants Gesicht trug einen ärgerlichen Ausdruck und sah ein wenig erschreckt aus. „Blair! Blair, du verdammter Hund, wach endlich auf!“

„Hm?“ Der kleine Biologe rieb sich die Augen und ballte seine knochigen Finger zu einer kindergroßen Faust zusammen. Von den benachbarten Liegen tauchten weitere Gesichter auf und starrten neugierig herab.

Connant richtete sich zu voller Größe auf. „Steh auf, aber ein bißchen plötzlich! Dein verfluchtes Ding ist weg!“

„Weg? Was!“ Die tiefe Stimme des Chefpiloten Van Wall röhrte mit einer solchen Lautstärke durch den Raum, daß die Wände erzitterten. Von unten aus den Verbindungstunneln wurden plötzlich weitere Stimmen laut. Die zwölf Männer des „Paradieshauses“ rannten durcheinander. Barclay, gedrungen und kugelrund in seiner langen wollenen Unterhose, hielt einen Feuerlöscher in den Händen.

„Was zum Teufel ist los?“ wollte Barclay wissen.

„Dein verdammtes Ding ist ausgerissen. Vor etwa zwanzig Minuten schlief ich ein, und als ich wieder aufwachte, war das Ding weg. Mann, Doc, zum Teufel mit deinem blöden Gewäsch, daß solche Biester nicht zu neuem Leben erwachen können. Blairs Lebenspotential hat sich als teuflisch potent erwiesen und ist uns vor der Nase wegspaziert.“

Copper starrte ihn fassungslos an. „Das Ding war nicht… irdisch“, jammerte er plötzlich. „Ich… ich glaube, daß die irdischen Naturgesetze darauf nicht anwendbar sind.“

„Nun, jedenfalls wollte es sich mal ein wenig umsehen und spazierte einfach los. Wir müssen es finden und wieder einfangen!“ Connant fluchte heftig. Seine dunklen, tiefliegenden Augen blitzten zornig. „Ein Wunder, daß dieses teuflische Biest mich nicht einfach im Schlaf aufgefressen hat.“

Blair starrte ihn an. Seine wäßrigen Augen waren plötzlich mit Furcht erfüllt. „Vielleicht hat es das… äh… hm… Wir müssen es finden, meine ich.“

„Du kannst es suchen, es ist ja dein Liebling. Ich habe genug davon! Sieben Stunden in diesem Raum, jede paar Sekunden tickt der Geigerzähler, und ihr schnarcht euch hier eine kleine Nachtmusik zusammen. Ein Wunder, daß ich überhaupt eingeschlafen bin. Ich gebe jetzt im Verwaltungsgebäude Alarm.“

Gebeugten Schritts kam Kommandant Garry durch den Verbindungsgang und schnallte sich dabei seinen Hosengürtel fest. „Das ist nicht mehr nötig. Vans Stimme klang, als ob unsere Boeing bei starkem Gegenwind starten müßte. Also war das Ding doch nicht tot?“

„Jedenfalls habe ich es nicht berührt, geschweige denn weggeschleppt, das kann ich beschwören“, brauste Connant auf. „Das letzte, was ich sah, war, wie eine dickliche grüne Flüssigkeit aus dem gespaltenen Schädel quoll, so ähnlich wie bei einer zertretenen Raupe. Der Doktor sagte gerade, daß unsere Naturgesetze auf dieses Ding keinen Einfluß haben, schließlich kommt es ja nicht von der Erde. Das ist ein außerirdisches Monstrum mit außerirdischen Zellanordnungen, nach seinem Gesicht zu schließen, und es wandert jetzt mit gespaltenem Schädel und hervorquellendem Gehirn herum.“

Norris und McReady tauchten in der Türöffnung auf, und hinter ihnen weitere Männer. „Hat jemand das Ding hier herüberkommen sehen?“ fragte Norris unschuldig. „Etwa einen Meter und zwanzig groß, drei rote Augen, hervorquellendes Gehirn… He, hat schon irgendeiner nachgeschaut, ob das nicht ein ganz verrückter Witz sein soll? Wenn es einer ist, dann sind wir uns wohl alle einig: Blairs Liebling wird Connant um den Hals gelegt, wie einst den alten Matrosen ein Albatros.“

„Das ist beileibe kein Scherz.“ Connant zitterte. „Mein Gott, ich wünschte, es wäre einer. Ich würde lieber…“ Er hielt inne. Ein schauerliches Heulen scholl durch die Korridore. Die Männer verstummten und fuhren herum.

„Ich glaube, man hat es gefunden“, schloß Connant. Seine schwarzen Augen schweiften in seltsamer Unruhe umher. Er rannte zu seiner Koje im „Paradieshaus“ zurück und kehrte fast augenblicklich mit einem schweren .45er Revolver und einer Eishacke wieder. Beide Waffen wog er abschätzend in den Händen, als er auf den Gang zutrat, der zu den Hundezwingern führte. „Das Ding hat den falschen Gang genommen“, sagte er. „Und ist mitten unter den Hunden gelandet. Hört doch, sie haben sich von den Ketten losgerissen…“

Das erschreckte Geheul der Hunde hatte sich in ein wildes Jagdgebell verwandelt, das in den Gängen laut widerhallte. Purer Hass schwang darin mit. Geknurr, schmerzerfülltes Jaulen, Gekläff.

Connant stürzte zur Tür, dicht gefolgt von McReady, dann kamen Barclay und Kommandant Garry. Die anderen rannten zum Verwaltungsgebäude und zur Waffenkammer. Pomroy, der die fünf Kühe der Station „Big Magnet“ betreute, eilte den Gang in die andere Richtung entlang – er hatte es auf die lange Mistgabel abgesehen.

Als McReadys riesenhafte Gestalt sich plötzlich von dem Gang, der zu den Hundezwingern führte, abwandte und einen anderen benutzte, kam Barclay schlitternd zum Halten. Mit dem Feuerlöscher in den Händen schaute der Mechaniker sich einen Moment unsicher um, zögernd, in welche Richtung er nun gehen sollte, dann rannte er hinter Connants breitem Rücken her. Was auch immer McReady vorhatte, es würde ihm schon gelingen.

Connant hielt an der Biegung des Ganges inne. Sein Atem ging plötzlich rasselnd. „Mein Gott…!“ Mit einem Donnerhall entlud sich der Revolver; drei fast trommelfellzerfetzende Schüsse knallten und warfen Echos zurück durch den Gang. Zwei weitere Schüsse krachten. Der Revolver fiel auf den hartgetretenen Schnee der Laufspur, und Barclay sah, wie Connant sich mit dem Eispickel verteidigte. Die breite Gestalt des Mannes nahm ihm die Sicht, aber er hörte ein Gurren und dann ein verrücktes Kichern. Die Hunde waren ruhiger geworden; in ihrem tiefen Knurren schwang tödliche Entschlossenheit mit. Krallenbewehrte Füße kratzten auf dem hartgetretenen Schnee, und losgerissene Ketten klirrten gegeneinander.

Connant wich plötzlich zurück, und Barclay konnte sehen, was sich hinter ihm befand. Eine Sekunde lang stand er wie erstarrt, dann löste sich sein Entsetzen in einem Fluch. Das Untier warf sich gegen Connant, der seinen Eispickel gegen etwas schwang, was eine Hand sein mochte. Das Ding grunzte fürchterlich, und dann kam das Fleischbündel, schwer zugerichtet von einem halben Dutzend Hunde, wieder auf die Beine. Die roten Augen strahlten in unirdischem Hass und in unirdischem, unzerstörbarem Lebenswillen.

Barclay richtete den Feuerlöscher auf das Ding; der blendende, klebrige Strahl des Chemikalienschaums verwirrte es. Die wilden Angriffe der Eskimohunde, die sich nicht darum kümmerten, ob sie sich selbst in Gefahr brachten, hielten es in Schach.

McReady drängte einige Männer beiseite und schob sich den engen Gang entlang, der vollgestopft war mit Männern, die den Ort des Kampfgeschehens nicht erreichen konnten. McReady griff mit einem wohlüberlegten Plan an. In seinen bronzefarbenen Händen hielt er eins der riesigen Lötgebläse, die benutzt wurden, um die Antriebsmaschinen des Flugzeugs vorzuwärmen. Als er das Ventil öffnete, röhrte es fürchterlich auf. Das verrückte Gurren wurde lauter. Die Hunde wichen vor der meterlangen, blauen Lanze aus Feuer zurück.

„Bar, hol ein Stromkabel und roll es hierher. Und eine Zange. Wir werden dieses Monstrum mit einem Stromschlag töten, wenn ich es nicht vorher einäschern kann.“ Die Autorität in McReadys Stimme machte klar, daß der Mann einen ausgeklügelten Plan hatte. Barclay drehte sich um und rannte den langen Stollen entlang, der zum Kraftwerk führte, aber auch Norris und Van Wall hatten zugehört und waren noch vor ihm unterwegs.

Barclay fand das Kabel in einem in die Tunnelwand eingelassenen Sicherungskasten. Nach einer halben Minute hatte er es den Stollen zurück ausgerollt. Van Walls Stimme warnte ihn: „Energie!“ schrie der Pilot, als er den benzinbetriebenen Notgenerator anwarf.

Ein halbes Dutzend weiterer Männer war jetzt dort und schaufelte Kohlen in die stromerzeugende Dampfmaschine. Norris, der fluchte, arbeitete mit schnellen, geschickten Bewegungen am anderen Ende des Kabels und verband es mit einem Schalter, um es an den Stromkreis anschließen zu können.

Als Barclay das Ende des Gangs erreichte, waren die Hunde zurückgewichen, vertrieben von einem wütenden Monstrum, dessen rote Augen sie in hilflosem Zorn anfunkelten und das mit dem Hass eines in die Enge Getriebenen wie verrückt gurrte. Die Hunde hatten einen Halbkreis gebildet, mit halbgeöffneten, geifernden Schnauzen, in denen weiße Zähne blitzten, standen sie dem Untier gegenüber und winselten mit einem lasterhaften Eifer, der dem Zorn der roten Augen fast gleichkam. McReady stand in zuversichtlicher Haltung am Ende des Gangs und hielt das sanft schnurrende Lötgebläse locker und zielsicher in den Händen. Als Barclay kam, trat er, ohne das Untier aus den Augen zu lassen, zur Seite. Ein schwaches Lächeln flog über sein schlankes, bronzefarbenes Gesicht.

Von hinten rief Norris etwas, und Barclay kam weiter vor. Das Kabel war mit dem langen Stiel einer Schneeschaufel verbunden. Die beiden Pole waren durch ein Holzstück, das man in rechtem Winkel am Ende des Griffs befestigt hatte, fast einen halben Meter voneinander getrennt. Im Licht der Lampen glänzten die beiden mit zweihundertzwanzig Volt durchflossenen Kupferdraht-Leitungen. Das Ding gurrte, blieb stehen, wich aus. McReady schob sich zu Barclays Seite vor. Die Hunde erkannten den Plan; guttrainierte Eskimohunde schienen dann und wann eine telepathische Verbindung mit ihren Herren eingehen zu können. Ihr Gejaule wurde schriller, und mit kurzen, abgehackten Attacken drangen sie vor. Unvermittelt sprang ein großer, nachtschwarzer Alaskahund das eingeschlossene Untier an. Aufkreischend fuhr es herum und schlug mit den mit säbelartigen Klauen bewehrten Füßen zu.

Barclay sprang vor und stach zu. Ein schrecklicher, schriller Laut ertönte und erstarb wieder. In dem Stollen stieg der Geruch von verschmortem Fleisch auf, und schmutziggraue Wolken kräuselten sich in der Luft. Das stampfende Echo des benzingetriebenen Dynamos wurde zu einem hallenden Hämmern. Der Blick der roten Augen bewölkte sich, das Zerrbild eines Gesichts zuckte krampfhaft. Die arm- und beinähnlichen Gliedmaßen erzitterten und wurden steif. Die Hunde sprangen vor, und Barclay zog seine schaufelförmige Waffe zurück. Das Ding auf dem Schnee bewegte sich nicht mehr, als es von den Hunden auseinandergerissen wurde.

6

Garry schaute sich in dem gedrängt vollen Raum um. Zweiunddreißig Männer, einige von ihnen in unverhohlener Nervosität an die Wand gelehnt, einige von ihnen betont, aber nicht ungezwungen erleichtert; einige saßen, die meisten aber standen dichtgedrängt wie Sardinen in einer Dose. Zweiunddreißig Mann. Abgesehen von den fünf Männern, die sich um die verwundeten Hunde kümmerten, das komplette Personal der Station. Siebenunddreißig waren es insgesamt.

„In Ordnung“, begann Garry, „ich glaube, es sind alle hier. Einige von euch – drei oder vier, mehr nicht – haben gesehen, was geschah. Aber ihr alle habt das Ding auf dem Tisch gesehen und könnt euch eine ungefähre Vorstellung machen. Wenn das nicht der Fall ist, werde ich…“

Seine Hand glitt zu der Plane über dem Etwas auf dem Tisch. Ein scharfer Geruch angesengten Fleisches stieg in seine Nase. Die Männer wandten ihre Blicke ab und verneinten hastig.

„Es sieht so aus, als ob Charnauk keine Gespanne mehr führen wird“, fuhr Garry fort. „Blair will dieses Wesen noch einmal genauestens untersuchen. Wir müssen exakt wissen, was geschah, um ganz sicherzugehen, daß es jetzt tot ist und auch tot bleiben wird. Einverstanden?“

Connant grinste. „Jeder, der etwas dagegen hat, kann ja diese Nacht bei dem Ding Wache halten.“

„Na gut. Also, Blair, was hast du uns zu sagen? Worum handelt es sich?“ Garry wandte sich zu dem kleinen Biologen um.

„Ich frage mich, ob wir es je in seiner natürlichen Gestalt gesehen haben.“ Blair schaute zu der von dem Tuch bedeckten Masse. „Es mag die Wesen nachgebildet haben, die das Raumschiff erbauten… aber das glaube ich eigentlich nicht. Ich glaube, daß es sich uns in seiner natürlichen Form gezeigt hat. Die von uns, die nah genug an der Krümmung des Stollens waren, konnten das Ding in Aktion sehen. Das Etwas auf dem Tisch ist das Ergebnis. Als es ausriß, sah es sich augenscheinlich erst einmal um. Die Antarktis ist noch immer zugefroren, genau wie zum Zeitpunkt der Landung des Schiffes, als das Ding sie zum ersten Mal sah. Von den Untersuchungen, die ich durchgeführt habe, als es auftaute, und von den Gewebeschichten, die ich entnommen und untersucht habe, schließe ich, daß es von einem Planeten stammt, der eine höhere Temperatur als die Erde aufweist. In seiner natürlichen Form konnte das Untier die Temperatur nicht ertragen. Es gibt auch auf der Erde kein Lebewesen, das im Winter in der Antarktis überleben kann; am besten behaupten sich noch die Hunde. Es fand die Hunde und kam irgendwie nahe genug an Charnauk heran, um ihn fassen zu können. Die anderen Polarhunde rochen oder hörten es, das kann ich nicht genau sagen, aber auf jeden Fall wurden sie wild, rissen die Ketten aus den Halterungen und griffen es an, bevor es mit seiner Arbeit fertig war. Das Ding, das wir gefunden haben, bestand zum Teil aus Charnauk, seltsamerweise nur halbtot, zum Teil aus Charnauks von dem Geschöpf absorbierten Gewebe, vom Protoplasma des Untiers umschlossen, und zum Teil aus dem Körperstoff des Dings, so wie wir es gefunden haben, auf eine uns noch nicht verständliche Art und Weise zu einfachsten Zellstrukturen – eigentlich zu reinem Protoplasma – zusammengeschmolzen. Als die Hunde es angriffen, verwandelte es sich in den besten Kämpfer, den ich mir vorstellen kann – in irgendein Untier einer fremden Welt.“

„Verwandelte?“ fragte Garry fassungslos. „Wie meinst du das?“

„Jedes Lebewesen besteht aus geleeartigem Protoplasma, das Zellen bildet. Winzige, nur mikroskopisch wahrnehmbare Teilchen, sogenannte Zellkerne, steuern die Funktionen des Protoplasmas, das den Hauptteil der Zelle bildet. Dieses Ding war nur eine Abwandlung des universellen Plans, nach dem die Natur Lebewesen entstehen läßt: Zellen, aufgebaut aus Protoplasma und gesteuert von Zellkernen, die viel winziger sind. Ihr Physiker könntet solch eine Zelle – eine beliebige Einzelzelle irgendeines Lebewesens – am ehesten mit einem Atom vergleichen. Die Hauptmasse des Atoms, der raumfüllende Teil, besteht, aus Elektronenbahnen, aber die Eigenschaften des Atoms werden vom Kern bestimmt.

Damit habe ich euch nichts grundlegend Neues berichtet. Dieses Ding ist, wie gesagt, eine Abwandlung des allgemeinen Bauplans der Natur, die wir noch nicht kennen, aber so logisch und so natürlich wie jede andere Manifestation des Lebens. Es gehorcht den gleichen Gesetzen. Zellen aufgebaut aus Protoplasma, Charakteristika festgelegt vom Zellkern. Nur kann bei dieser Kreatur der Zellkern die Zellen willentlich kontrollieren. Es wählte Charnauk aus, verdaute es und studierte dabei jede einzelne Zelle seines Gewebes. Dann gruppierte es seine eigenen Zellen um, um ihn genau imitieren zu können. Teile von diesem Etwas, die genug Zeit hatten, um diese Verwandlung zu beenden, sind Hundezellen. Aber sie haben nicht die Kerne von Hundezellen.“

Blair hob die Folie hoch. Ein zerfleischtes Hundebein mit steifem, grauem Pelz erschien. „Das zum Beispiel ist kein Hundebein, sondern eine Nachbildung. Bei einzelnen Teilen bin ich mir noch nicht sicher; der wirkliche Zellkern verbirgt sich hinter der Imitation eines Hunde-Zellkerns. Nach einiger Zeit können wir nicht einmal mehr unter dem Mikroskop den Unterschied feststellen.“

„Was wäre“, fragte Norris bitter, „wenn das Ding genug Zeit gehabt hätte?“

„Dann wäre es zu einem Hund geworden. Die anderen Hunde hätten es akzeptiert. Wir hätten es genauso als Hund akzeptiert. Ich glaube kaum, daß wir die Nachbildung hätten entdecken können, weder unter dem Mikroskop noch mit Hilfe von Röntgenstrahlen oder sonstwie. Dieses Ding gehört zu einer uns an Intelligenz überlegenen Rasse, die in die tiefsten Geheimnisse der Biologie vorgedrungen ist und gelernt hat, diese für sich nutzbar zu machen.“

„Und was hatte es vor?“ Barclay blickte zu der Plane hinüber.

Blair grinste düster. Der auf und ab wallende Halo seines Haarkranzes richtete sich etwas auf. „Ich glaube, es wollte die Welt übernehmen.“

„Die Welt übernehmen! Einfach so, ganz allein?“ Connant keuchte. „Wollte es sich als Diktator einsetzen?“

„Nein.“ Blair schüttelte den Kopf. Er legte das Skalpell, mit dem er nervös herumgefummelt hatte, auf den Tisch; so war, als er weitersprach, sein Gesicht verdeckt. „Es wollte zur Weltbevölkerung werden.“

„Zur… Weltbevölkerung werden? Pflanzt es sich asexuell fort?“

Blair schüttelte den Kopf und schluckte. „Das… das hat es nicht nötig. Dieses Ding wog fünfundachtzig Pfund. Charnauk wog neunzig Pfund. Es wäre zu Charnauk geworden und hätte immer noch fünfundachtzig Pfund übrig, um zu… oh, zum Beispiel… um Jack zu werden oder zu Chinnok. Es kann alles imitieren, und das bedeutet, was es alles werden kann. Wenn es das Meer erreicht hätte, wäre es eine Robbe geworden, vielleicht auch zwei. Diese hätten vielleicht einen Killerwal angegriffen und wären entweder Killerwale geworden, oder gar eine Robbenherde. Vielleicht wäre es auch zu einem Albatros geworden oder zu einer Seemöwe und wäre nach Südamerika geflogen.“

Norris fluchte leise. „Jedesmal, wenn es etwas verdaut und imitiert…“

„Hätte es seine ursprüngliche Körpermasse übrig und könnte wieder von vorne mit diesem Prozeß anfangen“, beendete Blair den Satz. Es wäre durch nichts zu töten. Es hat keine natürlichen Feinde, da es jede beliebige Gestalt annehmen kann. Wenn dieses Ding von einem Killerwal angegriffen würde, würde es ein Killerwal werden. Wenn es ein Albatros wäre, und ein Adler griffe es – ihn – an, würde es ein Adler werden. Mein Gott, es kann zu einem weiblichen Adler werden, ein Nest bauen, Eier legen!“

„Bist du sicher, daß dieses teuflische Ding tot ist?“ fragte Dr. Copper leise.

„Bei Gott, ja!“ keuchte der kleine Biologe. „Nachdem wir die Hunde zurückgetrieben haben, habe ich Barclays elektrische Mistgabel in das Ding gestochen und fünf Minuten lang Strom durchgejagt. Es ist tot – und gleichzeitig gekocht!“

„Dann können wir Gott danken, daß dieses Ding in der Antarktis niederging, wo es kein einziges Lebewesen gibt, das es nachbilden kann, außer den Hunden unseres Lagers.“

„Und uns.“ Blair kicherte. „Es kann uns imitieren. Hunde können die sechshundertfünfzig Kilometer bis zur See nicht zurücklegen, sie finden nicht genug Nahrung. Und zu dieser Jahreszeit gibt es keine Seemöwen, die das Ding imitieren könnte. So weit vom Meer entfernt gibt es auch keine Pinguine. Es gibt nichts, was die See erreichen könnte – außer uns. Wir sind intelligent genug. Wir können es schaffen. Versteht ihr denn nicht? Es wird uns nachahmen, wird einer von uns werden… Dann kann es ein Flugzeug benutzen, zwei Stunden lang fliegen und die Erde beherrschen, die Erde übernehmen… Eine ganze Welt… wenn es uns nachbildet!

Ich bin erst jetzt darauf gekommen, ich hatte ja keine Ahnung. Das Ding hatte es eilig und übernahm das Geschöpf, das seiner Größe am ehesten entsprach. Begreift ihr? Ich bin Pandora! Ich habe die Büchse geöffnet. Und die einzige Hoffnung, die wir noch haben, ist, daß niemand von hier fliehen kann. Ihr habt nicht gemerkt, wie ich das fertiggebracht habe, aber ich habe es geschafft. Ich habe jeden einzelnen Magnetzünder zerstört. Keins der Flugzeuge kann mehr fliegen. Keiner von uns kann noch fliegen.“ Blair stöhnte auf und wand sich schreiend auf dem Boden.

Chefpilot Van Wall rannte zur Tür. Seine Fußtritte hallten dumpf in den Stollen wider, als Dr. Copper sich vorsichtig über den kleingewachsenen Biologen beugte. Aus seinem Arbeitszimmer am Ende des Raums holte er eine Spritze und injizierte dem Biologen eine Lösung in den Arm. „Wenn er erwacht, hat er es überstanden“, seufzte er und stand auf. McReady half ihm dabei, den Biologen in die nächstgelegene Schlafkoje zu befördern. „Es hängt alles davon ab, ob wir ihn überzeugen können, daß das Ding tot ist.“

Geduckt trat Van Wall wieder in die Unterkunft und strich sich geistesabwesend über den dichten blonden Bart. „Ich hätte nicht gedacht, daß ein Biologe wie er etwas so konsequent durchführt. Aber er hat die Ersatzteile des zweiten Lagers übersehen. Ich habe sie unbrauchbar gemacht, alles in Ordnung.“

Kommandant Garry nickte. „Und was ist mit dem Funkgerät?“

Dr. Copper schnaubte unwillig. „Ich glaube kaum, daß dieses Ding mittels Funkwellen fliehen kann. Wenn wir die Funkmeldungen einstellen, tauchen innerhalb der nächsten drei Monate fünf Rettungsexpeditionen hier auf. Wir müssen unsere Meldungen wie bisher abgeben, aber nichts Verräterisches verlauten lassen. Aber ich frage mich…“

McReady betrachtete den Arzt nachdenklich. „Vielleicht ist die Verwandlung ansteckend… Jeder, der mit dem Blut dieses Untiers in Berührung kam…“

Copper schüttelte den Kopf. „Blair hat etwas übersehen. Wenn dieses Ding uns auch imitieren kann, so behält es doch bis zu einem gewissen Grad seine eigene Körperchemie, seinen eigenen Metabolismus. Wenn das nicht der Fall wäre, und es würde sich in einen Hund verwandeln, wäre es schlicht und einfach ein Hund und sonst nichts… Aber das Ding will ja lediglich die Nachbildung eines Hundes sein. Also muß es einen Serumtest geben, mit dem man das Ding entdecken kann. Und da es von einer anderen Welt kommt, muß seine Biochemie so grundlegend unterschiedlich von der unsrigen sein, daß ein paar Zellen, etwa in Form von Blutstropfen, von einem Hund oder einem menschlichen Körper als Krankheitserreger angesehen werden müßten.“

„Blutet solch eine Nachbildung überhaupt?“ fragte Norris.

„Sicher. Im Blut liegt nichts Mystisches. Muskelzellen bestehen zu neunzig Prozent aus Wasser, und Blut unterscheidet sich von ihnen nur dadurch, daß sein Prozentsatz an Wasser geringfügig höher liegt und es weniger Bindegewebe aufweist. Die Imitationen bluten also genau wie die Originale“, versicherte Copper.

Blair richtete sich plötzlich in seiner Schlafkoje auf. „Connant – wo ist Connant?“

Der Physiker ging zu ihm hinüber. „Hier bin ich. Was willst du?“

„Bist du es wirklich?“ kicherte Blair. Er fiel zurück in die Koje und wurde von einem lautlosen Lachanfall geschüttelt.

Connant sah ihn fragend an. „Was soll ich wirklich sein?“

„Bist du Connant?“ Wieder brach Blair in Lachen aus. „Bist du es wirklich? Das Untier wollte keinen Hund nachbilden, sondern – einen Menschen!

7

Müde erhob sich Dr. Copper von der Lagerstätte und wusch die Injektionsnadel sorgfältig aus. Das Plätschern des Wassers wirkte nun, da Blairs unterdrücktes Lachen endlich verstummt war, furchtbar laut in dem überfüllten Raum. Copper sah Garry an und schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, es ist aussichtslos. Ich glaube nicht, daß wir ihn davon überzeugen können, daß das Ding nun tot ist.“

Norris lachte unsicher. „Ich bin nicht einmal sicher, ob du mich davon überzeugen kannst. Ach, zum Teufel mit dir, McReady.“

„McReady?“ Kommandant Garry sah von Norris zu McReady.

„Die Alpträume“, erklärte Norris. „Er hatte eine Theorie bezüglich der Alpträume, die wir in Lager II hatten, nachdem wir dieses Ding fanden…“

„Was für eine Theorie?“ Garry sah McReady direkt in die             Augen, doch Norris antwortete für den Angesprochenen.

„Daß das Untier nicht tot war, sondern nur furchtbar verlangsamte Lebensfunktionen hatte und noch unbewußt das Verstreichen von Zeit miterleben könnte. Und es hat auch unser Kommen bemerkt, nach all der Zeit. Ich träumte davon, daß es andere Wesen nachbilden könnte.“

„Zumindest dein Traum trifft zu“, meinte Copper.

„Halt die Schnauze“, brauste Norris auf. „Das weiß ich mittlerweile auch. Aber in dem Traum konnte es Gedanken lesen, erfaßte genau die Pläne und Eigenheiten der anderen.“

„Was soll daran so schlimm sein? Das scheint dich mehr zu beschäftigen als die Freude, die uns ein Wahnsinniger in unserem Antarktislager noch bereiten wird.“ Copper deutete auf den schlafenden Blair.

McReady atmete tief ein. „Wir wissen, daß Connant wirklich Connant ist, nicht nur, weil er wie Connant aussieht – das bietet jetzt keine Garantie mehr -, sondern weil er wie Connant denkt, redet und sich auch wie Connant benimmt. Um so etwas zu vollbringen, braucht man mehr als die bloße Fähigkeit der Imitation, dazu muß man Connants Verstand kennen, seine Gedanken, Gefühle und charakteristischen Eigenarten. Also bist du wegen Connant nicht sehr besorgt, obwohl du weißt, daß das Ding seinen Körper genau nachbilden könnte, denn dir ist bekannt, daß es einen völlig fremden Verstand hat, der nicht so reagieren und denken und reden könnte wie ein menschlicher und uns also nicht täuschen könnte. Die Idee, daß das Ding einen von uns nachgebildet haben könnte, ist zwar faszinierend, aber irreal, da sein Verstand viel zu unmenschlich ist, um uns täuschen zu können. Es hat eben keinen menschlichen Geist.“

„Ich habe schon einmal gesagt“, meinte Norris und schaute McReady dabei fest an, „daß du das unpassendste Zeug zur unpassendsten Zeit vorbringen kannst. Würdest du einmal ein wenig deutlicher werden? Was meinst du eigentlich damit?“

Kinner, der narbengesichtige Koch der Expedition, stand neben Connant. Plötzlich trat er von ihm weg und ging zu dem Ofen, wie um auf vertrautes Gebiet zu gelangen. Er schüttelte den Rost, und mit lautem Rasseln fielen einige Kohlen durch.

„Es ist sinnlos“, sagte Dr. Copper leise, als führe er ein Selbstgespräch, „nur so auszusehen wie jemand, den man nachbilden will. Es muß die Gefühle und Reaktionen des Originals begreifen können. Das Ding ist nicht menschlich; seine Nachbildungskräfte übersteigen unsere Vorstellungskraft. Ein guter Schauspieler kann, wenn er lange genug übt, die Eigenarten eines anderen Menschen so gut nachahmen, daß er die meisten Menschen täuschen könnte. Aber kein Schauspieler könnte einen Mann imitieren, der mit uns zusammen hier in diesem Lager lebt, wo es praktisch überhaupt kein Privatleben gibt. Dazu bräuchte man schon übermenschliche Fähigkeiten.“

„Ah, hast du jetzt auch begriffen?“ fragte Norris sanft.

Connant, der allein in einer Ecke des Raumes stand, warf wilde Blicke um sich. Sein Gesicht war schneeweiß. Die anderen Männer hatten sich alle von ihm abgesondert und versperrten den Weg zur Tür. „Mein Gott, wollt ihr vielleicht endlich mit dem Blödsinn aufhören!“ sagte er mit zitternder Stimme. „Wer bin ich eigentlich? Irgendeine Mikrobe, die ihr unter dem Mikroskop untersucht? Oder ein lästiger Wurm, über den ihr in der dritten Person sprecht?“

McReady sah ihn an. Seine Hände zuckten nervös. „Uns gefällt’s hier gut“, sagte er. „Wünschten, ihr wäret auch hier. Gezeichnet: Jedermann. Connant, wenn du glaubst, es gehe dir höllisch schlecht, dann versetze dich einmal in unsere Lage. Du weißt etwas, was wir nicht wissen: Die Wahrheit nämlich. Du kannst mir glauben, daß du jetzt in diesem Moment der am meisten gefürchtete Mann von Big Magnet bist.“

„Mein Gott, ich wünschte, du könntest deine Augen sehen“, flüsterte Connant. „Hör auf, mich so anzustarren. Was zum Teufel hast du vor?“

„Hast du irgendwelche Vorschläge, Doc?“ fragte Kommandant Garry ruhig. „Unser jetziger Zustand ist jedenfalls unerträglich.“

„Ist er das?“ warf Connant ein. „Komm einmal hierher und sieh dir die Männer an. Weißt du, woran sie mich erinnern? An die Meute Eskimohunde, die das Untier eingekreist hatte. Benning, hörst du gefälligst damit auf, mit diesem Eispickel herumzufuchteln?“

Ein hohles Geräusch erklang, als der Mechaniker ihn auf den Boden fallen ließ. Sofort bückte er sich wieder und hob ihn auf. Er behielt ihn in der Hand, während seine Blicke unruhig durch den Raum wanderten.

Copper setzte sich auf die Matratze neben Blair. Geräuschvoll knarrte die hölzerne Unterlage. Am Ende des Korridors jaulte ein Hund schmerzgepeinigt auf, und gleich darauf erklang die beruhigend vor sich hinmurmelnde Stimme des Hundeschlittenführers.

„Eine mikroskopische Untersuchung“, sagte der Arzt nachdenklich, „würde nutzlos sein, wie Blair nachgewiesen hat. Zu viel Zeit ist schon verstrichen. Aber ein Serumtest wäre definitiv.“

„Ein Serumtest? Was meinen Sie damit?“ fragte Garry.

„Wenn man einem Kaninchen menschliches Blut injiziert – wie jedes andere Tierblut, bis auf das von anderen Kaninchen, ist es für das Tierchen unverträglich – und in vernünftigen Dosen die Injektionen eine Zeitlang fortsetzt, wird es gegen Menschenblut immun. Wenn man dem Kaninchen dann ein wenig Blut entnimmt, es in einem Reagenzglas trennt und dem klaren Serum dann ein wenig Menschenblut zufügt, würde sich eine sichtbare Reaktion abspielen, die eindeutig beweist, daß es sich um menschliches Blut handelt. Wenn man Blut von Kühen oder Hunden hinzufügen würde, oder Blut irgendeiner anderen Gattung, fände keine Reaktion statt. Das wäre ein eindeutiger Beweis.“

„Und kannst du mir sagen, wie ich für dich ein Kaninchen herbeizaubern soll?“ fragte Norris.

„Ich weiß nicht, ob es in der Antarktis keine Kaninchen gibt“, sagte Copper, „aber dieses Beispiel habe ich nur angeführt, da man im allgemeinen Kaninchenblut für den Test verwendet. Jedes andere Tierblut tut es aber auch. Das von einem Hund zum Beispiel. Aber der Test nimmt mehrere Tage Zeit in Anspruch, und je größer das Tier ist, desto mehr Blut benötigt man dafür. Mir müßte also noch jemand helfen.“

„Wie wäre es mit mir?“ fragte Garry.

„Einverstanden“, nickte Copper. „Wir fangen sofort mit der Arbeit an.“

„Und was sollen wir solange mit Connant machen?“ fragte Kinner. „Ich haue von hier ab und ertränke mich im Ross-Meer, bevor ich für ihn koche.“

„Es ist ja möglich, daß er noch ein Mensch sein mag…“ wandte Copper ein.

Connant brach in wilde Flüche aus. „Ich mag noch ein Mensch sein, du verdammter Knochenbrecher? Was zum Teufel soll ich denn sonst sein?“

„Ein Monstrum!“ sagte Copper hart. „Und jetzt halt den Mund und hör zu!“ Connants Gesicht wurde noch bleicher, und er mußte sich setzen. „Bis wir völlige Sicherheit haben – und du weißt genauso gut wie wir, daß wir Grund zu unserer Vermutung haben, die nur du bestätigen oder entkräften kannst -, mußt du uns das Recht zugestehen, dich einzusperren. Wenn du ein… ein Monster sein solltest, bist du viel gefährlicher als der arme Blair dort, und ich werde dafür sorgen, daß auch er eingesperrt wird, denn ich glaube, daß er, sobald er aufwacht, versuchen wird, die Hunde und uns zu töten. Er wird glauben, daß wir alle Monster seien, und es wird nichts geben, das ihn von seiner Meinung abbringen könnte. Es würde gnädiger sein, wenn wir ihn sterben ließen, aber das dürfen wir natürlich nicht. Er kommt in einen Schuppen, und du kannst in der kosmischen Station bei all deinen Apparaten bleiben, wie bisher auch. So, und jetzt muß ich mir ein paar Hunde holen.“

Connant nickte bitter. „Ich bin ein Mensch. Beeil dich mit deinem Test. Deine Augen… Mein Gott, ich wünschte, du könntest deine Augen sehen!

Gespannt beobachtete Kommandant Garry, wie Clark, der Hundeführer, den braunen Alaskahund festhielt, während Copper ihm Blut entnahm. Der Hund war nicht allzu gern zur Zusammenarbeit bereit; der Stich der Nadel schmerzte, und er hatte diesen Morgen schon Bekanntschaft mit einer Nadel gemacht. Fünf Nähte hielten eine Wunde zusammen, die von der Schulter über die Rippen und den halben Körper lief. Einer seiner Fangzähne war ausgebrochen; die Spitze davon hatte man tief eingegraben in der Schulter des Monstrums auf dem Tisch gefunden.

„Wie lange dauert das noch?“ fragte Garry und rieb sich den Arm, der noch von dem Einstich der Nadel schmerzte, mit der Copper ihm selbst Blut entnommen hatte.

Copper zuckte die Achseln. „Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht genau. Ich habe nur Erfahrung bei der allgemeinen Anwendung mit Kaninchen, aber mit Hundeblut habe ich den Test noch nie durchgeführt. Es sind größere, schwerfälligere Tiere. Die Arbeit mit Kaninchen geht einfacher vonstatten, deshalb zieht man sie ja auch allen anderen Tieren vor. In zivilisierteren Gegenden kann man gegen Menschenblut immun gemachte Kaninchen sogar kaufen, und kein Wissenschaftler macht sich die Mühe, die Injektionen selbst vorzunehmen.“

„Wofür braucht man sie eigentlich?“ fragte Clark.

„Die Polizeilabors benutzen sie. Weißt du, A behauptet, daß er B nicht umgebracht habe und daß das Blut auf sein Hemd gekommen sei, als er ein Huhn geschlachtet habe. Die Wissenschaftler führen den Test dann durch, und dann ist es Sache von A, zu erklären, wieso das Blut auf seinem Hemd auf das von menschenimmunen und nicht auf das von huhnimmunen Kaninchen anspricht.“

„Und was machen wir solange mit Blair?“ fragte Garry müde. „Solange er noch schläft, brauchen wir uns ja keine Sorgen zu machen, aber sobald er erst einmal aufwacht…“

„Barclay und Benning bringen Riegel an der Tür der kosmischen Abteilung an“, antwortete Copper grimmig. „Connant benimmt sich wie ein Gentleman. Vielleicht ist er sogar froh, allein zu sein, so wie die anderen Männer ihn anstarren. Bei Gott, uns allen könnte ein wenig Abgeschiedenheit nicht schaden.“

Clark lachte bitter. „Jetzt nicht mehr, danke. Je mehr Menschen, desto besser!“

„Blair“, fuhr Copper fort, „wird ebenfalls allein weggesperrt. Wenn er aufwacht, wird er wohl einen gut ausgearbeiteten Plan im Kopf haben, wie er uns am besten unschädlich machen kann. Er weiß ja auch, wie man normalerweise gegen Maul- und Klauenseuche vorgeht. Wenn selbst ein nur geringfügiger Verdacht besteht, gibt es schon keine Möglichkeit zur Heilung mehr. Man tötet das befallene Tier und alle anderen, die sich in seiner Nähe aufgehalten haben. Blair ist Biologe und weiß dies. Er hat Angst vor diesem Ding, das wir aus dem Eis befreit haben, und die Lösung ist recht einfach. Er tötet jeden im Lager, bevor eine Seemöwe oder ein Albatros in die Nähe kommen kann – der Frühling ist nicht mehr fern, und so ist die Gefahr gebannt.“

Clarks Lippen verzogen sich zu einem schiefen Grinsen. „Das klingt alles ganz logisch. Wenn sich unsere Lage verschlimmern sollte, können wir ja Blair aus seinem Schuppen befreien. Dann müßten wir wenigstens keinen Selbstmord begehen. Wenn unsere Lage aussichtslos werden sollte, ist Selbstmord ja wohl die einzige Möglichkeit.“

Copper lachte leise. „Der letzte lebende Mensch in Big Magnet – wäre kein Mensch“, warf er ein. „Jemand muß diese Kreaturen töten, denn sie werden nicht den geringsten Drang verspüren, sich selbst umzubringen. Wir haben nicht genug Sprengstoff, um das ganze Lager auf einmal in die Luft zu jagen, und außerdem erscheint mir diese Methode noch recht fragwürdig. Ich habe so eine Ahnung, als ob auch die geringsten Fleischfetzen dieser Biester noch weiterleben könnten, auch wenn sie vom Körper abgetrennt sind.“

„Wenn sie ihr Protoplasma willentlich verformen können“, sagte Garry nachdenklich, „weshalb verwandeln sie sich dann nicht in Vögel und fliegen davon? Sie können ja alles Wissenswerte über Vögel nachlesen und ihre Molekularstruktur nachbilden, ohne selbst je einen Vogel gesehen zu haben. Oder weshalb bilden sie nicht einfach Vögel ihrer Heimatwelt nach?“

Copper schüttelte verneinend den Kopf und half Clark, den Hund freizulassen. „Die Menschheit hat jahrhundertelang Vögel studiert, um so eine Maschine entwickeln zu können, mit der man fliegen kann. Aber das funktionierte nicht; wir konnten erst Flugzeuge bauen, als wir nicht mehr einfach den Vogelflug nachahmten, sondern völlig neue Wege einschlugen. Um eine Grundidee zu wissen und die genauen Strukturen der Flügel und Knochen und Nervenbahnen zu kennen ist ein sehr großer Unterschied. Und was die Vögel der Heimatwelt des Untiers betrifft – vielleicht gelten dort ganz andere atmosphärische Bedingungen, so daß sie hier gar nicht fliegen könnten. Es mag ja sein, daß dieses Ding von einer Welt wie dem Mars stammt, wo eine so dünne Atmosphäre herrscht, daß Vögel dort überhaupt nicht fliegen können.“

Barclay kam herein und schleppte eine Rolle Halteseil von den Flugzeugen mit sich. „Wir sind fertig, Doc. Die kosmische Abteilung kann von innen nicht mehr geöffnet werden. Aber was soll aus Blair werden?“

Copper sah Garry an. „Wir haben keine biologische Abteilung. Ich habe keine Ahnung, wo wir ihn isolieren könnten.“

„Wie wäre es mit dem östlichen Lagerschuppen?“ sagte der Kommandant nach einigen Minuten Nachdenkens. „Kann Blair für sich selbst sorgen, oder müssen wir ihn verpflegen?“
„Er kann auf sich selbst aufpassen. Wir sind diejenigen, die sich vor ihm in acht nehmen müssen“, behauptete Copper grimmig. „Bringt einen Ofen, ein paar Kohlensäcke, genug Nahrungsmittel und ein paar Werkzeuge dorthin. Soviel ich weiß, haben wir den Schuppen seit dem letzten Herbst nicht mehr benutzt, nicht wahr?“

Garry nickte bestätigend. „Ja, das ist eine gute Idee. Dann stört er uns wenigstens nicht, wenn er laut werden sollte.“

Barclay legte seine Rollen beiseite und sagte zum Kommandanten: „So, wie er sich jetzt benimmt, wird er wohl sehr laut werden und uns jede Nacht in den Schlaf brüllen. Nur, daß wir seine Schlaflieder nicht hören wollen.“

„Was sagt er denn so?“ fragte Copper.

Barclay zuckte die Achseln. „Ich habe nicht sehr interessiert zugehört. Das kannst du ja tun, falls dir danach zumute ist. Aber ich bekam immerhin soviel mit, daß dieser verrückte Narr genau die gleichen Träume gehabt hat wie McReady, und noch ein paar mehr. Als wir von Lager II hierher fuhren, schlief er ja immerhin neben dem verdammten Ding. Er träumte, daß es noch lebte, und noch einige weitere Einzelheiten. Und, bei seiner Seele, ich glaube, er hatte die Vermutungen, daß das nicht nur Träume waren. Er wußte, daß das Ding die Fähigkeit hat, Gedanken zu lesen und zu projizieren. Das waren keine Träume, weißt du; das waren Gedanken, die das Ding ausstrahlte, als wäre es so etwas wie ein Fernsehsender. Eine Art von telepathischem Traumgeflüster. Deshalb wußte er auch so viel über die Kräfte des Ungeheuers. Ich glaube, Doktor, daß du und ich nicht so empfänglich für telepathische Impulse sind – wenn du überhaupt an Telepathie glaubst.“

„Daran muß ich wohl oder übel glauben“, seufzte Copper. „Dr. Rhine von der Duke University hat sie immerhin nachgewiesen und auch gezeigt, daß manche Menschen empfänglicher dafür sind als andere.“

„Nun, wenn du mehr über die Details wissen willst, dann geh und höre Blair zu. Er vertreibt all die Jungs aus dem Verwaltungsgebäude. Kinner rasselt mit seinen Pfannen oder schüttelt die Kohlen herunter. Wenn er das eine nicht kann, tut er das andere.“

„Ach ja, Kommandant, was sollen wir diesen Frühling tun, jetzt, da unsere Flugzeuge unbrauchbar sind?“

Garry seufzte. „Ich glaube, daß unsere Expedition ein Fehlschlag sein wird. Wir können es uns nicht leisten, unsere Kräfte aufzuteilen.“

„Sie wird kein Fehlschlag sein, wenn wir hier mit heiler Haut herauskommen – und überleben“, sagte Copper. „Unser Fund ist unschätzbar wertvoll – wenn wir ihn unter Kontrolle bekommen. Und die weitere Erforschung der kosmischen Strahlung, des Magnetismus und der Atmosphäre kann ja ungehindert weiterlaufen.“

Garry lachte trocken. „Ich denke gerade an unsere Funksprüche. Wir berichten der halben Welt davon, welche wunderbaren Ergebnisse unsere Arbeit bringt, und versuchen, unsere Jungs daheim – Byrd und Ellsworth – gehörig hinters Licht zu führen, indem wir vorgeben, wirklich zu arbeiten.“
„Wir können ruhig falsche Berichte abschicken“, pflichtete Copper ihm bei. „Aber unsere Jungs haben genug Erfahrung, um zu wissen, daß wir ihnen nicht grundlos falsche Forschungsergebnisse zuspielen, und werden warten, bis wir zurück sind, um dann über uns zu urteilen. Ich glaube, daß die Jungs, die erkennen, daß wir sie hinters Licht führen, auch Grips genug im Schädel haben, um bis zu unserer Rückkehr abzuwarten. Die, die nicht soviel Verstand haben, werden auch nicht hinter unsere falschen Werte kommen. Außerdem wissen wir inzwischen genug, um ziemlich gut bluffen zu können.“

„Wenigstens wissen wir so viel, daß sie nicht sofort eine Rettungsexpedition schicken. Sobald und falls wir hier mit heiler Haut herauskommen, können wir Captain Forsythe ja immer noch funken, daß er uns Ersatzmagneten schicken soll. Wenn nicht… aber daran wollen wir besser gar nicht denken.“

„Glaubst du, daß wir es schaffen werden?“ fragte Barclay. „Ich habe schon darüber nachgedacht, ob nicht ein hastiger Bericht über ein Erdbeben mit der rechten Lautuntermalung – wir können ja etwas Sprengstoff unter das Mikrofon legen und dann zünden – Wunder wirken würde. Aber natürlich können wir damit auf die Dauer unsere Jungs nicht von hier fernhalten, obwohl ein gut inszenierter Bericht, Hier spricht der letzte Überlebende!, sie täuschen könnte.“

Garry lächelte. „Habt ihr darüber schon gesprochen?“ meinte er.

Copper lachte auf. „Wie meinst du das, Garry? Ich bin sicher, daß wir es schaffen werden, das Untier zu besiegen. Aber es wird nicht leicht werden, fürchte ich.“

Clark, der den Hund streichelte, um ihn zu beruhigen, grinste den Arzt an. „Woher nimmst du diese Zuversicht, Doktor?“

8

Blair wanderte rastlos in dem kleinen Schuppen umher. Den vier Männern, die bei ihm waren, warf er nur hastige, unsichere Blicke zu: Barclay, einen Meter und achtzig groß und über einhundertzwanzig Pfund schwer, McReady, ein bronzefarbener Riese, Dr. Copper, gedrungen und voller Energie, und schließlich Benning, einen Meter siebzig groß und stark wie ein Bulle.

Der kleine Biologe lehnte sich gegen eine Wand des Schuppens; sein Hab und Gut lag in der Mitte des Raums, neben dem Ofen, so daß es eine Insel zwischen ihm und den vier Männern bildete. Seine Hände zitterten, bis er sie schließlich zu Fäusten ballte. Seine Augen hetzten mit ängstlichem Blick ständig umher, sein vogelähnlicher Kopf wackelte auf und ab.

„Ich will nicht, daß irgend jemand hierher kommt. Ich koche mir mein Essen selber“, sagte er nervös. „Kinner mag noch ein Mensch sein, aber trotzdem vertraue ich ihm nicht. Ich werde von hier wegkommen, und ich esse das Zeug das ihr mir kocht, auf keinen Fall. Ich will Dosen, ungeöffnete Dosen!“

„In Ordnung, Blair, wir bringen dir heute abend welche“, versprach Barclay. „Du hast ja Kohlen und kannst dir ein Feuer anzünden. Zum letzten Mal, Blair…“ Er machte einen Schritt nach vorn.

Blair zog sich sofort in die entfernteste Ecke zurück. „Raus hier! Laßt mich in Ruhe, ihr Monster!“ schrie der kleine Biologe und trommelte mit den Fäusten gegen die Wand. „Bleibt weg von mir… verschwindet… ich werde mich nicht imitieren lassen, ich nicht…“

Barclay entspannte sich und trat zurück. Dr. Cooper schüttelte den Kopf. „Laß ihn in Ruhe, Bar. Es ist einfacher für ihn, wenn er uns nicht sieht. Aber wir müssen die Tür hinter uns zusperren, das läßt sich wohl nicht vermeiden.“

Die vier Männer verließen den Raum. Sofort machten sich Benning und Barclay an die Arbeit. In der Antarktis waren Schlösser überflüssig, niemand hatte genug Privatbesitz, daß sie notwendig gewesen wären. Aber die Männer hatten dicke Schrauben in die Türbalken geschlagen und spannten nun ein besonders starkes Stahlkabel dazwischen. Mit einem Schraubenzieher und einer Säge fräste Barclay eine von außen zu öffnende und zu verschließende Öffnung, durch die man das Essen reichen konnte, ohne die Tür öffnen zu müssen. Zentimeterdicke Bretter, die sie zur Sicherheit vor die Tür hämmerten, verstärkten die Sicherung, so daß die Tür von innen nicht mehr zu öffnen war.

Blair wandelte ruhelos umher. Unter heftigem Keuchen und wilden Flüchen schleppte er dann irgend etwas zur Tür. Barclay öffnete die kleine Luke und warf einen Blick durch. Blair hatte das schwere Bettgestell vor die Tür geschleppt. Sie konnte nun ohne seine Zustimmung auch nicht mehr von außen geöffnet werden.

„Ich glaube, daß der arme Blair damit ganz richtig gehandelt hat“, seufzte McReady. „Wenn er ausbricht, wird er in seinem Wahn versuchen, uns so schnell wie möglich umzubringen. Aber auf unserer Seite der Tür gibt es etwas Schlimmeres als nur einen Verrückten. Wenn wir die Wahl haben, einen von den beiden sich austoben zu lassen, werde ich wahrscheinlich hierherkommen und die Verstrebungen lösen.“

„Wenn du mir rechtzeitig Bescheid gibst“, grinste Barclay, „werde ich dir zeigen, wie du sie ganz schnell von der Tür abbekommst. Aber laß uns jetzt zurückgehen.“

Die Sonne überzog den nördlichen Horizont noch immer mit vielfarbigem Licht, obwohl sie schon vor zwei Stunden untergegangen war. Das Schneegestöber war abgezogen, und der frische Schnee glitzerte unter den flammenden Farben in funkelnder Pracht. Im Norden begrenzten runde niedrige Hügel das Gesichtsfeld; das Magnetgebirge ragte kaum über das stürmische Schneemeer empor. Als die Männer sich daranmachten, das drei Kilometer entfernte Hauptlager zu erreichen, wirbelten ihre Skier kleine, helle Schneewölkchen empor. Der spinnenhafte Finger des Funksenders erhob sich wie eine schwarze Nadel gegen das monotone Weiß des antarktischen Kontinents. Der Schnee unter ihren Skiern war wie feiner Sand, hart und rein.

„Es wird Frühling“, sagte Benning verbittert. „Und was für einen Spaß wir haben werden! Mann, wie hatte ich mich darauf gefreut, endlich mal aus diesem vereisten Maulwurfshügel heraus zu können.“

„Wenn ich du wäre, würde ich es jetzt gar nicht erst versuchen“, riet ihm Barclay. „Kameraden, die sich in den nächsten Tagen von hier entfernen wollen, werden sehr schnell unbeliebt.“

„Dr. Copper, was macht das Hundeblut? Kommen Sie voran?“

„In dreißig Stunden? Nein, es liegen noch keine Ergebnisse vor. Ich habe dem Hund heute etwas von meinem Blut eingespritzt, aber ich kann mir gut vorstellen, daß wir noch fünf weitere Tage benötigen. Ich habe einfach nicht genug Informationen, um früher mit dem Test beginnen zu können.“

„Ich habe mich gefragt, ob Connant, wenn er wirklich eine Nachbildung ist, uns so schnell gewarnt hätte, nachdem das Ungeheuer geflohen war. Würde er dann nicht so lange gewartet haben, bis es eine viel bessere Ausgangsbasis gehabt hätte? Vielleicht hätte er uns gar nicht geweckt.“

„Das Ungeheuer ist selbstsüchtig. Du glaubst doch wohl nicht, daß dieses Ding irgend etwas wie ein Gerechtigkeitsempfinden hätte“, antwortete Dr. Cooper auf McReadys Frage. „Ich vermute, daß es aus vielen Einzelindividuen besteht und daß jedes Individuum zunächst einmal nur für sich selbst sorgt. Wenn Connant eine Nachbildung ist, hätte er uns auf jeden Fall warnen müssen, um seine eigene Haut zu retten. Aber seine Gefühle haben sich nicht geändert; entweder werden sie perfekt nachgeahmt, oder aber Connant ist noch er selbst. Aber natürlich würde eine perfekte Nachbildung von Connant genauso handeln, wie Connant es tun würde.“

„Sag mal, könnten Norris oder Van mit Connant nicht irgendeinen Test durchführen? Wenn das Ungeheuer intelligenter als ein Mensch ist, müßte es auch mehr von Physik verstehen als Connant, und vielleicht verrät es sich so“, schlug Barclay vor.

Cooper schüttelte müde den Kopf, „Wenn es Gedanken lesen kann, kann man ihm keine Falle stellen. Van hat das gestern abend auch schon vorgeschlagen. Er hoffte, von dem Ding die Lösungen von einigen physikalischen Problemen zu bekommen, an denen er brennend interessiert ist.“

„Die Idee, immer nur vier Männer zusammen etwas tun zu lassen, verschönert das Leben ungemein“, sagte Benning mit einem Blick auf seine Gefährten. „So kann jeder von uns ein Auge auf die anderen werfen, um ganz sicherzugehen, daß sie nichts… Ungehöriges tun. Mann, was sind wir doch vertrauensvoll geworden! Jeder beäugt seinen Nächsten mit unverhohlenem Argwohn und Mißtrauen. Jetzt verstehe ich langsam, was Connant meinte, als er sagte: ‚Ich wünschte, ihr könntet eure Augen sehen.’ Das müßten wir wirklich einmal. Jeder von euch hat einen ‚Beobachte-genau-die-drei-anderen’-Blick. Aber ich glaube, da bin ich keine Ausnahme.“

„Soweit wir wissen, ist das Ungeheuer tot. Nur gegen Connant besteht ein leiser Verdacht, gegen niemanden sonst. Die Vierer-Gruppen sind lediglich eine Vorsichtsmaßnahme“, erklärte McReady.

„Ich warte nur darauf, daß Garry auch vier von uns zusammen in eine Koje steckt“, seufzte Barclay. „Wenn ich bisher auch nicht viel Privatleben gehabt habe… dann ist es ganz aus.“

Niemand beobachtete das kleine, halb mit einer strohfarbenen Flüssigkeit gefüllte Reagenzgläschen genauer als Connant. Dr. Copper gab fünf Tropfen der klaren Lösung, die er aus Connants Blut zubereitet hatte, hinein, schüttelte es vorsichtig und setzte es dann in einen mit klarem, heißem Wasser gefüllten Behälter. Ein Thermometer zeigte die Temperatur des Blutes an, während ein kleiner Thermostat geräuschvoll klickerte und das Kontrollämpchen der elektrischen Kochplatte zu flackern begann, als diese sich erhitzte.

Dann bildeten sich kleine weiße Niederschlagsflocken, die in der strohfarbenen Flüssigkeit wie Schneeflocken aussahen.

„Mein Gott“, sagte Connant. Er ließ sich tief in sein Bett fallen und weinte wie ein Kleinkind. „Sechs Tage“, schluchzte er. „Sechs Tage in diesem Zimmer, in der Angst, daß dieser verdammte Test lügen könnte…“

Garry ging zu ihm hinüber und legte ihm den Arm um die Schultern.

„Er konnte nicht lügen“, sagte Dr. Copper. „Der Hund war menschenimmun, und das Serum reagierte.“

„Er… er ist okay?“ flüsterte Norris. „Dann… dann ist das Untier tot und wird es auch immer bleiben?“

„Er ist ein Mensch“, sagte Copper definitiv, „und das Untier ist tot.“

Kinner brach in lautes, hysterisches Lachen aus. McReady fuhr herum und schlug ihm ins Gesicht – links. Rechts, links, rechts. Der Koch lachte, gurgelte unterdrückt auf, schluchzte einen Moment lang und setzte sich dann, sich die Wangen reibend, wieder auf. „Ich hatte Angst. Gott im Himmel, was hatte ich für eine Angst!“

Norris lachte bitter. „Dachtest du, daß wir keine Angst gehabt hätten, du Affe? Und Connant? Er hatte doch wirklich Grund, Angst zu haben!“

Im Verwaltungsgebäude wurde die Erleichterung deutlich spürbar. Lachen erklang, und ein paar Männer scherzten mit Connant herum. Ihre Stimmen klangen freundlich und gelöst, waren aber unnatürlich laut. Jemand machte einen Vorschlag, und ein Dutzend Männer rannte los, um ihre Skier zu holen. Blair! Blair könnte sich wieder erholen. Nervös fummelte Dr. Copper an seinen Reagenzgläsern und an den verschiedenen Lösungen herum. Draußen klapperten die Skier derjenigen, die Blair die frohe Nachricht überbringen wollten. Unten am Ende des Stollens heulten die Hunde fröhlich auf, als die Atmosphäre der Erleichterung auch zu ihnen vordrang.

Dr. Copper beschäftigte sich immer noch mit seinen Reagenzgläsern. McReady bemerkte es zuerst, daß der Arzt zwei Röhrchen anstarrte, ein schneeweißes Gesicht hatte und aus seinen schreckgeweiteten Augen Tränen der Verzweiflung rannen.

Als Dr. Copper aufschaute, war es McReady, als dränge ihm ein eisiges Messer ins Herz und er fröre daran fest.

„Garry“, ächzte der Arzt dumpf, „Garry, um Gottes Willen, komm her!“

Als der Kommandant neben ihn trat, wurde es plötzlich still im Raum. Connant schaute auf und erstarrte.

„Garry, der Test beweist gar nichts. Gewebeschichten des Ungeheuers reagieren auch auf die Lösung. Der Test beweist nichts, bis auf die Tatsache, daß der Hund auch gegen das Untier immun war. Wir beide haben unser Blut zur Verfügung gestellt, und einer von uns beiden, Garry – einer von uns beiden ist auch ein Monstrum!

9

„Bar, ruf die Männer zurück, bevor sie Blair etwas sagen“, befahl McReady ruhig. Barclay ging hinaus. Die Männer, die nun alle wieder in dumpfes Schweigen verfallen waren, hörten seine leisen Rufe, dann kam er zurück.

„Sie kommen“, sagte er. „Ich habe ihnen noch nichts gesagt, nur ausgerichtet, daß Dr. Copper darum bittet, Blair nicht zu informieren.“

„McReady“, seufzte Garry, du hast jetzt das Kommando. Mag Gott dir helfen. Ich kann es nicht länger führen.“

Der bronzefarbene Riese nickte langsam und sah den Kommandanten an.

„Ich könnte ein Monstrum sein“, fügte Garry hinzu. „Ich weiß zwar, daß ich keins bin, aber ich kann es nicht beweisen. Dr. Coppers Test hat nichts genutzt, aber die Tatsache, daß er die Nutzlosigkeit nachwies, obwohl das den Untieren ganz und gar nicht gelegen kommen dürfte, spricht dafür, daß er noch ein Mensch ist.“

Copper rutschte auf dem Stuhl hin und her. „Ich weiß ebenfalls, daß ich ein Mensch bin, aber ich kann es genausowenig beweisen. Da der Test nicht lügen kann, muß einer von uns beiden ein Lügner sein. Ich habe nachgewiesen, daß der Test sinnlos ist, aber Garry hat dies nun auch eingestanden, und das hätte eine Nachbildung wohl kaum getan. So geht es rund und rund und rund und rund…“

Dr. Coppers Kopf, und dann sein ganzer Körper, bewegte sich in dem Rhythmus seiner Worte. Dann lehnte er sich zurück und brach in gellendes Gelächter aus. „Der Test hat nicht unbedingt nachgewiesen, daß einer von uns ein Monstrum ist! Das hat er ganz und gar nicht nachgewiesen. Ha, wir beide können Monstren sein. Wir sind alle Monstren, jeder von uns, Connant und Garry und ich, und alle anderen auch!“

„McReady“, sagte der blondbärtige Chefpilot Van Wall leise, „du hast doch deine Arztausbildung abgeschlossen und dann erst auf Meteorologie umgesattelt, nicht wahr? Könntest du nicht irgendeinen Test ausarbeiten?“

McReady trat neben Copper, nahm ihm die Injektionsnadel aus der Hand und wusch sie sorgfältig in fünfundneunzigprozentigem Alkohol. Mit steinernem Gesicht saß Garry auf der Bettkante und beobachtete Copper und McReady. „Was Copper gesagt hat, könnte stimmen“, meinte McReady. „Van, hilfst du mir mal eben? Danke.“ Er setzte die Spritze auf dem Oberschenkel an. Das Gelächter des Mannes hörte nicht auf, verwandelte sich aber in ein Schluchzen und wich schließlich tiefen Atemgeräuschen, als das Morphium zu wirken begann.

Die Männer, die Blair benachrichtigen wollten, standen am anderen Ende des Raums und legten ihre Skier ab. Connant hielt in jeder Hand eine angezündete Zigarette. An der einen zog er geistesabwesend und fuhr fort, den Fußboden anzustarren. Als die Glut der ersten Zigarette seine Finger erreichte, sah er sie einen Moment lang einfältig an, dann schleuderte er sie weg und trat sie aus.

„Dr. Copper“, wiederholte McReady, „könnte recht haben. Ich weiß, daß ich ein Mensch bin, aber natürlich kann ich das nicht beweisen. Nur, um mir selbst Klarheit zu verschaffen, wiederhole ich den Test. Wenn irgendeiner von euch das gleiche zu tun wünscht, bin ich gerne bereit dazu.“

Zwei Minuten später begann sich in McReadys Reagenzglas ein weißer Niederschlag zu bilden. „Das Serum reagiert also auch auf menschliches Blut. Das bedeutet, daß die nicht unbedingt alle beide Monstren sein müssen.“

„Das habe ich auch nie angenommen“, seufzte Van Wall erleichtert. „Denn das würde auch dem Ungeheuer nicht recht sein; wenn wir völlige Sicherheit hätten, könnten wir sie beide töten. Aber warum bringen die Nachbildungen uns eigentlich nicht um?“

McReady schnaubte unwillig und lachte dann auf. „Ganz einfach, mein lieber Watson. Das Ungeheuer will sämtliche vorhandenen Lebensformen übernehmen. Einen Leichnam kann es anscheinend nicht mehr verwerten. Also wartet es einfach, bis eine günstige Gelegenheit kommt. Wir Menschen befinden uns also in der Defensive.“

Kinner erschauerte. „He, hör doch mal zu, Mann. Würde ich es eigentlich selbst wissen, wenn ich ein Monstrum wäre? Würde ich wissen, daß das Ungeheuer mich schon übernommen hat? Oh mein Gott, vielleicht bin ich sogar schon ein Ungeheuer und weiß es nur noch nicht.“

„Du würdest es wissen“, gab McReady kühl zurück.

„Aber wir wüßten es nicht“, sagte Norris mit halb hysterischem Lachen.

McReady betrachtete das übriggebliebene Serum. „Da fällt mir etwas ein… Für eins ist dieses verdammte Zeug doch noch nützlich“, sagte er nachdenklich. „Clark und Van, würdet ihr mir helfen? Der Rest von euch bleibt besser hier beisammen. Und paßt schön auf euren Nachbarn auf“, sagte er bitter. „Aber laßt es zu keiner Schlägerei kommen. Seht also zu, daß ihr keinen Ärger bekommt.“

McReady ging den Stollen entlang, der zu den Hundezwingern führte, gefolgt von Clark und Van Wall. „Brauchst du mehr Serum?“ fragte Clark.

McReady schüttelte den Kopf. „Ich will noch ein paar Tests durchführen. Schließlich gibt es hier auf der Station noch fünf Kühe, einen Stier und fast siebzig Hunde. Das Zeug reagiert ja nur auf das Blut von Menschen und… Monstern.“

Als McReady das Verwaltungsgebäude wieder betrat und sich dort die Hände wusch, fragte Connant ihn brüllend: „Was hast du gemacht? Weitere Hunde immunisiert?“

Clark gluckste vor Lachen. „Immunisieren, pah! Daß ich nicht lache!“

„Das Ungeheuer“, erklärte Van Wall ruhig, „geht ganz logisch vor. Unser immunisierter Hund war in Ordnung, und wir entnahmen ihm noch etwas Blut. Aber wir werden keine Tests mehr durchführen können.“

„Kannst du nicht einem anderen Hund das Blut eines Menschen einspritzen?“ fragte Norris stockend.

„Es gibt keine Hunde mehr“, sagte Van Wall leise. „Und auch kein Vieh mehr.“

„Wir haben keine Hunde mehr?“ Benning setzte sich verblüfft.

„Sie werden recht ungemütlich, sobald sie erst einmal nachgebildet worden sind“, fuhr Van Wall fort. „Aber sie werden auch langsamer. Und deine provisorische elektrische Gabel, Barclay, arbeitet sehr schnell. Wir haben nur noch einen Hund übrig – den immunisierten. Das Ungeheuer hat ihn uns überlassen, damit wir mit unseren Tests herumspielen konnten. Die anderen…“ Er räusperte sich und mußte sich die schweißnassen Hände an der Hose abwischen.

„Die Kühe…“ Kinner mußte schlucken.

„Sie auch. Es sah merkwürdig aus, als sie unter den Starkstromstößen zu schmelzen begannen. Die Nachbildungen des Untiers können nicht fliehen, wenn sie angekettet oder angebunden sind, aber trotzdem mußte es sie imitieren.“

Kinner erhob sich langsam. Sein Blick schweifte im Raum umher, und er zitterte, als er die Milchkanne neben dem Ofen erblickte. Schritt für Schritt näherte er sich der Tür, und sein Mund schnappte auf und zu, wie bei einem Fisch, den man aus dem Wasser gezogen hat.

„Die Milch…“, flüsterte er. „Ich habe die Kühe vor einer halben Stunde gemolken…“ Sein Flüstern verwandelte sich in einen lauten, langgezogenen Schrei, als er die Türe aufriß und nach draußen stürzte. Ohne warme Oberbekleidung war er in dem Schnee rettungslos verloren.

„Jetzt ist er völlig durchgedreht“, sagte Van Wall, „aber es kann auch sein, daß soeben ein Monstrum zu fliehen versucht. Nehmt auf alle Fälle eine Lötlampe mit. Immerhin hat er ja keine Skier.“

Die körperliche Bewegung bei der Jagd auf Kinner belebte die Männer; sie waren froh, endlich etwas zu tun zu haben. Drei Männer waren inzwischen krank geworden. Norris lag flach auf dem Rücken und starrte mit grünlichem Gesicht die Unterseite der Koje über sich an.

„Mac, wie lange sind die Kühe schon keine Kühe mehr gewesen?“

McReady hob hilflos die Achseln. Er nahm ein Reagenzglas mit Serum und untersuchte die Milch. Ihre trübe Farbe erschwerte die Arbeit, aber schließlich stand er wieder auf und schüttelte den Kopf. „Die Tests verliefen alle negativ. Das bedeutet, daß die Kühe vor einer Stunde noch Kühe oder aber so perfekt nachgebildet waren, daß ihre Milch durch und durch echt ist.“

Copper bewegte sich ruhelos im Schlaf und gab ein gurgelndes Geräusch von sich, eine Mischung aus Gelächter und Schnarchen. Die Männer blickten zu ihm hinüber. „Würde Morphium ein Monster…“, frage einer von ihnen.

„Das weiß der Himmel allein“, gab McReady zurück. „Wenn ich mich aber richtig entsinne, wirkt es auf jedes irdische Lebewesen.“

Connant fuhr plötzlich von seiner Lagerstätte auf. „Mac!“ sagte er aufgeregt, „die Hunde müssen Fleischfetzen von dem Biest gefressen haben, und die müssen an ihrer Umwandlung schuld sein. Die Hunde waren in der Nähe des Monsters, ich war aber eingesperrt. Beweist das nicht, daß…“

Van Wall machte eine verneinende Geste. „So leid es mir tut, das beweist keineswegs, daß du noch ein Mensch bist. Das beweist nur, was du nicht getan haben kannst.“

„Damit kommen wir nicht weiter“, seufzte McReady. „Wir sind völlig hilflos. Wir wissen so furchtbar wenig, und bald werden wir schon nicht mehr klar denken können, Hast du je ein weißes Blutkörperchen beobachtet, das die Ader eines Blutgefäßes durchdringt? Nein? Es streckt einfach seine Pseudofüßchen aus, und dann ist es durch die Zellwand hindurch.“

„Ah“, sagte Van Wall ärgerlich, „jetzt verstehe ich. Das Vieh schmolz zusammen, weil es einfach durch die Wand dringen wollte, eine Lache aus Plasma, der winzige Ritzen Platz genug bieten, und danach hätte sich das Monstrum auf der anderen Seite wieder zusammenfügen können. Seile halten die Untiere also nicht.“

„Die beste Möglichkeit, herauszufinden, ob ein Mensch noch ein Mensch oder eine Nachbildung ist, dürfte wohl sein, ihm eine Kugel durch das Herz zu jagen. Wenn er daran nicht stirbt, ist er eine Nachbildung.“

„Jetzt haben wir keine Hunde und keine Kühe mehr“, sagte Garry leise. Das Ungeheuer muß jetzt Menschen imitieren. Aufpassen allein wird uns nichts helfen. Die Methode klingt ganz gut, Mac, aber ich glaube kaum, daß die Jungs sie besonders mögen werden.

10

Als Van Wall, Barclay, McReady und Benning hereinkamen, schaute Clark von dem Ofen hoch. Die vier Männer klopften sich den Schnee aus den Kleidern. Die anderen Männer, die sich im Verwaltungsgebäude zusammenpferchten, fuhren mit ihrer bisherigen Beschäftigung fort, spielten Schach, Poker oder lasen. Ralsen reparierte auf den Tisch einen Schlitten, Van und Norris steckten die Köpfe über Papierstößen mit Auswertungen der Magnetfeldmessungen zusammen, und Harvey murmelte mit monotoner Stimme Zahlenkolonnen vor sich hin, die er von Listen ablas. Dr. Copper schnarchte leise in seiner Koje. Garry arbeitete mit Dutton an dem Funkspruch, den sie bald abschicken mußten, und Connant beanspruchte den Großteil des zweiten Tisches für seine Strahlungsdiagramme.

Zwei Türen weiter redete Kinner vor sich hin; er war zu leise, als daß die Männer genau hätten verstehen können, was er sagte. Clark setzte einen Wasserkessel auf den Ofen und winkte McReady zu. Der Meteorologe schlenderte langsam zum Ofen herüber.

„Mir macht das Kochen zwar nichts aus“, sagte Clark nervös, „aber dieser verdammte Kinner regt mich furchtbar auf. Wir haben doch beschlossen, daß es sicherer wäre, wenn wir ihn in die Strahlenabteilung sperrten.“

McReady nickte zur Tür. „Ich kann Kinner zwar ein Betäubungsmittel geben, aber unser Vorrat an Morphium ist nicht unerschöpflich. Kinner läuft immerhin nicht Gefahr, verrückt zu werden, er ist nur hysterisch.“

„Aber uns treibt sein Gemurmel in den Wahnsinn. Seit dreieinhalb Stunden geht das nun schon so, und irgendwo ist eine Grenze.“

Garry kam zu ihnen herübergeschlendert. Einen Augenblick lang erkannte McReady in Clarks Augen die aufblitzende Furcht und eiskalten Schrecken, und da wußte er, daß er genauso reagiert hatte. Entweder Garry oder Copper – einer von ihnen war mit Sicherheit ein Monstrum.

„Es wäre besser, wenn ihr mit dem Gemurmel aufhören würdet, Mac“, sagte Garry. „Wir sind schon aufgeregt genug. Es ist sicherer für Kinner, wenn er dort bleibt, wo er ist. Wir anderen halten uns ja auch gegenseitig unter Beobachtung.“ Garry erschauderte leicht. „Und in Gottes Namen, versucht, irgendeinen Test auszuarbeiten, der mit Sicherheit funktioniert.“

McReady seufzte. „Allein oder nicht, jeder ist nervös. Blair hat die Tür zum Schuppen vollends verbarrikadiert und will sie unter keinen Umständen öffnen. Er sagte, er habe Essen genug, und brüllte dann nur: ‚Verschwindet, ihr Monster, haut ab! Ich lasse mich nicht nachbilden! Ich nicht! Ich werde der Rettungsmannschaft alles erzählen, sobald sie erst hier ist. Und jetzt verschwindet!’ Na, und da gingen wir wieder.“

„Gibt es denn wirklich keinen anderen Test?“ sagte Garry eindringlich.

McReady zuckte die Achseln. „Copper hatte ganz recht. Der Serumtest hätte funktionieren können, wenn er nicht… vergiftet worden wäre. Aber jetzt haben wir nur noch einen Hund übrig, und der ist auf eine bestimmte Reaktion festgelegt.“

„Wie wäre es mit einem chemischen Test?“

„Dafür ist unsere Chemie nicht gut genug“, verneinte McReady. „Du weißt ja, daß ich es schon mit dem Mikroskop versucht habe.“

Garry nickte bestätigend. „Der nachgebildete und der echte Hund waren identisch. Aber wir müssen irgend etwas unternehmen. Nach dem Abendessen werden wir weitersehen.“

Van Wall war geräuschlos zu ihnen getreten. „Wir wechseln uns jetzt mit dem Schlafen ab. Die eine Hälfte der Jungs schläft, die andere wacht. Ich frage mich, wie viele von uns schon zu Monstern geworden sind. Die Hunde waren ja allesamt Nachbildungen. Wir dachten, daß wir sicher wären, aber irgendwie hat es Copper oder dich erwischt.“ Van Walls Augen blickten ins Leere. „Vielleicht hat das Untier wirklich alle von euch erwischt, und ich bin der letzte Mensch. Nein das ist nicht gut möglich. Dann würdet ihr mich anspringen und festhalten. Ich wäre völlig hilflos. Wir Menschen müssen noch in der Überzahl sein. Aber…“ Er führte den Satz nicht zu Ende.

McReady lachte laut auf. „Du redest schon fast wie Norris. ‚Wenn noch einer von uns übernommen wird, könnte das das Gleichgewicht der Kräfte stören.’ Ich glaube nicht, daß das Untier überhaupt kämpfen wird. Auf seine Art und Weise muß es sehr friedfertig sein. Es brauchte auch nie zu kämpfen, da es immer erreichte, was es wollte – wenn auch auf andere Art.“

Van Walls Gesicht bekam einen leichten Grünstich. „Du meinst, daß die Nachbildungen vielleicht schon in der Überzahl sein könnten und nur abwarten, einfach abwarten, bis der letzte von uns einschläft? Mac, bemerkst du ihre Blicke, wie sie uns alle anstarren?“

Garry seufzte. „Ihr habt hier vier Stunden gesessen und nicht darauf geachtet, wie sich in ihren Augen der innere Kampf widerspiegelte, wie sie versucht haben zu verarbeiten, daß entweder Copper oder ich – oder vielleicht auch wir beide – Ungeheuer sind, Nachahmungen, Monstren.“

Clark wiederholte seine Bitte. „Bringst du diesen verrückten Vogel nun zum Schweigen oder nicht? Er macht mich noch ganz krank. Sorge wenigstens dafür, daß er etwas leiser redet.“

„Betet er immer noch?“ fragte McReady.

„Ja“, bestätigte Clark. „Seit vier Stunden betet er ununterbrochen. Wenn es ihn erleichtert – ich störe mich nicht am Beten selbst, aber daran, daß er Psalme und Hymnen singt und die Gebete laut hinausschreit. Er glaubt, daß Gott bis in unseren Maulwurfshügel hineinhören kann.“

„Das kann Gott wohl kaum“, meinte Barclay. „Sonst hätte er uns schon lange dabei geholfen, dieses Ungeheuer zu vernichten.“

„Wenn er nicht bald die Schnauze hält, werde ich an ihm den Test ausprobieren, den du vorgeschlagen hast“, sagte Clark grimmig. „Wenn man ihm eine Axt in den Kopf rammt, dürfte das Ergebnis wohl genauso gut sein, wie wenn man ihm eine Kugel ins Herz schießt.“

„Koche du lieber weiter. Ich werde sehen, was ich tun kann. Vielleicht gelingt es mir, ihn zu beruhigen.“ McReady schlurfte müde zu der Ecke, die Copper als Apotheke eingerichtet hatte. Drei große Kästen aus rohen Brettern, von denen zwei verschlossen waren, bildeten die Vorratskammer für die Medikamente des Lagers. Vor zwölf Jahren hatte McReady seinen Doktor in Medizin gemacht und als Internist zu arbeiten begonnen, hatte sich dann aber der Meteorologie verschrieben. Copper war ein ausgezeichneter Mediziner, der seinen Beruf von der Pike auf gelernt hatte und auch die neuesten Forschungsergebnisse berücksichtigte. Mehr als die Hälfte der Medikamente in den Kästen waren McReady völlig unbekannt, und von vielen anderen hatte er ihr Anwendungsgebiet vergessen. Hier hatte er keine umfangreiche Fachbibliothek zur Hand, keine medizinischen Journale, aus denen er sein Wissen hätte auffrischen können. Die wenigen Bücher, die Copper mit hierhergebracht hatte, halfen ihm kaum weiter. Jedes Buch mußte auf dem Luftweg hierher transportiert werden, Bücher sind schwer, und der Etat der Expedition war begrenzt gewesen.

McReady versuchte es mit einem Barbiturat. Barclay und Van Wall begleiteten ihn. Niemand durfte sich jetzt irgendwo in Big Magnet allein aufhalten.

Als sie zurückkamen, hatte Ralsen den Schlitten beiseite gelegt, und die anderen hatten ihr Pokerspiel beendet. Clark gab das Essen aus. Das Klicken der Löffel gegen die Teller und die Essensgeräusche waren die einzigen Anzeichen dafür, daß es noch Leben in der Station gab. Als die drei zurückkamen, sagte niemand ein Wort, aber die Männer blickten sie alle fragend an, während sie methodisch weiterkauten.

Plötzlich erstarrte McReady. Mit harter, abgehackter Stimme schrie Kinner eine Hymne in die Welt hinaus. Mit verzerrtem Grinsen sah er Van Wall an und schüttelte den Kopf. „O nein!“

Van Wall fluchte erbittert und setzte sich dann zu Tisch. „Wir müssen uns die Ohren zustopfen, bis ihm die Stimme versagt. Schließlich kann er ja nicht ewig so weiterschreien.“

„Er hat eine blecherne Kehle und einen eisernen Kehlkopf“, sagte Norris wütend. „Wenn ihm der Hals nicht verrostet, wird er bis zum Jüngsten Tag so schreien.“

Die Männer schwiegen. Zwanzig Minuten lang aßen sie, ohne dabei nur ein einziges Wort zu sprechen. Dann sprang Connant in hellem Zorn auf. „Ihr sitzt da wie versteinerte Götzen. Schweigt nur vor euch hin. Aber eure Augen! Der Ausdruck eurer Augen. Sie rollen wie Glasmurmeln, die über einen Tisch kullern. Sie zwinkern und blinzeln und starren – und flüstern. Könnt ihr nicht einmal irgendwo anders hinschauen? Hör mal, Mac, du hast doch jetzt das Kommando. Du kannst doch anordnen, daß für den Rest der Nacht Filme gezeigt werden. Wir haben doch noch einige, die wir uns aufsparen wollten. Wofür eigentlich? Wer soll sie sich noch ansehen? Wir sollten uns die Filme ansehen, solange wir das noch können, dann starren wir uns wenigstens nicht mehr gegenseitig an.“

„Eine gute Idee, Connant. Ich für meinen Teil wäre durchaus dafür.“

„Und dreht den Ton so laut auf, wie es nur eben geht. Vielleicht werden dann die ewigen Hymnen übertönt“, schlug Clark vor.

„Aber dreht das Licht nicht ganz ab“, sagte Norris leise.

„Wir werden das Licht löschen“, widersprach McReady, „und alle unsere Zeichentrickfilme zeigen. Ihr habt doch nichts dagegen, wenn ich auch die alten noch einmal vorspiele?“

„Na herrlich – Onkel Donald und die Panzerknackerbande in der Antarktis. Das wird unsere Stimmung etwas aufhellen.“

McReady drehte sich nach dem Mann um, der das gesagt hatte. Es war Caldwell, ein schlanker Neuengländer, der gemächlich an seiner Pfeife sog und McReady spöttisch ansah. Der bronzefarbene Riese mußte unwillkürlich lachen. „Na gut, Bart, du hast gewonnen. Vielleicht ist unsere Lage doch zu ernst, als daß wir uns Filme mit Popeye und trickreichen Entchen anschauen könnten.“

„Wir können ja ‚Bäumchen wechsle dich’ spielen. Oder ‚Was bin ich’, das wäre noch besser. Wir zeichnen ein paar Linien auf ein Stück Papier, und dann malen wir Tiere in zwei Spalten hinein. Über der einen steht ein ‚M’, über der anderen ein ‚U’; ‚M’ für ‚Menschlich’ und ‚U’ für ‚Unbekannt’. Das müßte doch so richtig Spaß machen. ‚Was bin ich’… Solch ein Spiel wäre doch schöner als Filme anzusehen. Zum Schluß zeichnen wir dann noch eine Linie, mit der wir die ‚M’-Tiere von den ‚U’-Tieren trennen.“

„Solch einen Bleistift hätte McReady sehr gern zur Verfügung“, antwortete Van Wall ruhig. „Aber wir haben drei verschiedene Arten von Tieren hier. Die dritte Gruppe beginnt mit ‚V’. Und davon können wir überhaupt keine mehr gebrauchen.“

„Verrückte, meinst Du. Na dann. Komm, Clark, ich helfe dir mit dem Wegräumen der Töpfe, damit wir mit dem Beep-Beep endlich anfangen können.“ Caldwell stand unlustig auf.

Während die anderen das Verwaltungsgebäude reinigten und die Töpfe und Teller spülten, gingen Dutton, Barclay und Benning schweigend ihrer Arbeit nach, den Projektor aufzubauen und die Filme vorzubereiten. McReady schlenderte zu Van Wall hinüber und lehnte sich an ein Kojengestell. „Ich habe mich gefragt, Van“, sagte er unbehaglich grinsend, „ob ich meine Überlegungen vor den Jungs ausbreiten soll oder nicht. Denn diese ‚U’-Tiere, wie Caldwell sie bezeichnete, können ja Gedanken lesen. Ich habe da so eine Idee, und vielleicht funktioniert sie ja auch. Aber bevor ich dich damit belästige, muß ich noch etwas nachdenken. Zeige also die Filme, während ich mich ins Bett lege, um in Ruhe nachzudenken.“

Van Wall schaute flüchtig auf und nickte. Von den Kojen aus konnte man die Filme gut verfolgen. „Vielleicht solltest du mir doch sagen, was du vorhast. Wahrscheinlich kennen außer dir nur die Nachbildungen den Plan, und wenn es soweit ist, könntest du schon… einer von ihnen sein.“

„Ich brauche nicht mehr viel Zeit, falls meine Vermutung stimmen sollte. Aber mein Test hat nichts mit Hunden zu tun wie der von Copper. Vielleicht legen wir den Doc am besten in die Koje über mir, aber er wird wohl die Filme nicht sehen können.“

Trotzdem verfrachteten die beiden den immer noch schnarchenden Arzt in die betreffende Koje. McReady lehnte sich zurück und dachte konzentriert nach. Noch war er sich über die genaue Methode und über die Aussichten des Tests im unklaren. Er bekam kaum mit, daß die anderen sich setzten und die Filme ansahen. Auch Kinners wirre, laut gerufene Gebete und Hymnen-Gesänge störten ihn nur so lange, bis der Ton einsetzte. Die Lampen wurden gelöscht, aber der Film gab noch genügend Licht, so daß es nicht völlig dunkel war und die Männer sich gegenseitig im Auge behalten konnten. Unruhig bewegten sie sich in ihren Stühlen. Kinner betete immer noch, und seine Stimme übertönte das Rasseln des Filmprojektors. Dutton drehte den Ton lauter.

Kinners Stimme war so lange zu hören gewesen, daß McReady zuerst gar nicht bemerkte, als sie verstummt war. Bis kurz zuvor hatte er die Gebete, da er auf der Koje direkt neben der Korridortür lag, ziemlich gut verstehen können, trotz des Lärms, den der Filmprojektor machte. Ganz plötzlich bemerkte er, daß Kinner schwieg.

„Dutton, stell den Ton leiser“, rief McReady und richtete sich auf. Für einen Moment flackerten die Filmbilder wie lautlose Schemen über die Leinwand, und der Wind, der auf der Oberfläche über sie dahinjagte, blubberte traurig im Ofenrohr. „Kinner ist still“, sagte McReady leise.

„Um Gottes Willen, schalte den Ton wieder ein, vielleicht hat er nur mit dem Beten aufgehört, weil er zuhören wollte“, rief Norris.

McReady ging den Korridor hinab. Barclay und Van Wall folgten ihm auf dem Fuße. Als Barclay durch den Strahl des Projektors ging, tanzten auf seiner grauen Unterwäsche die Zeichentrickfiguren. Dutton schaltete das Licht ein, und die Bilder verschwanden.

Norris stand noch immer neben der Tür, und Garry saß in einer Koje neben der Tür. Clark machte ihm Platz. Die anderen Männer blieben auf ihren Stühlen sitzen, nur Connant schritt in ständig gleichbleibendem Rhythmus auf und ab.

„Wenn du so weitermachst, Connant“, sagte Clark zornig, bekommst du Ärger mit uns, egal, ob du nun ein Monstrum oder ein Mensch bist. Kannst du dich nicht endlich auf deinen Arsch setzen?“

Mit einem gemurmelten „Tschuldigung“ setzte der Physiker sich nieder und starrte angestrengt auf seine Zehenspitzen. Es dauerte fast fünf Minuten, in denen der Wind die einzige Geräuschkulisse bildete, bis McReady wieder zurückkam.

„Wir haben wohl noch nicht genug Ärger“, sagte er. „Irgendeiner von euch wollte uns wohl einen Gefallen tun. Kinner hörte zu singen auf, weil ein Messer in seiner Brust steckt. Jetzt gibt es nicht nur Monster und Verrückte in der Station, sondern auch noch einen Mörder. Na, fallen dir noch ein paar Buchstaben ein, Caldwell? Wenn ja, würde mich das gar nicht überraschen.“

11

„Ist Blair ausgebrochen?“ fragte jemand.

„Wenn er inzwischen nicht fliegen gelernt hat, ist er noch in seinem Schuppen“, antwortete Van Wall. „Wenn wir herausfinden wollen, wer so nett war, Kinner zum Schweigen zu bringen, wird uns das wohl weiterhelfen.“ Van Wall hob ein fast zwanzig Zentimeter langes Messer mit dünner Klinge hoch. Der hölzerne Handgriff war halb verkohlt, und das Muster des Ofenrostes hatte sich in ihn hineingebrannt.

„Das ist mir passiert“, sagte Clark. „Ich habe nicht mehr an das verdammte Ding gedacht und ließ es auf dem Ofen liegen.“

„Ich frage mich, wie viele von uns eigentlich Monstren sind“, sagte Benning und schaute sich im Kreis um. „Wenn jemand von seinem Stuhl verschwinden konnte, sich hinter der Leinwand zum Ofen geschlichen hat, dann zur kosmischen Abteilung ging und wieder zurückkam… Er kam doch zurück, oder? Ja, es sind alle hier. Nun, so könnte es gewesen sein.“

„Es ist doch möglich“, schlug Garry vor, „daß eine Nachbildung den Mord begangen hat.“

„Wir haben doch heute nachmittag festgestellt, daß das Monster nur noch Menschen imitieren kann. Würde es etwa seinen… seinen Vorrat verringern?“ hielt Van Wall dagegen. „Nein, wir haben es mit einem gewöhnlichen, lausigen Mörder zu tun. Normalerweise würden wir ihn einen ‚unmenschlichen Mörder’ nennen, aber in dieser Situation müssen wir differenzieren. Wir haben jetzt nichtmenschliche Mörder und menschliche Mörder auf der Station. Oder zumindest einen Mörder.“

„Es gibt nun einen Menschen weniger“, meinte Norris. „Vielleicht sind die Nachbildungen nun in der Überzahl.“

„Das ist doch völlig unwichtig“, seufzte McReady. Zu Barclay gewandt sagte er: „Bar, wo ist deine elektrische Gabel? Ich will völlig sichergehen, daß…“

Während McReady und Van Wall zur kosmischen Abteilung hinübergingen, holte Barclay die Waffe. Eine halbe Minute später hatte er die beiden Männer wieder erreicht. Ein paar Schaulustige gingen mit zum Fundort der Leiche, mußten aber auf dem Gang warten. Plötzlich hörten sie, wie McReady einen Warnruf ausstieß. Es folgten einige laute Schläge und ein Geräusch, als ob etwas Schleimiges über den Boden krieche. Dann schrie etwas laut und gurrend auf. Norris stürmte zur Tür.

Kinner – oder was einmal Kinner gewesen war – lag auf dem Boden, von McReadys großem Messer in zwei Teile zerfetzt. Mit bleichem Gesicht lehnte der Meteorologe an der Wand, in seiner Hand noch das Messer, von dem Blut herabtropfte. Van Wall starrte geistesabwesend zu Boden; mit der Hand rieb er sich unbewußt am Kinn. Barclay, der die Starkstromgabel hielt, schluchzte mit wildem Funkeln in den Augen unaufhörlich vor sich hin.

Ein seltsamer, schuppenartiger Pelz überzog Kinners Arme, von dessen Knochen sich das Fleisch gelöst hatte. Die Finger waren kürzer geworden, die Hand hatte sich verformt, und anstelle von Fingernägeln trug das Untier dreißig Zentimeter lange, aus festem, rotem Horn bestehende Klauen, stahlhart und scharf wie Rasiermesser.

McReady hob den Kopf, sah das Messer an und ließ es fallen. „Nun, wer immer Kinner getötet hat, kann sich jetzt melden. Er ist nur insofern ein unmenschlicher Mörder, als daß er ein unmenschliches Ungeheuer getötet hat. Bei allem, was mir heilig ist, ich schwöre, daß Kinners lebloser Leichnam hier auf dem Fußboden lag, als wir ankamen. Als das Ding herausfand, daß wir Strom durch seinen Körper jagen wollten – da veränderte es sich.“

Norris starrte dumpf vor sich hin. „Mein Gott, was können diese grauenhaften Wesen schauspielern. Dieses Ding saß hier stundenlang und betete einen Gott an, den es hasste! Mit verzerrter Stimme sang es die Hymnen einer Kirche, die es gar nicht kannte, machte uns verrückt mit seinem endlosen Heulen… Nun gut. Der, der den Mord begangen hat, soll sich melden. Er wußte es nicht, aber er hat dem Lager einen Gefallen erwiesen. Und ich will wissen, wie der Mörder in den Raum gelangte, ohne dabei beobachtet zu werden. Diese Information könnte uns helfen, in Zukunft besser auf uns zu achten.“

„Sein Schreien… sein Singen. Noch nicht einmal der Filmprojektor konnte seinen Lärm übertönen“, gestand Clark zitternd ein. „Er war ein Ungeheuer.“

„Oh“, sagte Van Wall überrascht. „Du hast direkt neben der Tür gesessen, nicht wahr?“ Und schon fast hinter der Leinwand.“

Clark nickte dumpf. „Er… es ist jetzt ruhig. Es ist tot. Mac, dein verdammter Test taugt einen Dreck. Es war tot, ob Monster oder Mensch, es war tot.“

McReady mußte schlucken. „Jungs, seht euch Clark an, den einzigen, von dem wir wissen, daß er ein Mensch ist. Seht euch Clark an, der bewies, daß er ein Mensch ist, indem er versuchte, einen Mord zu begehen – und dabei versagte. Aber ihr anderen haltet euch für die nächste Zeit bitte mit solchen Beweisen zurück Ich glaube, es gibt noch eine andere Möglichkeit…“

„Einen Test?“ rief Connant erfreut; dann verdüsterte sich sein Gesicht wieder. „Ich glaube fast, daß man ihn wieder so auslegen kann, wie man will.“

„Nein“, behauptete McReady fest. „Paßt jetzt ganz genau auf und kommt alle in das Verwaltungsgebäude. Barclay, nimm deine elektrische Gabel mit. Und du, Dutton, gib auf Barclay acht. Jeder von euch muß seinen Nachbarn beobachten, denn mein Test wird funktionieren, und diese Monster wissen das. Sie können gefährlich werden.“

Die Männer verkrampften sich. Eine Atmosphäre der Bedrohung legte sich über die Gruppe, als sie sich gegenseitig mißtrauisch im Auge behielten. Und ein jeder stellte sich die Frage: ist der Mann neben mir ein außerirdisches Monstrum?

„Was ist das für ein Test?“ fragte Garry, als sie sich wieder in dem Hauptraum versammelten. „Und wie soll er funktionieren?“

„Ich weiß es noch nicht genau“, gab McReady zurück, aber die Zuversicht seiner Stimme strafte ihn Lügen. „Aber ich weiß genau, daß er funktionieren wird, denn er stützt sich auf eine spezifische Eigenart dieser fremden Wesen. ‚Kinner’ hat mich auf die Idee gebracht.“ Er glich wieder einer schweren, bronzenen Statue und strahlte unerschütterliches Selbstvertrauen aus.

„Ich glaube, daß wir das hier noch brauchen werden“, sagte Barclay und deutete auf die provisorische Starkstromwaffe. „Der Dynamo gibt volle Energie. Soll ich das Ding behalten, oder…“

Dutton nickte. „Ja, ob du oder ein anderer es hält, ist egal. Der Dynamo läuft auf Hochtouren. Van Wall und ich haben uns davon überzeugt, bevor wir mit der Filmvorführung begannen. Jeder, der die elektrische Gabel berührt, wird sterben.“

Dr. Copper richtete sich plötzlich in seiner Koje auf und rieb sich mit zitternden Händen die Augen, die noch vom Schlaf und von Drogen getrübt und unter dem Eindruck eines schier unerträglichen Alptraums geweitet waren. „Garry“, murmelte er, „Garry, hör zu. Sie sind… selbstsüchtig, bei der Hölle, der sie entstammen, selbstsüchtig. Was… was wollte ich sagen? Selbstsüchtig…“ Er sank wieder zurück und schnarchte leise weiter.

McReady schaute den Arzt nachdenklich an. „Das wissen wir mittlerweile“, murmelte er. „Aber selbstsüchtig, das ist genau der richtige Ausdruck. Deine Träume mögen dich darauf gebracht haben. Ich habe nie daran gedacht, was du wohl träumen könntest. Aber jetzt kommt alles in Ordnung. Selbstsüchtig, das ist das zutreffende Wort. Und selbstsüchtig müssen sie auch sein.“

Er drehte sich wieder zu den schweigenden Männern um, die sich gegenseitig wölfische Blicke zuwarfen. „Sie sind selbstsüchtig, und, wie Dr. Copper bewiesen hat, ist jeder einzelne Teil von ihnen lebensfähig. Jede einzelne Zelle der Monster ist ein selbstsüchtiges Tierchen für sich. Das – und noch ein Faktum habe ich mir zu Nutzen gemacht. Am Blut ist nichts Geheimnisvolles, es ist genauso ein normaler Bestandteil des Körpers wie ein Muskel oder die Leber. Aber es hat nicht so viel Bindegewebe, obwohl es aus Millionen und Abermillionen von Zellen besteht.“

McReadys dichter, bronzefarbener Bart verzog sich bei seinem Lächeln. „Ich bin ziemlich sicher, daß wir Menschen immer noch mehr sind als – ihr anderen“, fuhr er fort. „Und wir haben noch etwas, von dem ihr euch keinen Begriff machen könnt. Wir sind echte Menschen, keine Nachahmungen, mit einer inneren Flamme, die niemals ersterben wird. Wir werden mit einer Wildheit kämpfen, zu der ihr Nachbildungen niemals fähig sein werdet. Wir sind wirkliche Menschen, aber ihr seid bis hin zum Zellkern nur Imitationen.

So weit, so gut. Die Entscheidung naht, und ihr mit eurer Gedankenleserei wißt das genauso gut wie ich. Ihr habt die Idee in meinem Gehirn gelesen, und dagegen kann ich gar nichts tun. Aber ihr wißt auch, daß der Test funktionieren wird. Also, für die anderen werde ich es jetzt erklären. Wenn ich nun jemandem mit einem Messer den Finger ritze und er blutet nicht, dann ist er mit absoluter Sicherheit ein Monster, ein Ding aus einer anderen Welt. Aber falls er blutet, dann ist das Blut, getrennt vom Körper, ein lebensfähiger Einzelorganismus, ein neues Individuum mit eigenem Leben, so wie die Nachbildungen, die, obwohl sie alle von einem Originalkörper abstammen, ein eigenes unabhängiges Leben führen! Van, Bar, begreift ihr nun?“

Van Wall lachte leise auf. „Das Blut – es wird nicht gehorchen. Es ist ein eigenständiges Lebewesen und hat den Drang, sein eigenes, neugewonnenes und von dem Originalkörper abgetrenntes Leben zu beschützen. Das Blut will leben – und wird zum Beispiel vor einer heißen Nadel davonkriechen!“

McReady ergriff das Skalpell, nahm einen Träger voller Reagenzgläser, eine Spirituslampe und einen langen Platindraht, der in einen kleinen Glasstab eingesetzt war. Ein Lächeln der Genugtuung spielte um seine Lippen. Er warf einen raschen Blick auf die Männer, und Barclay und Dutton, die die elektrische Mistgabel hielten, stellten sich neben ihn.

„Dutton“, sagte McReady, „gehst du bitte zur Steckdose für das Stromkabel hinüber? Nur um sicherzugehen, daß kein – Ding den Stecker herausreißen kann.“

Dutton gehorchte. „Nun, Van, willst du der erste sein?“

Mit bleichem Gesicht trat Van Wall vor. Mit einem sorgfältigen Schnitt ritzte McReady seine Daumenkuppe. Van Wall zuckte zusammen, hielt dann aber still, während das helle Blut in das Reagenzgläschen rann. McReady stellte das Röhrchen in den Halter, gab Van Wall etwas Verbandsstoff und deutete auf die Jodflasche.

Bewegungslos sah Van Wall zu, wie McReady den Platindraht in der Spirituslampe erhitzte und dann in das Röhrchen einführte. Es zischte leise. Fünfmal wiederholte er den Test. „Ich würde sagen, daß du ein Mensch bist“, seufzte McReady und atmete tief. „Bis jetzt hat meine Theorie noch nichts bewiesen, aber wir werden ja sehen. Ach ja, laßt euch nicht allzusehr hiervon ablenken. Ohne Zweifel haben wir einige ungebetene Gäste unter uns. Van, lös du bitte Barclay an der Elektrogabel ab. Danke. Nun gut, Barclay, ich hoffe, daß du einer der unsrigen bist. Du bist ein verdammt guter Kumpel.“

Barclay grinste unsicher und zuckte zusammen, als McReady ihn mit dem Skalpell ritzte. Kurz darauf grinste er wieder und nahm seine langstielige tödliche Waffe in Empfang.

„So, wenn ich nun Samuel Dutton bitten darf – BAR…!“

Im Bruchteil einer Sekunde entlud sich die Spannung. Aus welcher Hölle auch immer die Ungeheuer entsprungen sein mochten, in diesem Augenblick nahmen es die Männer mit ihnen auf. Barclay hatte keine Gelegenheit, seine Waffe einzusetzen, ein Dutzend Männer sprangen auf das Ding zu, das wie Dutton aussah. Es miaute und kratzte und versuchte, sich Klauen wachsen zu lassen, aber es wurde buchstäblich in Hunderte von Fetzen zerrissen. Ohne ein Messer oder irgendeine Waffe – bis auf die eigene Stärke – war es den Männern hilflos ausgeliefert.

Allmählich faßten die Männer sich wieder. In ihren Augen schwelte verhaltene Wut, aber sie bewegten sich ungewöhnlich langsam. Nur ein vereinzeltes Zucken verriet den Grund der Nervosität.

Barclay machte sich mit der Starkstromwaffe ans Werk. Die Stücke schmolzen zusammen. Entsetzlicher Gestank erfüllte den Raum, als Van Wall auch noch Salzsäure über die restlichen Fleischfetzen goß.

McReady grinste. Seine tiefliegenden Augen strahlten hell. „Vielleicht habe ich mich geirrt“, sagte er vergnügt, „als ich erklärte, kein Mensch könne so hasserfüllt blicken wie unser eingefrorener Findling. Ich wünschte, wir könnten uns ein paar bessere Methoden ausdenken, wie wir diese Ungeheuer beseitigen könnten. Vielleicht sollten wir sie in siedendem Öl rösten oder in den Tank mit kochendem Wasser werfen. Wenn ich daran denke, was für ein Mann Dutton war… Aber egal. Meine Methode scheint sich zu bewähren. Van Wall und Barclay sind mit Sicherheit Menschen. Jetzt sollte ich wohl beweisen, was ich selbst schon weiß. Ich bin auch ein Mensch.“ McReady wusch das Skalpell in reinem Alkohol, hielt die Klinge in die Flamme und schnitt sich dann fachmännisch in den Daumen.

Zwanzig Sekunden später schaute er zu den Männern hinüber. Ihre Gesichter waren nun freundlicher, und einige lächelten schon wieder. Doch aus ihren Blicken sprachen noch andere Gefühle.

„Connant hatte recht“, lachte McReady leise. „Die Eskimohunde, die das Ding an der Biegung des Ganges belauerten, waren nichts gegen euch. Warum sollte man annehmen, daß nur Wolfsblut das Vorrecht hat, wild zu sein? Mag ein Wolf noch so bösartig sein, nach diesen sieben Tagen: Ihr Wölfe, die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren! Aber wir wollen keine Zeit vergeuden. Connant, würdest du bitte…“

Wieder war Barclay zu langsam. Als Barclay und Van Wall ihre Arbeit beendet hatten, schien die Spannung fast gänzlich gewichen zu sein, und das Lächeln der Männer war zuversichtlicher.

„Connant war einer der besten Männer im Lager, und vor fünf Minuten hätte ich noch geschworen, daß er ein Mensch ist. Diese verfluchten Ungeheuer sind mehr als reine Nachahmungen.“ Garry erschauderte und setzte sich auf eins der Bettgestelle.

Dreißig Sekunden später zuckte Garrys Blut vor dem heißen Platindraht zurück und versuchte, aus dem Röhrchen zu entfliehen, kämpfte dabei mit der gleichen Wildheit wie das rotäugige Raubtier, in das Garry sich verwandelte und das erst starb, als der kreidebleiche und vor Anstrengung schwitzende Barclay ihm die elektrische Gabel in die Brust rammte. Als McReady das Ding, das sich in dem Reagenzglas befand, auf die glühenden Kohlen im Ofen warf, schrie es mit dünner metallischer Stimme auf.

12

„Sind wir nun alle durch?“ Dr. Copper blickte mit traurigen Augen von seiner Koje herab. „Vierzehn Mann…“

McReady nickte knapp. „Irgendwie – wenn wir nur hätten verhindern können, daß sie sich immer weiter ausbreiten – wünschte ich, die Nachbildungen wären noch hier. Kommandant Garry, Connant, Dutton, Clark…“

„Was machen sie mit den Überresten?“ Copper deutete auf die Fleischklumpen, die Barclay und Norris hinaustrugen.

„Draußen haben sie fünfzehn zertrümmerte Kisten und eine halbe Tonne Kohlen auf das Eis geschichtet. Darüber werden sie fünfzig Liter Petroleum gießen. Wir haben Säure über jeden noch so kleinen Überrest geschüttet, und jetzt werden wir die Rückstände auch noch verbrennen.“

„Das klingt ganz vernünftig“, nickte Dr. Copper müde. „Was ich noch fragen wollte, ist Blair ein…“

„Blair!“ kam es verblüfft über McReadys Lippen. „Wir hatten so viel zu tun, daß wir ihn ganz vergessen haben. Ich frage mich… was meinst du, ob wir ihn jetzt wohl heilen könnten?“

„Falls…“, begann Copper, sprach aber nicht weiter.

„Sogar ein Verrückter“, flüsterte McReady tonlos. „Das Ungeheuer hat Kinner und seine Gebetshysterie nachgeahmt…“ McReady drehte sich nach Van Wall um, der noch am Tisch arbeitete. „Van, wir müssen sofort zu Blairs Schuppen.“

Van blickte verblüfft auf, als er an den Biologen erinnert wurde, dann legte sich seine Stirn in Sorgenfalten. „Barclay kommt besser auch mit“, meinte er dann. „Er hat die Sperrseile angebracht und weiß vielleicht auch, wie wir in den Schuppen kommen, ohne Blair zu sehr zu erschrecken.“

Eine Dreiviertelstunde waren sie bei klirrender Kälte von minus siebenunddreißig Grad unterwegs. Über ihnen bauschte sich die Morgenröte wie ein Vorhang zusammen. Das Zwielicht dauerte nun fast zwölf Stunden an und überzog im Norden den weißen Schnee, der wie feiner Sand unter ihren Skiern knirschte, mit grellen Flammenspeeren. Aus nordwestlicher Richtung wehte ein Wind von siebeneinhalb Stundenkilometern. Als die Männer die unter dem Schnee vergrabene Hütte ausmachen konnten, sahen sie, daß kein Rauch aus dem Schornstein emporstieg, und beeilten sich noch mehr.

„Blair!“ brüllte Barclay in den Wind, obwohl er noch fast einhundert Meter von der Hütte entfernt war. „Blair!“

„Halte lieber den Mund und beeil dich“, sagte McReady ruhig. „Vielleicht hat er sich aus dem Staub gemacht. Wenn wir ihn verfolgen müßten, ohne Flugzeuge und mit betriebsunfähigen Schleppern…“

„Würde ein Ungeheuer die gleiche Widerstandskraft wie ein Mensch haben?“

„Ein gebrochenes Bein würde es nicht länger als eine Minute aufhalten“, gab McReady zurück.

Barclay stieß plötzlich einen verblüfften Schrei aus und deutete in den Himmel. Dort zog, nur undeutlich sichtbar, ein geflügeltes Wesen mit unbeschreiblicher Anmut und Leichtigkeit seine Kreise. Die großen weißen Schwingen schlugen anmutig, als der Vogel in schweigender Neugier über sie hinwegschwebte.

„Ein Albatros“, sagte Barclay leise. „Der erste in diesem Frühling, der vom Instinkt landeinwärts getrieben wird. Wenn ein Monster hier herumschwirrt…“

Norris hockte sich auf das Eis und nestelte an seiner schweren, windundurchlässigen Überbekleidung herum. Als er wieder aufstand, war sein Mantel offen, und er hielt eine tödliche Waffe aus blauschimmerndem Metall in der Hand. Herausfordernd krachte der Schuß im weißen Schweigen der Antarktis.

Der Vogel krächzte erschrocken. Er schlug wild mit seinen mächtigen Schwingen, als die Kugel ihm ein paar Dutzend Federn vom Schwanz wegriß. Der Vogel entfernte sich, lautlos in der Luft gleitend. Norris feuerte noch einmal, und wieder schrie er auf und sackte mit wild taumelnden Schwingen in einer dichten Wolke aus Federn in eine Eisschlucht.

Norris folgte den anderen. „Er wird uns nicht in die Quere kommen“, sagte er grimmig.

Mit hastigen Gesten brachte Barclay ihn zum Schweigen. Aus einer Ritze in der Tür des Schuppens zuckte ein grellblauer Lichtstrahl hoch in den Himmel. Ein tiefes Brummen erklang im Inneren der Hütte, dann laut hallendes Klappern von Werkzeugen, so als arbeite jemand in äußerste Eile.

McReadys Gesicht wurde kreidebleich. „Gott helfe uns, daß das Ding noch nicht…“ Er packte Barclay an der Schulter und deutete auf die Kabel, die die Türe hielten. Barclay zog den Schraubenzieher aus seiner Tasche und kniete geräuschlos an der Tür nieder. Das Schnappen und Kratzen der Kabel zerriß die Stille, die sich über die Antarktis gelegt hatte. Neben diesen Geräuschen war nur das Summen der unbekannten Geräte im Inneren des Schuppens zu vernehmen.

McReady spähte durch eine Ritze in der Tür. Sein Atem beschleunigte sich, und seine Finger rissen an Barclays Schulter. Der Meteorologe wich zurück. „Das ist nicht Blair“, flüsterte er kaum hörbar. „Dieses Ding kniet auf dem Bett, und das Bett wird von irgendeinem Gerät in der Luft gehalten. Es sieht aus wie ein Rucksack und schwebt in der Luft.“

„Wir stürmen alle auf einmal hinein“, flüsterte Barclay grimmig. „Nein, Norris bleibt draußen und hält sein Schießeisen bereit. Das Ding könnte Waffen haben.“

Barclay mit seinem stämmigen Körper und McReady mit seinen unwahrscheinlichen Kräften rannten gemeinsam gegen die Tür an. Sie krachte gegen das Bettgestell und zerbarst, wurde buchstäblich aus den Angeln gerissen. Das Balkenwerk des Pfostens stürzte nach innen.

Das Ding, das an einen blauen Gummiball erinnerte, sprang hoch. Einer seiner vier tentakelförmigen Arme zuckte ihnen entgegen wie eine zustoßende Schlange. In der siebenfingrigen Hand glitzerte ein metallisch schimmernder Bleistift von fünfzehn Zentimetern Länge, der auf die Eindringlinge gerichtet war. Die strichdünnen Lippen des Ungeheuers entblößten giftschlangenähnliche Fangzähne und verzogen sich zu einem widerlichen Grinsen. Die roten Augen blitzten vor Wut.

Donnernd entlud sich Norris’ Revolver. Das hasserfüllte Gesicht verzerrte sich vor Schmerzen, und die umherpeitschenden Tentakel wurden zurückgezogen. Das silberne Ding in der Hand war nur noch unbrauchbarer Schrott, und der siebenfingrige Tentakel eine blutige Fleischmasse, aus der grünlich-gelbes Wundwasser sickerte. Der Revolver donnerte noch drei weitere Male. Die Augen hatten sich in dunkle Löcher verwandelt, dann schleuderte Norris dem Ungeheuer die leere Waffe ins zerstörte Gesicht. Das Ding kreischte hasserfüllt und fuhr mit einem peitschenden Tentakel über die geblendeten Augen. Mit zitterndem Körper kroch es über den Bretterboden, schlug mit den Tentakeln um sich, dann erhob es sich erneut, während sich über den Augen Blasen bildeten.

Barclay sprang vor und hieb mit dem Eispickel zu. Die stumpfe Seite des schweren Beils traf den Kopf des Ungetüms. Wieder wich das zählebige Monstrum zurück. Ein Tentakel zuckte vor, umschlang Barclay und riß ihn zu Boden. Als er die Fessel berührte, verwandelte sie sich in ein weißglühendes Band, das sich wie Feuer in das Fleisch seiner Hände brannte. Das geblendete Ungeheuer stürzte sich auf ihn, riß an der dicken, wasserundurchlässigen Bekleidung. Es suchte Fleisch – Fleisch, das es umwandeln konnte.

Die große Lötlampe, die McReady mitgebracht hatte, röhrte drohend auf und stieß eine blauweiße meterlange Flammenzunge aus. Das Ding auf dem Boden kreischte auf, schlug blindlings mit den Tentakeln um sich und versuchte, dem kochenden Atem des Flammenwerfers zu entkommen. Es kroch und wand sich auf dem Boden, schrie und jaulte, irre vor Schmerz und Wut, aber McReady hielt den Flammenstrahl unverändert auf das Gesicht gerichtet, verschmorte die geblendeten Augen vollends. Wie ein wahnsinniger Derwisch schlängelte sich das Untier über den Boden, stieß einen Tentakel vor, der im Flammenstrahl verkohlte. Mit grimmiger Miene drang McReady immer weiter vor und trieb das hilflose, vor Schmerz verrückte Ding vor sich her. Es bäumte sich noch einmal auf, dann erfaßte es die Flamme wieder und trieb es in den Schnee hinaus. Der bitterkalte Wind fegte über das Ungeheuer hinweg, das einen stinkenden Ölschmierer auf dem Eis hinterließ…

Schweigend kehrte McReady zu dem Schuppen zurück. An der Tür empfing ihn Barclay. „Nun?“, fragte der Meteorologe erschöpft.

„Nichts mehr ist von ihm übrig geblieben“, sagte Barclay. „Es hat sich doch nicht etwa geteilt?“

„Dazu hatte es keine Zeit“, versicherte McReady ihm. „Als ich es verließ, bestand es nur noch aus glühender Kohle. Was hat es hier getrieben?“

Norris lachte hohl. „Wir sind doch helle Jungs, was? Während wir die Magneten zerschlagen haben, damit die Flugzeuge nicht mehr fliegen können, und die Schneeraupen demolierten, ließen wir eins der Ungeheuer eine Woche lang hier mutterseelenallein. Allein und ungestört.“

McReady sah sich in dem Schuppen um. Bis auf die Umgebung der Tür war die Luft heiß und feucht. Auf einem Tisch hatte das Ungeheuer Kabel, Magneten, Glasisolierungen und Radioröhren zusammengebastelt. In der Mitte des Geräts lag ein roher Steinblock. Daraus kam das Licht, das die Hütte überflutete und in kräftigerem Blau als eine elektrische Bogenlampe leuchtete, und auch das dumpfe Summen. Daneben befand sich ein weiterer Mechanismus aus unglaublich sorgfältig und dünn geblasenem Kristallglas, Metallplatten und einer seltsam schimmernden Kugel, die nicht aus Materie zu bestehen schien.

„Was ist das?“ fragte McReady und trat näher.

„Wir müssen es noch genauer untersuchen“, brummte Norris, „aber ich kann mir meinen Teil denken. Atomkraft. Dieses winzige Ding links da schafft wahrscheinlich dasselbe, wozu Menschen Zyklotrone von einhundert Tonnen und mehr benötigten. Damit trennt man Neutronen aus Schwerem Wasser – das das Biest aus dem umgebenden Eis gewonnen haben dürfte.“

„Wie kam es denn hier heraus? Ach so! Man kann solch ein Monstrum ja nicht einschließen. Oder aussperren. Es ist also in den Gerätelagern gewesen.“ McReady starrte den Apparat an. „Mein Gott, was für einen Verstand muß diese Rasse besessen haben…“

„Ich glaube, daß die schimmernde Kugel ein Kraftfeld darstellt. Neutronen können jede Materie durchdringen, und es wollte sich ein Reservoir davon anlegen. Wenn man Neutronen gegen Silizium, Kalzium oder Beryllium schießt – man kann dazu fast jedes Element benutzen – wird Atomenergie freigesetzt. Dieses Ding da dürfte ein Atomgenerator sein.“

McReady zog ein Thermometer aus der Manteltasche. „Obwohl die Tür offensteht, ist es hier fast vierzig Grad warm. Bis zu einem gewissen Grad hat unsere Kleidung die Hitze abgehalten, aber jetzt beginne ich zu schwitzen.“

Norris nickte. „Ich habe herausgefunden, daß das Licht kalt ist. Aber es gibt über jene Spule dort genug Energie ab, um die Hütte warm zu halten. Es konnte es so angenehm warm haben, wie seine Rasse es schätzte. Ist dir etwas an der Farbe des Lichts aufgefallen?“

McReady nickte. „Die Erklärung dafür liegt jenseits der Sterne. Die Ungeheuer kamen von einem wärmeren Planeten, der eine heiße, blaue Sonne umkreist. Irgendwo jenseits der Sterne.“

McReady starrte zur Tür hinaus auf die rauchgeschwärzte Schleifspur, die zeigte, wohin das Monstrum ziellos geflohen war. „Ich glaube kaum, daß weitere solcher Ungeheuer auf der Erde landen werden. Das war ein reiner Zufall und liegt schon zwanzig Millionen Jahre zurück. Wozu hat es all das zusammengebaut?“ Er deutete auf die Apparate.

Barclay lachte leise. „Hast du nicht mitbekommen, woran es bei unserer Ankunft arbeitete? Sieh doch mal!“ Er zeigte zur Decke des Schuppens.

Dort hing wie ein Rucksack aus flachgeklopften Kaffeedosen, von denen Stoffballen und Ledergürtel herabhingen, ein weiterer seltsamer Mechanismus. Darin brannte ein winziges, gleißendes Herz, eine unerklärbare Flamme, und sie schien durch das Holz der Decke, ohne es anzusengen. Barclay ging darauf zu, ergriff zwei der herabhängenden Gürtel und zog das Gebilde mit einiger Anstrengung herunter. Er band die Gürtel um seinen Körper, und ein leichter Abstoß beförderte ihn in einem gespenstisch langsamen Bogen durch den Raum.

„Antischwerkraft“, flüsterte McReady.

„Antischwerkraft“, nickte Norris. „Ja, wir hätten sie auch nicht aufhalten können, wenn keine Flugzeuge und keine Vögel gekommen wären. Dieses Untier hatte Kaffeedosen und Radioersatzteile und Glas zur Verfügung und konnte des Nachts in der Werkstatt arbeiten. Es hatte eine Woche Zeit, nur eine Woche. Hinüber zum Südzipfel Amerikas ist es nur ein winziger Sprung, wenn man Antischwerkraft und als Antrieb dafür Atomenergie besitzt. Wir glaubten, wir hätten sie erledigt. Aber in einer halben Stunde hätte es die Bänder soweit befestigt gehabt, daß sie es getragen hätten, und wir wären in der Antarktis geblieben und hätten alles niedergeschossen, was sich draußen bewegte. Wir hätten eine ganze Welt gegen uns gehabt.“

„Der Albatros“, flüsterte McReady. „Glaubt ihr, daß…“

„Wo er dieses Gerät fast fertig hatte? Mit dieser tödlichen Waffe in der Hand? Nein, bei Gott, der uns vielleicht hört, selbst hier in der Antarktis noch, und uns diese halbe Stunde schenkte. Wir durften unsere Heimatwelt und die anderen Planeten unseres Sonnensystems behalten. Und wir besitzen nun Antischwerkraft und Atomenergie. Weil sie aus einer anderen Welt kamen, von einem Stern unter vielen. Sie kamen von einer Welt mit einer blauen Sonne.“

*  *  *  *  *  *  *

Diese Geschichte war die Basis für Christian Nybys Film Das Ding aus einer anderen Welt („The Thing From Another World“) von 1951

und für John Carpenters Remake von 1982 (Originaltitel: „The Thing“)

Über Cernunnos

Mein Blog: "Cernunnos' Insel" https://cernunninsel.wordpress.com/
Dieser Beitrag wurde unter John W. Campbell Jr abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..